Serie „Bodycheck“ Sie, die „Mutti“, erklärt uns die Politik

Geballte Fäuste, stechende Zeigefinger, das Spiel mit der Stimme – auf welche Gestik setzen Politiker und wie wirkt sie? Ein Körpersprachen-Experte analysiert für uns die Spitzenkandidaten. Heute: Angela Merkel.

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Die Wirkung der Kanzlerin Angela Merkel ist paradox. Es gäbe ihrer Rhetorik viel vorzuwerfen – und doch geht die direkte Zustimmung der Wähler geht weit über die Anzahl der Unions-Wähler hinaus. Sie ist beliebt und schafft es, Vertrauen zu gewinnen.

Wenn man sich erinnert, wie Angela Merkel Anfang der 90er-Jahre auf der politischen Bühne erschien, dann hätte man ihr das Amt des Bundeskanzlers bestimmt nicht zugetraut. Viel eher, dass sie eine vorübergehende, kaum wahrgenommene Erscheinung sein würde. Als sie dann wichtigere Ämter bekleidete, wurde mit viel Spott über Äußerlichkeiten diskutiert. Ihren Reden wollte man kaum folgen, denn sie waren schlicht langweilig.

Und nun? Geht es um ihre dritte Kanzlerschaft, ihre dritte Legislaturperiode. Und auf der Zielgerade liegt die Union in Umfragen in Führung. Doch woran liegt es, dass diese Kanzlerin so viel Vertrauen von allen Seiten bekommt?


Früher waren starke Führungspersönlichkeiten im Stile eines Franz Josef Strauß oder Herbert Wehner gefragt. Manch einer sehnt sich nach derartigen Charakterköpfen. Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Zeiten in denen Nikita Chruschtschow mit einem dritten Schuh wütend aufs Rednerpult schlug, um zu demonstrieren, dass man mit seiner Aggression rechnen müsse.

Heute sehnt sich die Mehrheit – emotional wie rational – nach einem Kapitän, der sicher durch das unruhige Gewässer schwieriger Krisen führt. Finanzkrisen, Währungskrisen, diplomatische Krisen, Sozialsystemkrisen. Da hilft keine Cholerik oder Aggression. Da geht es um Zuhören, Abwägen und um Vorausschauen.

Mir fällt es immer wieder schwer, ihren Reden anzuhören. Sie weicht mit Passivformulierungen und Substantivierungen aus, redet viel von „ich glaube“ oder „wir werden“, holt entwaffnend alle bei Meinungen ins Boot oder sagt gleich, dass es „keine Alternative“ gibt. Wer kann schon ihrem Glauben etwas entgegensetzen? Und wozu diskutieren, wenn es ohnehin keine Alternative gibt?


„Ich begrüße den Mut ihrer Spin Doktoren“

Sie ist rhetorisch kaum angreifbar. Sie greift auch selbst selten an. Und wenn sie doch mal zu Erklärungen ansetzt, dann ohne die Aggression oder Diffamierungen ihres Herausforderers. Nicht kämpferisch, sondern vertrauensbildend. Sie, die „Mutti“, erklärt uns die Politik. Und da sie bisher noch nie durch Skandale, Fettnäpfchen oder gar Stinkefinger aufgefallen ist, glauben wir ihr.

Ich begrüße den Mut ihrer Spin Doktoren und Berater, die Angela Merkel dazu gebracht haben, einen Nicht-Wahlkampf zu führen. Über ihre echten Wahlkampfauftritte wird kaum berichtet. Auf der Pressemitteilung bittet sie um „Berichterstattung nur bei Nachrichtenlage“, also nur, wenn es etwas Besonders gibt. Stattdessen setzt sie auf Angela Merkel als Mensch.

Das gab es früher nicht, das ist die große Neuerung, die erfolgsversprechend noch mehr Sympathie bringt. Sie geht zu Talk-Shows, bei denen es nicht nur um Politik geht und plaudert über ihre private Seite. Sie zeigt sich auf ihrer Web-Site mit privaten Bildern. Die Web-Site ist sogar gegliedert in nur zwei Rubriken: „Persönlich“ und „Politik“. Bezeichnend: „Persönlich“ ist die Voreinstellung, mit der sie sich Besuchern als erstes zeigt. Und sie zeigt Mut. Seit einigen Tagen gibt es ein überdimensionales Plakat (70 Meter breit) beim Berliner Hauptbahnhof, auf dem ihre typische Handhaltung zu sehen ist, die Merkel Raute. Selbstironie ist gut!

Dennoch ist ihre Taktik kein Erfolgsrezept für spätere Kandidaten oder gar ihren Herausforderer. Die Taktik geht nur auf, weil wir bereits ein bestimmtes Bild von ihr haben, das sie bestätigt und bekräftigt. Und das hat mit ihrer ruhigen Art zu tun.

Fazit: Was bei anderen schlicht langweilig ist, wirkt bei ihr souverän. Ihre Gestik ist zu klein, ihre Betonungen zu wenig, ihre Sprache zu unklar. Es ist schon paradox, wie gut sie trotzdem ankommt. Eben weil sie keine Aggression zeigt. Weil sie selbst, wenn sie angegriffen wird, stoisch zuhört und Ruhe bewahrt. Weil sie selbst mehr auf ihre Erfolge hinweist, als den Gegner ständig zu erwähnen und anzugreifen. Weil sie sich als Mensch zeigt.

Michael Moesslang ist Trainer für Präsentation und Körpersprache.

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