Serie „Bodycheck“ Warum Steinbrück plötzlich weniger fuchtelt

Geballte Fäuste, stechende Zeigefinger, das Spiel mit der Stimme – auf welche Gestik setzen Politiker und wie wirkt sie? Ein Körpersprachen-Experte analysiert für uns die Spitzenkandidaten. Heute: Peer Steinbrück.

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Peer Steinbrück musste angreifen, er ist schließlich der Herausforderer von Kanzlerin Angela Merkel. Seine Auftritte der ersten Monate als Kandidat waren entsprechend geprägt durch besonders aggressive Gestik: ein auf das Publikum einstechender Zeigefinger, die geballten Fäuste oder die schlagende Hand, die staccato-artig betonen sollte. Auch seine Mimik zeigte nie Mildes oder gar Freundliches.

Nachdem dies – auch von mir – in diversen Medien häufig kritisiert wurde, hat er sich geändert. Erstaunlich, hat er doch zuvor stets betont, er lehne Coaching ab. Zuhören und lernen kann er aber anscheinend doch. So wirkt der SPD-Mann mittlerweile deutlich weniger böse. Im Sommerinterview des ZDF legt er seine Hände flach auf den Stehtisch, Gestik vermeidet er anscheinend bewusst. Kommt sie doch einmal aus ihm heraus, hält er sich gleich wieder zurück. Im „Bundestags-Duell“ hält er sich ebenfalls zurück, indem er sein Manuskript in die Hände nimmt. Ja, er macht ab und zu Gesten, aber positive, große, souveräne. Keine aggressiven mehr.

Ausgerechnet in diesen Wandel kommt sein „Stinkefinger“ via Süddeutsche in die Medien. Es gibt Gesten, die wird man nicht mehr los. Das Victory-Zeichen von Josef Ackermann ist nach neun Jahren immer noch das, was die meisten Menschen mit ihm verbinden. Für einen, der Kanzler werden möchte, ist der ausgestreckte Mittelfinger reichlich unpassend: er wird Steinbrück bleiben. Der SPD-Politiker hat damit einige konservativere Wähler verloren – und sicher keine neuen dazu gewonnen.

Die Spitzenkandidaten absolvieren derzeit ein Mammutprogramm. Bei TV-Auftritten präsentieren sie sich einem Millionenpublikum – die Eindrücke, die die Zuschauer via TV gewinnen, bleiben hängen. Einige erleben Steinbrück aber auch persönlich – bei den Wahlveranstaltungen der SPD. Beim Wahlkampf-Auftritt in Hamburg Anfang August wirkt er unkonzentriert. Dabei ist er doch eigentlich in seinem Element. Auf ein Rednerpult verzichtet er, was an sich eine gute Idee ist. Doch er läuft permanent unruhig um seinen Stehtisch. Sein Blick schweift unruhig, er sucht keinen festen Kontakt mit seinem Publikum. Die meiste Zeit sticht er zu. Mit dem linken Zeigefinger, denn das Mikrofon hat er in die aktive rechte Hand genommen.


„Er denkt schnell und antwortet noch schneller“

Das hat sich geändert: Seine Körpersprache ist also ruhiger geworden, weniger aggressiv. Oder liegt es daran, dass seine Worte wesentlich aggressiver geworden sind? Steinbrück ist schlagfertig. Er denkt schnell und antwortet noch schneller. Und er merkt sich seine pointierten Metaphern und Bilder gut, die er regelmäßig einsetzt, um die Regierung anzugreifen und zu diffamieren. Das ist überhaupt seine Stärke: Rhetorische Figuren und Vergleiche setzt der Kanzlerkandidat besonders häufig ein.

Seine Rede im Bundestag, wenige Tage nach dem TV-Duell, gerät zum echten Duell. Dort hatte er Zeit, sich eine bissige Rede auszudenken, wird er nicht von störenden Journalisten oder gar der Kanzlerin selbst unterbrochen und kann so richtig vom Leder ziehen. So greift er die ersten knapp 13 Minuten nur die Kanzlerin an, kann ihr alles Mögliche vorwerfen und sie sogar diffamieren. Er fährt alle Geschütze auf, nur Zeigefinger und Faust lässt er stecken. Seine verbale Brillanz zeigt sich vor allem darin, wie er selbst aus Stärken Merkels Schwächen macht oder wie er wieder mit Bildern, Aufzählungen, Trias, Steigerungen ihre Erfolge klein und ihre Baustellen groß macht. Dabei ist der Ton um mehrere hundert Prozent schärfer geworden, als noch zu Beginn des Wahlkampfes. Seine Aggression hat er von der Körpersprache in die Worte verlegt.

Diese Taktik ist schlau, denn Körpersprache wirkt aufs Unterbewusstsein und wirkt so viel stärker, als jedes gesprochene Wort. Die Mehrheit der Wähler ist zu wenig über die Inhalte informiert und wählt nach anderen Kriterien. So ist ein aggressiv oder gar unbeherrscht wirkender Mann nicht zeitgemäß. Die Zeiten die Kalten Kriegs mit ihren Machtdemonstrationen sind vorbei. Die Wähler wünschen sich jemanden, der mit Bedacht und Weitblick die modernen Krisen in Wirtschaft, Währung und Sozialsystemen meistert.

Fazit: Peer Steinbrück hat gelernt. Er tritt im Wahlkampfendspurt nicht mehr als Polterer auf, gibt sich nach außen gemäßigter, staatsmännischer – was weniger aggressiv auf das Unterbewusstsein der Zuschauer wirkt. Dabei sind seine Reden nicht minder aggressiv als zu Beginn seiner Kandidatur. Verbal schießen – das kann er. Was nicht ins neue Bild passt: das „Stinkefinger“-Foto. Das wird im Stimmen kosten.

Michael Moesslang ist Trainer für Präsentation und Körpersprache.

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