Umwelttechnik Gigantischer Boom für grüne Technologien

Das Klima spielt verrückt, Rohstoffe werden langfristig immer teurer, in den Schwellenländern nimmt die Umweltverschmutzung katastrophale Ausmaße an. Grüne Technologien stehen deshalb vor einem gigantischen Boom. Die weltweit führende deutsche Umweltindustrie hat beste Exportchancen – und das Zeug zum wichtigsten Jobmotor.

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Wachstum, Umsatz, Gesamtwirtschaft

Ein Meer von winzigen, grünen Pflanzensetzlingen, ein paar Fahrräder, ein Stapel Autoreifen. Darüber spannt sich in luftiger Höhe ein filigranes Dach aus blaugrauen, halbtransparenten Solarzellen. Das futuristische Glasdach des Wal-Mart-Centers unweit von Dallas lässt genügend Licht für die Pflanzen durch, schützt sie vor der texanischen Hitze – und produziert fleißig Strom: Die Solarinstallation des deutschen Glaskonzerns Schott kommt auf eine Leistung von rund 40 Kilowatt. Dem aufgeheizten Weltklima werden dadurch jährlich über 300 Tonnen Kohlendioxid erspart. Doch das dürfte das Wal-Mart-Management herzlich wenig interessieren. Den Billigheimer treibt ein ganz anderes Problem um: der hohe Strompreis. Der ist nach den Löhnen der größte Kostenblock des Handelsgiganten. Im vergangenen Oktober kündigte Wal-Mart-Chef Lee Scott an, 500 Millionen Dollar in Energieeffizienz und Erneuerbare Energien zu investieren, vor Kurzem schrieb Wal-Mart die Ausstattung der rund 4000 Filialen in den USA mit Solaranlagen offiziell aus. Das wäre mit rund 100 Megawatt Gesamtleistung eines der größten Fotovoltaik-Projekte der USA. Der Kostendrücker aus dem Land der Umweltmuffel greift zu deutscher Solartechnik – kaum etwas belegt besser den weltweiten Vormarsch von Ökotechnologien und die Spitzenposition deutscher Unternehmen. Aufgrund steigender Rohstoffpreise und der wachsenden Umweltprobleme entsteht rund um den Globus ein gigantischer Bedarf an neuer Technik, mit der sich Rohstoffe und Energie effizienter nutzen und erzeugen lassen und die den Ausstoß von Treibhausgasen, die Verschmutzung von Luft und Wasser eindämmt. Eine neue Boombranche entsteht, denn Umweltschutz lohnt sich inzwischen und ist kein Hobby von Weltverbesserern mehr. Vor allem das beispiellose Wachstum von Schwellenländern wie China oder Indien sorgt zum einen für knappe Rohstoffe; zum anderen droht diesen Ländern aufgrund umweltschädlicher Produktionsmethoden an vielen Orten ein Ökokollaps. Für Unternehmen, die besonders effiziente oder umweltschonende Technologien anbieten, sind deshalb goldene Zeiten angebrochen. Von der Nanotechnologie bis zum CO2-neutralen Kohlekraftwerk, von der kostengünstigen Pflanzenkläranlage zum modernen Biomasse-Kraftstoff – die Umwelttechnik mausert sich zur Wachstumsindustrie des 21. Jahrhunderts. Vor allem in Deutschland: Das Land der peniblen Müllsortierer und der allgegenwärtigen Windräder beheimatet – auch dank üppiger Subventionen – die stärkste Umweltindustrie der Welt. Und die steht vor gigantischen Exportchancen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), des Fraunhofer ISI und der Unternehmensberatung Roland Berger im Auftrag von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel kommt zum Ergebnis, dass die Umwelttechnik klassische Industriezweige wie Fahrzeug- oder Maschinenbau binnen eines Jahrzehnts hinter sich lässt. In 15 Jahren werde die Umweltindustrie die Automobilwirtschaft als deutsche Leitindustrie abgelöst haben. Derzeit steuert die Umweltbranche vier Prozent zum Umsatz aller Wirtschaftsbereiche bei, bis 2030 werde der Anteil voraussichtlich auf satte 16 Prozent steigen. Schon heute arbeiten geschätzte 1,5 Millionen Deutsche in der Umweltschutzbranche. Selbst vorsichtigsten Schätzungen zufolge werden in den nächsten Jahren Hunderttausende neuer Jobs entstehen. „Wir stehen hier vor einem Hype, der mit der New Economy zu Beginn des Jahrzehnts vergleichbar ist“, schwärmt Roland-Berger-Umwelttechnikexperte Thorsten Henzelmann, der in groß angelegten Studien die Potenziale der deutschen und der europäischen Umweltindustrie untersucht. Es gebe jedoch einen entscheidenden Unterschied zur New Economy: „Bei der Umweltbranche handelt es sich um eine Industrie mit seriösen Geschäftsmodellen, mit denen bereits bestes Geld verdient wird.“ „Wir stecken mittendrin im Boom der Umwelttechnologien“, sagt Josef Auer, Maschinenbau- und Energieexperte von Deutsche Bank Research. Angesichts des Klimawandels sei die Luft schon heute „vielfach ein limitierender Produktionsfaktor, der bereits über Versicherungsbeiträge oder Verschmutzungszertifikate eingepreist ist“. Absatzchancen bieten sich in Ländern, die den Umwelt- und Klimaschutz bislang eher belächelten – und die nun von einer wahren Ökowelle überrollt werden.

Beispiel USA: Präsident George W. Bush und Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger – die früher nicht gerade als Ökoeiferer aufgefallen sind – überbieten sich nun in Sachen Umweltpolitik. Bush sieht das Kyoto-Protokoll mit seinen Obergrenzen für die Emission von Treibhausgasen zwar immer noch als Wachstumsbremse an, wird in wenigen Tagen jedoch voraussichtlich einen Kurswechsel in der Energiepolitik ankündigen und einen verstärkten Einsatz von Biokraftstoffen fordern. „Terminator“ Schwarzenegger sicherte mit einem entschlossenen Umweltkurs gar seine Wiederwahl im vergangenen November. Er will künftig selbst entscheiden, wie abgasarm Autos sein müssen, damit sie in Kalifornien verkauft werden dürfen. Kalifornien hat bis 2016 knapp drei Milliarden Dollar eingeplant, um Hausdächer mit Solarzellen zu bestücken, und sich verpflichtet, bis 2025 den Ausstoß von Treibhausgasen um 20 Prozent zu senken. Was sich Schwarzenegger davon vor allem erhofft, sind Jobs für Kalifornien, wo im Silicon Valley ein wahres Mekka der Umwelttechnik heranwächst. Beispiel Großbritannien: Die britische Regierung hievte sich mit dem umstrittenen Klimagutachten des ehemaligen Chefökonoms der Weltbank, Nicolas Stern, aus ihrem Umfragetief. Der Gutachter schreckte die Welt mit der Aussage auf, dass der industriell bedingte Klimawandel bis zu 20 Prozent des weltweiten Wirtschaftswachstums aufzehren könnte. Seither haben die Briten ein neues politisches Lieblingsthema, und die Regierung lässt sich für die Poleposition in der Klimadebatte feiern. Beispiel Frankreich: Für eine spektakuläre umweltpolitische Kehrtwende sorgte der prominente Tierfilmer und Ökologe Nicolas Hulot. Mit der Androhung einer eigenen Kandidatur im Präsidentschaftswahlkampf macht der TV-Star die Wahlkampfstrategen der großen Parteien nervös. Umfragen zufolge wären über 50 Prozent der Franzosen bereit, ihm ihre Stimme zu geben. Hulot fordert einen „Umweltpakt“ des nächsten Präsidenten mit den Bürgern. Die Spitzenkandidaten der großen Parteien sehen sich genötigt, den Umweltpakt öffentlich zu unterstützen und wetteifern um Fototermine mit Hulot. Angeheizt wird der umweltpolitische Klimawechsel in den USA und Westeuropa von der aktuellen Wetterlage. Westeuropa erlebt derzeit, so die Berechnungen von Meteorologen, das wärmste Wetter seit 1300 Jahren – und mit dem Orkan Kyrill, der in der vergangenen Woche über Deutschland tobte, ein ebenso seltenes wie gefährliches Naturereignis. Viele alpine Skigebiete zeigen sich in saftigem Frühlingsgrün. Und das dürfte langfristig auch so bleiben: Nach einer Studie der OECD könnte in den kommenden 20 Jahren die Zahl der Skipisten in den Alpen um rund zwei Drittel abschmelzen. Schweizer Banken lehnen es schon heute ab, Skianlagen unter 1500 Metern zu finanzieren

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