Lebensmittelherstellung Nano-Food ruft Kritiker auf den Plan

Pizza, die ihren Geschmack verändert. Milch, die rot wird, wenn sie verdirbt. Die Einsatzmöglichkeiten der Nano-Technik in Lebensmitteln scheinen vielfältig - die Risiken auch. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz warnt bereits vor Gesundheitsschäden durch Zwergenpartikel. Forscher und Industrie können dagegen kein Problem erkennen.

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Nanopartikel könnten die Lebensmittel-Produktion revolutionieren. Quelle: dpa Quelle: handelsblatt.com

DÜSSELDORF. Die "Universalpizza" wird oft als Beispiel genannt für die Möglichkeiten der Nanotechnik. Winzige Partikel mit unterschiedlichen Aromen könnten der Pizza einen bestimmten Geschmack geben, je nachdem bei welcher Leistung sie in der Mikrowelle gebacken wird. Hawaii, Salami oder Quattro Stagioni, nur eine Frage der Wattzahl.

"Ich weiß nicht, wer so etwas essen würde. Ich jedenfalls nicht", sagt Frans Kampers von der Universität Wageningen. Kampers erforscht die Möglichkeiten der Nanotechnologie für Lebensmittel. Eine "Pizza Multi" gehöre auf absehbare Zeit sicher nicht dazu, sagt er.

Die Vorsilbe "Nano" beflügelt offenbar die Fantasie: Milchshakes, die ihren Geschmack verändern, je nachdem, wie stark sie geschüttelt werden, Nahrungsmittel, die im Körper erkennen, welche Nährstoffe fehlen und diese Vitamine und Spurenelemente entsprechend abgeben, Milch, die rot wird wenn sie verdirbt. All das soll möglich sein - und viel Geld bringen. Die Unternehmensberatung Helmut Kaiser hat 2004 euphorisch prognostiziert, dass der Markt mit Nanolebensmitteln inklusive nanotechnisch veränderten Verpackungen 2010 20 Milliarden US-Dollar betragen wird.

"Gerade für Getränkehersteller ist die Technologie interessant", sagt Kampers. Denn Konsumenten bevorzugen klare Flüssigkeiten. Möchte man einem Drink nun bestimmte Stoffe beimischen, um ihn zum Beispiel gesünder zu machen, dann geht das am Besten mit Nanoteilchen. Denn die sind kleiner als die Wellenlänge des sichtbaren Lichtes. Darum streuen sie es kaum, das Getränk erscheint nicht milchig. "Es gibt auch viele Substanzen, die nicht besonders gut schmecken, die man dem Essen aber gerne hinzufügen würde", sagt Kampers. Nanokapseln könnten diese Stoffe verpacken, so dass sie erst im Magen verfügbar werden und den Geschmack nicht verändern.

Umstritten sind solche Pläne, weil die Risiken noch weitgehend unklar sind. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) warnt vor Nanolebensmitteln - und behauptet weltweit seien schon bis zu 600 Lebensmittel mit Nanozusätzen auf dem Markt. "Wir gehen davon aus, dass Nanotechnologie auch in Deutschland schon in einigen Lebensmitteln enthalten ist", bestätigt Jurek Vengels vom BUND. Die Lebensmittelindustrie widerspricht. Nanotechnologie erforsche man vor allem für Verpackungen. Bisher kommen künstliche Nanopartikel nur in Nahrungsergänzungsmitteln zum Einsatz, die zum Beispiel die Firma Aquanova anbietet.

"Ich denke allerdings, es wird mehr werden und das ist auch das Ziel der Industrie", sagt Vengels. Bei Kraft Foods Deutschland reagiert man genervt auf die Vorwürfe: "Das ist Unsinn. Warum sollten wir etwas in unsere Lebensmittel tun, das die Verbraucher doch offensichtlich nicht wollen", heißt es von einer Sprecherin, die nicht namentlich genannt werden möchte. Eines der größten Probleme ist, dass schon darüber keine Einigkeit herrscht, was eigentlich Nano ist. Auf vielen Lebensmittelverpackungen findet man E551 verzeichnet, amorphes Siliziumdioxid, auch Kieselsäure genannt. Das Pulver bindet Flüssigkeit und verhindert dadurch, dass etwa Gemüsebrühe verklumpt. Als "Rieselhilfe" wird es seit Jahrzehnten eingesetzt. "Da waren schon immer Nanopartikel drin", sagt Kampers. Die Größenverteilung der Partikel sei aber bislang sehr breit, so dass nur ein kleiner Teil des Siliziumdioxids unter 100 Nanometer groß sei. Mit neuen Methoden stelle man nun nur noch die gewünschten winzigen Teilchen her. Es sei also kein neues Produkt.

"Wenn sich die Produktionsweise geändert hat, dann sollte man auch die Sicherheit noch einmal neu bewerten", fordert dagegen Vengels. "Wir brauchen ein klares Kriterium und da gibt es zur Zeit nur die Größe. Dass das sehr unscharf ist, ist uns bewusst."

Andreas Hensel, der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung hält diese Definition für unsinnig. "Man könnte ja auch sagen, wir forschen an allem, das kleiner ist als ein Kilometer, das wären dann Häuser ebenso wie Fußbälle oder Zuckerwürfel."

Die meisten Lebensmittel beinhalten Strukturen in Nanogröße, etwa die Casein-Mizellen in Milch (Bild). "Wenn wir die Eigenschaften dieser Lebensmittel ändern wollen, müssen wir auch diese Nanostrukturen ändern", erklärt Kampers. Nichts anderes passiert beim Eierkochen. Durch Wärme ändern die Eiweiße ihre Form, das Ei wird hart. "Wir kochen, um die Nanostruktur von Lebensmitteln zu verändern", sagt Kampers.

Die Kritiker lassen das nicht gelten: "Wir interessieren uns nicht für die natürlichen Nanomaterialien, die ohnehin in Lebensmitteln enthalten sind, sondern die, die künstlich auf die Größe gebracht wurden", sagt Vengels. "Die sind sicher nicht alle gefährlich, aber da gibt es Risiken."

Forschungsbedarf sieht auch Risikobewerter Hensel: "Wir müssen verstehen, was bestimmte Teilchen gefährlich macht oder ungefährlich." Dass es bei bekannten Substanzen wie Siliziumdioxid, Effekte gebe, die noch nicht entdeckt worden seien, hält er aber für unwahrscheinlich. "Es gibt keinen gesicherten Hinweis darauf, dass wir ein Nanoproblem haben", sagt er.

Eine Kennzeichnungspflicht lehnt Hensel ab, da sie nicht zu überprüfen wäre. Es gebe keine Möglichkeit, Nanopartikel oder Nanostrukturen in Lebensmitteln verlässlich zu identifizieren und von natürlich vorkommenden Strukturen dieser Größe zu unterscheiden.

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