Erneuerbare Energien Schwimmendes Wasserrad soll Energie liefern

In Mecklenburg erleben Wissenschaftler derzeit ihr „blaues Wunder“. Das gleichnamige Mini-Wasserkraftwerk, das hier getestet wird, soll einmal in Entwicklungsländern Strom produzieren.

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Das schwimmende Strömungskraftwerk soll Wasserkraft auch da nutzbar zu machen, wo Höhen- oder Druckunterschiede der Gewässer sehr gering sind. Quelle: handelsblatt.com

Bei eiskaltem Winterwetter tauchen die stählernen Schaufeln der blauen Wassermühle ins klare Nass der Warnow. Mit gerade einmal fünf Umdrehungen je Minute läuft das schwimmende Kraftwerk eher bedächtig in dem etwas trägen Flüsschen. In der flachen Landschaft nahe dem mecklenburgischen Sternberg, wohin sich sonst allenfalls Paddler oder Angler verirren, haben Wissenschaftler derzeit ihr Quartier aufgeschlagen. In Schneejacken und Pudelmützen hocken sie, Laptops auf den Knien, am Warnowufer und verfolgen gespannt die Stromkurve ihres „blauen Wunders“.

In dem europaweiten Forschungsprojekt „Hylow“ (Hydropower Converter for Very Low Head Differences - Wasserkraftwerk für sehr niedriges Gefälle) suchen Wissenschaftler nach Wegen, Wasserkraft auch da nutzbar zu machen, wo Höhen- oder Druckunterschiede der Gewässer sehr gering sind. Ziel ist die Entwicklung günstiger und umweltfreundlicher Wasserkraftwerke für geringe Höhenunterschiede oder langsam fließende Gewässer mit Geschwindigkeiten von nur ein bis zwei Metern pro Sekunde.

An der europäischen Entwicklung eines „Free Stream Energy Converters“ - eines schwimmenden Strömungskraftwerks im Mini-Format - sind von 2008 bis 2012 zehn Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft unter Federführung der Universitäten Southampton (Großbritannien) und Rostock beteiligt. Ohne Gefälle oder gar künstliche Staudämme soll so ein Kleinstwasserkraftwerk etwa aus der natürlichen, leichten Strömung flacher Flüsse Energie für ein bis zwei Familien liefern, wie der Projektverantwortliche Frank Weichbrodt erläutert. Das Baumaterial spiele dabei keine Rolle. Stahl, Kunststoff oder auch Holz seien möglich, erklärt Weichbrodt.

Vorbilder für solche Wasserräder gab es bereits in der Antike etwa vom römischen Architekten Vitruvius. Das Mecklenburger Modell, das bis Ende März in der Warnow und im September dann unter Tidenbedingungen in der Ems in Niedersachsen getestet wird, bringt mit eineinhalb Metern Höhe bei einer langsamen Fließgeschwindigkeit von nur gut einem Meter je Sekunde eine elektrische Leistung von 750 Watt.

Das Messmodell sei Vorbild für künftige größere Drei-Kilowatt-Anlagen, sagt Weichbrodt. Mit einem Handbuch für jedermann wollen die Forscher in einem Jahr Menschen ohne Netzanschluss - ob nun in Entwicklungsländern oder auch in abgelegenen Siedlungen Skandinaviens, Osteuropas, Russlands - Baupläne und -anleitung für Wasserräder kostenlos zur Verfügung stellen.

Bedarf sehen Entwicklungshelfer der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Es gebe einen Trend hin zu dezentralen Kleinanlagen auf Basis erneuerbarer Energien für die Stromversorgung in Afrika, Asien und Lateinamerika, sagt ein Sprecher. Schwer zugängliche Gebiete etwa in Ruanda, Uganda, Äthiopien, Mosambik oder Madagaskar könnten mit Hilfe von Kleinwasserkraftanlagen elektrifiziert werden, erklärt Energieberater Andreas Michel. In Asien biete Indonesien gute Bedingungen für Wasserräder. Die Turbinen für Entwicklungsländer müssten preiswert, effizient, einfach zu warten und gut vor Diebstahl zu sichern sein, betont der Experte.

Die Idee des schwimmenden Generators sei nicht neu, betont Weichbrodt. Schon die alten Römer hätten vor tausend Jahren in Schiffsmühlen auf Flüssen Korn gemahlen. In Deutschland stellte 1907 eines der letzten schwimmenden Mahlwerke auf der Weser bei Minden in Nordrhein-Westfalen den Betrieb ein. Seit 1998 dreht sich dort eine rekonstruierte Museumsmühle.

Das Wasserrad in Mecklenburg soll aber nicht nur zuverlässig Energie liefern, sondern auch die Umwelt schonen, erklären die Wissenschaftler. Fische und Sedimente könnten die im Fluss verankerte Anlage nahezu ungehindert passieren, meint Biologe Simon Karlsson aus Southampton. Dennoch werde er einige Aale, Barsche und Forellen markieren, um ihr Verhalten länger beobachten zu können, sagt er.

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