Apples iPad "Wage niemand, es mir zu schenken"

Neidisch blickt die Konkurrenz auf Apples "i"-Produkte - sie schaffen bei den Kunden eine hohe Identifikation. Das Geheimnis liegt bei iPod und Co: Auffällig, aber asketisch, leistungsfähig, aber empflindlich. Das iPad soll nun die Lücke zwischen iPhone und Laptop schließen. Ob das klappt, ist mehr als fraglich.

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Steve Jobs mit iPad: Apples neuer Hoffnungsträger. Quelle: ap Quelle: handelsblatt.com

Apples Next Big Thing heißt iPad und sieht aus wie ein viel zu groß geratener iPod Touch. Zehn Jahre nach dem G4 Cube, dem gefloppten Würfelrechner, macht Steve Jobs seine Fans wieder unruhig. Es beginnt beim Namen. Mit Sakko, aber ohne Krawatte noch halbwegs businessmäßig gekleidet, erklärte Jobs bei seiner Rückkehr 1998, wofür der Buchstabe des Jahrhunderts überhaupt steht: "i" wie Internet, Individualität, Instruktion, Information, Inspiration. Die Idee kam gut an, so wurde eine ganze Familie von Hard- und Software geboren: iChat, iPhoto, iWeb, iTunes, iSync, iPod, iCam, iPod, iPhone ...

Heute steht das "i" klar für ich: iWork, iLife. "I, Robot" möchte man sagen, nach Alex Proyas? Science-Fiction-Film. Denn wie Roboter reagieren Apple-Fans auf jede Neuigkeit. Man sagt iPhone und meint ichTelefon: mein Telefon und ich - gleichberechtigt. Kein Hersteller der Welt hat jemals bei seiner Kundschaft ein tieferes und breiteres Identifikationsniveau erreicht.

Das Geheimnis liegt im Produkt: ostentativ, aber asketisch, leistungsfähig, aber empfindlich. Unvollkommen wie ein Baby, wollen iPod & Co. nicht nur bewundert, sondern auch versorgt und behütet werden. Mittlerweile ist es völlig normal, dass hunderttausend Euro teure, klavierlackglänzende Autos auf offener Straße herumstehen, während Apples kleine Schöpfungen permanent mit einem Gummi- oder Lederschutz umhüllt werden. Wie durch ein Wunder kehrt eine verwöhnte Konsumgesellschaft zum romantischen Gebrauchsmuster der Nachkriegsgeneration zurück, lassen sich 100 Millionen Menschen von der wunderbaren iWelt verführen.

Nur nicht beim iPad. Es fängt schon beim Namen an. iPod klingt überzeugend designig und cool, iPhone sticht mit unmissverständlichem Selbstbewusstsein. Aber iPad? Da fehlt es sowohl an Coolness als auch an der Selbstverständlichkeit. Denn die Assoziation mit Notepad ist nicht gerade prickelnd, ein ThinkPad hatte schließlich IBM schon. Doch es kommt noch schlimmer. Pads steht im angelsächsischen Raum für Damenbinden, in Deutschland abwechselnd für Wattebausche und portioniertes Kaffeepulver.

Die lang erwartete Schließung der Lücke zwischen iPod/iPhone und Laptop erfolgt durch ein wahrhaftig eigenwilliges Ding. Es sieht aus wie eine Karikatur des iPhone oder wie ein halbes MacBook Air. Es kann alles, was ein iPhone auch kann, nur nicht telefonieren und fotografieren. Und es kann nicht alles, was ein Laptop kann. Vor allem nicht wirklich arbeiten, fehlen doch ein USB-Anschluss und die Fähigkeit, Flash-Inhalte zu zeigen. Mit seiner Din-A4-Größe will das iPad im E-Book-Reader-Geschäft mitmischen. Doch egal, wie wundervoll sein Touchscreen auch animiert ist, Textseiten in der Qualität eines Amazon Kindle kann es nicht anzeigen.

Dafür verspricht das iPad einen völlig neuen Umgang mit Webseiten oder, wie Steve Jobs (inzwischen mit Jeans und schwarzem Pullover auf der Bühne) sagt: "It's like holding the Internet in your hands." Mit beiden Händen, als ob das bequem wäre, hält man ein anderthalb Pfund schweres, sperriges Gerät, das mit seinem ungeschützten Schirm selbst unkritischen Fans überempfindlich vorkommen dürfte.

Schon kursiert im Internet ein Video, in dem die letzte Szene des Hitler-Films "Der Untergang" neue englische Untertitel bekommen hat. In einem Wutausbruch greift der Führer das iPad und dessen Schöpfer an. Selbst wenn Apple bei der Ausstattung nachbessern sollte, dem erklärungsbedürftigen Zwischengerät würden weiterhin zwei für den Erfolg essenzielle Eigenschaften fehlen: Identität (ichWas?) und Intimität (ichWie?).

Aber was heißt hier überhaupt Erfolg? 2,5 Millionen Macs, fünf Millionen iPhones, zehn Millionen verkaufte iPods pro Quartal sind eine unvorstellbare Menge. Angesichts dieser Zahlen wäre selbst eine Million verkaufte iPads - für die meisten Hersteller ein Segen - als Flop zu betrachten.

Ich wette, es werden eher weniger als mehr sein. Es fällt zwar nicht leicht, "Steve Allmächtig" einen Flop vorherzusagen, doch der Untertitel im Film "Der Untergang" könnte für Apple zur bitteren Wahrheit werden: "Wage niemand, es mir zu schenken". Im Original heißt es übrigens: "Der Krieg ist verloren."

Paolo Tumminelli ist Designprofessor (FH Köln) und Gründer von goodbrands (tumminelli@goodbrands.de).

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