Pro und Contra Wikileaks - Gefahr oder Gewinn für die Meinungsfreiheit?

Wie weit darf Transparenz gehen? Nützt die massenweise Veröffentlichung von Dokumenten der Freiheit oder gefährdet sie wichtige Grundrechte? Die WirtschaftsWoche-Redakteure Niklas Hoyer und Oliver Voß kommentieren die Wikileaks-Debatte.

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Stoppt Wikileaks

Freiheit und Transparenz über alles! Das ist derzeit das Motto der lautstarken Wikileaks-Befürworter. Die massenweise Veröffentlichung interner Dokumente nützt der Freiheit aber nicht, sie gefährdet sie.

von Niklas Hoyer

Wikileaks-Demonstration Quelle: dapd

Im Internet kursieren derzeit viele Sinnsprüche. Von Freiheit ist dort die Rede, von Transparenz, von bösen Supermächten und scheinbar ohnmächtigen Widerständlern, die zum Gegenschlag ansetzen. Seitdem Wikileaks-Chef Julian Assange in Großbritannien festgenommen worden ist und das Internetportal zeitweise nicht mehr erreichbar war, trifft eine Protestwelle auf alle, die ihre Stimme gegen die Enthüllungs-Plattform erheben. Doch die Forderung, dass Wikileaks weitermachen muss, dass nur Transparenz ohne Grenzen unsere Freiheit sichert, ist gefährlich und naiv. Freiheit ohne Grenzen ist keine Freiheit. Wikileaks schadet deshalb mehr, als es nützt.

Sicherlich: Assanges Festnahme wirkt merkwürdig. Ob die Vergewaltigungsvorwürfe haltbar sind, müssen Gerichte klären - unvoreingenommen und unabhängig von Assanges Aktivitäten für Wikileaks. Wenn Gegner der Enthüllungsplattform versuchen, diese mit gezielten Hackerangriffen unzugänglich zu machen, ist auch das nicht der richtige Umgang mit unliebsamen Mitmenschen. All das ändert nichts daran, dass die Plattform einen großen Fehler begeht.

Die Freiheit des Einen endet an der Freiheit des Anderen. Auch so ein Sinnspruch. Aber einer mit Substanz. Jedes Mal wenn interne Unterlagen, vertraulich gesprochene Worte oder heimliche Video-Aufnahmen in die Öffentlichkeit gezerrt werden, geschieht Unrecht. Die Rechte desjenigen, der auf die Vertraulichkeit vertraut hatte oder von der Aufnahme nichts wusste, werden verletzt. Trotzdem ist dies immer wieder nötig, weil zum Beispiel nur so ein Missstand aufgedeckt werden kann. Das größere Unrecht, das so publik gemacht wird, muss dann das kleinere Unrecht rechtfertigen: den Verstoß gegen die Vertraulichkeit. Insofern nehmen Demokratien den Einzelnen in die Verantwortung - er muss mit seinen Grundrechten verantwortungsvoll umgehen.

Bei einzelnen Dokumenten ist es wichtig und richtig, dass Wikileaks sie veröffentlicht. So war es zum Beispiel im April, als Wikileaks ein Video aus dem Irak verbreitete. Dort war zu sehen, wie amerikanische Soldaten aus einem Hubschrauber Zivilisten erschossen und dies zynisch kommentierten. Auch in den aktuellen Unterlagen stecken einige wichtige Fakten - so sollen US-Diplomaten ranghohe Mitarbeiter bei den Vereinten Nationen ausspioniert haben.

Ob es solche aufdeckenswerten Fakten in den Dokumenten gibt oder nicht, interessiert Wikileaks aber kaum. Allein die Tatsache, dass es eine undichte Stelle - ein Leak - gibt, reicht schon als Grund zur Veröffentlichung. Aktuell will die Plattform rund 250.000 interne Dokumente des US-Außenministeriums veröffentlichen - bislang ist nur ein Bruchteil davon im Netz zu finden. Ob Leser darin nur Belanglosigkeiten lesen oder über wirkliche Missstände informiert werden, ist egal. Wikileaks nimmt in Kauf, dass mit der Veröffentlichung auch die Rechte einzelner Personen, die zufällig in den Dokumenten auftauchen, verletzt werden. Schon hier zeigt sich, dass Assanges Aussage, Regierungen müssten transparent sein, aber nicht Einzelne, ins Leere läuft.

Die Befürworter der Seite machen es sich zu leicht, wenn sie in Wikileaks einfach die Guten, in Supermächten wie den USA die Bösen sehen. Für Demokratien ist es lebenswichtig, dass Menschen frei ihre Meinung äußern können und die Presse frei ist. Jeder muss Missstände aufdecken können. Im Grundgesetz heißt es dazu: "Eine Zensur findet nicht statt" Der Einzelne muss deshalb aber nicht damit leben, dass zum Beispiel falsche oder irreführende Informationen über ihn veröffentlicht werden. Er kann sich rechtlich gegen solche Veröffentlichungen wehren. Wenn die technischen Möglichkeiten des Internets genutzt werden, um ohne jegliche Einordnung oder Rechtfertigung massenweise interne Unterlagen zu veröffentlichen, werden solche nachträglichen Kontrollrechte zum stumpfen Schwert. Die Folgen könnten gefährlich sein.

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