Vattenfall-Chef Josefsson im Interview "Aufgeheizte Atmosphäre"

Vattenfall-Chef Lars Josefsson über die Zukunft der Atomenergie, steigende Strompreise und die Endlager-Frage.

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Lars G. Josefsson, Chef des Quelle: REUTERS

WirtschaftsWoche: Herr Josefsson, glauben Sie, dass Atomkraft nach der schwedischen Regierungsentscheidung von voriger Woche, wieder neue Reaktoren zu bauen, in ganz Europa noch mehr Zukunft hat als bisher?

Josefsson: Ja, aber auch vor diesem politischen Richtungswechsel gab es eine globale und eben auch eine europäische Renaissance der Atomkraft. Diese Entscheidung wird aber in die europäische Energiedebatte neue Bewegung bringen. Auch bei Ihnen wird ja nach der Kehrtwende in Schweden eine neue Diskussion entfacht.

In Deutschland ist der Koalitionspartner SPD strikt gegen Atomkraft.

Die Entscheidung in Stockholm hat ja auch nicht der liberal-konservative Regierungschef Reinfeld allein getroffen. Auch hier gibt es in einer großen Koalition aus vier Parteien starke Kräfte, die bisher strikt gegen Kernkraft argumentiert haben. Die Zentrumspartei in der schwedischen Regierung ist ein langjähriger Kernkraft-Gegner. Sie ist mit dem Beschluss über ihren Schatten gesprungen. Der Gesinnungswandel bei diesen Skeptikern ist besonders bemerkenswert.

Wird Vattenfall Atomkraftwerke bauen?

Wir wollen in Europa wieder Kernkraftwerke errichten. Die Vorbereitungen laufen. Aber solche Investitionen brauchen Zeit, die Genehmigungsverfahren dauern lang. Zunächst werden wir in Schweden die alten Kernkraftwerke mit neuen Reaktoren ausstatten und modernisieren, zum Beispiel Ringhals an der schwedischen Westküste.

Und woanders?

Auch in Großbritannien werden wir den Bau von Kernkraftwerken prüfen…

… zusammen mit den deutschen Versorgern E.On und RWE, die dort auch Meiler planen?

Eher in Konkurrenz zu ihnen.

Werden Sie auch in Russland investieren?

Wir konzentrieren uns auf die EU, denn wir finden, dass wir hier eine uns vertraute Managementkultur und einen einheitlichen Marktrahmen antreffen, der solche Großinvestitionen berechenbarer macht.

Aber für Osteuropa soll es bei Vattenfall Nuklearplanungen geben, zum Beispiel in Polen.

Das stimmt. Wenn die polnische Regierung Atomkraftwerke bauen will, sind wir interessiert. Man spricht in Polen zurzeit darüber. Viel konkreter sind solche Diskussionen in Litauen. Wir können uns auf jeden Fall vorstellen, dort zu investieren.

Wie konkret sind diese Planungen?

In Litauen könnte die Entscheidung in einem oder zwei Jahren kommen, in Polen in fünf Jahren.

Ihre deutschen Konkurrenten treten für eine Verlängerung der Laufzeiten bestehender Atomkraftwerke ein. Sie auch?

Es wäre klug, wenn die Laufzeiten verlängert würden. Die Rahmenbedingungen haben sich geändert: Wir haben eine Klimakrise, eine Rezession und eine Diskussion über Versorgungssicherheit und Energiepreise. Mein Rat ist, in dieser aufgeheizten Atmosphäre mit sehr unsicheren Zukunftsfragen Zeit zu gewinnen, das heißt eine Beratungspause einzulegen. Ob die deutschen Kernkraftwerke wirklich wie geplant in der ersten Hälfte des Jahrhunderts auslaufen sollen, darüber sollte man erst in drei, vier Jahren entscheiden, wenn man bei allen Unsicherheitsfaktoren in der Wirtschaft klarer sieht. Die Welt sieht heute nicht so aus wie vor zehn Jahren, als die Ausstiegsbeschlüsse der damaligen rot-grünen Regierung gefasst wurden.

Der deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel sagt, es gibt keine Lösung der Endlagerproblematik...

Deutschland hat mit Gorleben einen als geeignet festgestellten Standort. Herr Gabriel will aber, dass noch weitere mögliche Standorte untersucht werden. Tatsache ist, dass Deutschland die Frage der Endlagerung sowieso entscheiden muss, unabhängig davon, ob weiter Strom aus Kernkraft gewonnen wird oder nicht. In Schweden haben wir die Situation, dass zwei Standorte infrage kommen, und es gibt einen regelrechten Wettbewerb, da beide den Zuschlag für das Endlager erhalten wollen.

Führen Betriebsverlängerungen zu sinkenden Strompreisen?

Ohne sie wird der Strompreis in Deutschland weiter steigen.

In Schweden wird der Wiedereinstieg in die Atomkraft verbunden mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien. In Deutschland ist Vattenfall da nicht gerade ein Musterknabe. Ihre Braunkohlekraftwerke in Ostdeutschland sind doch noch Dreckschleudern.

Falsch, wir sind Umwelt-Musterknaben in Deutschland. Unsere Ingenieure sind dabei, ein CO2-freies Verbrennen von Kohle zu entwickeln. Unser Ziel ist es, in Deutschland eine klimaneutrale Erzeugung bis 2050 zu erreichen. Wir sind das einzige Energieunternehmen der Welt, das solche ehrgeizigen Pläne hat. Auch in Deutschland wollen wir beim CO2 zu Null-Emissionen kommen. Es ist technisch möglich, zu einer hundertprozentigen Reinigung zu kommen.

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