Energie Solarzelle gewinnt Strom aus Farbstoff

Die neueste Generation von Solarzellen imitiert die Fotosynthese: Zwei Australier haben einen Farbstoff entwickelt, der aus Sonnenlicht Energie erzeugt.

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Farbstoff-Solarzelle: Ahmt ide Fotosynthese nache

Am Anfang war das Blatt. Seit Jahrzehnten träumen Wissenschaftler davon, zu kopieren, was Bäumen spielend gelingt: Sonnenlicht mithilfe von Farbstoffen wie dem Blattgrün Chlorophyll in Energie zu verwandeln. Lange scheiterten Versuche, eine organische Alternative zur Silizium-Solarzelle zu entwickeln. Solarenergie auf Basis künstlicher Fotosynthese blieb Labortüftelei.

Das dürfte sich nun ändern. Australische Forscher wollen der Farbstoffsolarzelle in diesem Jahr zum Durchbruch verhelfen. Ihre Firma Dyesol hat einen lichtempfindlichen Farbstoffkomplex entwickelt, mit dem die Zelle so gut funktioniert, dass ihre Kommerzialisierung in greifbare Nähe rückt.

Strom könnte künftig überall fließen, wo die Farbe der Australier zusammen mit einer Mischung aus Nanopartikeln, Elektrolyten und Katalysatoren aufgepinselt wird: auf Autokarosserien und Mobiltelefonen, Fenstern und Folien, Markisen und Jacken, ja sogar Sonnenbrillen. Denn Farbstoffsolarzellen sind zwar farbig, aber zugleich transparent.

Bis Mitte dieses Jahres will das britische Startup G24i Handyladegeräte mit dem australischen Anstrich in den Handel bringen. Der zweitgrößte europäische Stahlkonzern Corus plant, massenhaft Fabrikdächer mit Strom erzeugenden Stahlplatten auszustatten. Und Forscher am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg experimentieren mit Glas, das mit Dyesol-Farbe Strom erzeugt und in ein bis zwei Jahren auf den Markt kommen soll.

Solarzelle funktioniert wie ein künstliches Blatt

Die neuartige Solarzelle funktioniert „wie ein künstliches Blatt“, sagt Michael Grätzel, Chemieprofessor an der renommierten Schweizer École Polytechnique Fédérale de Lausanne. „Es gab viele, die dachten, es sei gar nicht möglich, auf diese Art Strom zu erzeugen.“ Kritiker überzeugte Grätzel vom Gegenteil: 1991 bewies er, dass sich selbst mit getrocknetem Rote-Bete-Saft, Kaffee oder Rotwein Strom erzeugen lässt.

In Australien war die Faszination für die Erfindung besonders groß. Die damalige Regierung machte die Idee zur nationalen Vorzeigeinnovation. Die Bürokraten starteten ein Forschungsprojekt, erwarben eine Patentlizenz und verdrahteten Grätzel mit dem australischen Wissenschaftler-Ehepaar Sylvia und Gavin Tulloch.

Die Tullochs begeisterte nicht nur die Möglichkeit, die Natur zu imitieren. Weil die Zellen ohne teures Silizium auskommen und ihre Grundstoffe billig und einfach zu beschaffen sind, könnten sie für einen Bruchteil der Kosten hergestellt werden.

So groß die Faszination der Wissenschaftler war, so immens waren auch die Probleme, die ihnen die neue Technik zunächst bereitete: Das Innere der Solarzelle mit ihrer flüssigen Elektrolytlösung ließ sich nur schwer abdichten. Und obwohl Farbstoffsolarzellen im Labor mehr als elf Prozent des Sonnenlichts in Strom umwandelten, erreichten sie auf größeren Flächen nur einen Wirkungsgrad von sieben Prozent. Siliziumzellen erzielen eine Ausbeute von bis zu 20 Prozent.

Die australischen Forscher blieben dran. Sie testeten zig Kombinationen von Elektrolyten, Farbstoffen und Katalysatoren auf der Suche nach einem Mix, der das Lichtspektrum am effektivsten nutzt. Als ihnen das Geld ausging, belasteten die Tullochs ihr Haus mit einer Hypothek. Heute, 15 Jahre später, zahlt sich die leidenschaftliche Laborarbeit aus. Ihre Farbstoffpalette, basierend auf dem Platinmetall Ruthenium, gilt als so stabil, dass sich zahlreiche Unternehmen nun an die Kommerzialisierung wagen.

Dass die Effizienz der – Grätzel-Zellen genannten – Module noch immer nicht die der Siliziumzelle erreicht, sei unerheblich, sagt Rodney Rice, Manager für die Entwicklung von Fotovoltaikprodukten beim Stahlhersteller Corus in Großbritannien: „Die relativ billigen Materialien und die industrielle Größenordnung einer Produktion dürften Farbstoffsolarzellen kostengünstiger machen.“ Vom Halbleitermaterial Titandioxid etwa benötigt man nur winzigste Nanopartikel-Mengen. Und der Stoff ist so billig wie weiße Farbe aus dem Baumarkt.

Bis zu 100.000 Quadratmeter große Hallendächer will Corus mit Grätzel-Zellen beschichten. Die Technik erinnert an die Zubereitung eines Butterbrotes: Lage um Lage wird der Stahl mit den chemischen Zutaten bestrichen, bis er selbst ein neues Fotovoltaikprodukt ist. Das soll nach Angaben von Dyesol mindestens 20 Jahre halten und im Jahr 2015 einen Wirkungsgrad von immerhin 15 Prozent erreichen. Das entspräche dann einer Ausbeute von etwa 150 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr.

In einer Testanlage in Wales verfeinern Corus und Dyesol derzeit die Prototypen ihrer Strom erzeugenden Stahldächer. Bis Mitte des Jahres sollen sie Freiluft-Tests in britischem Nieselwetter bestehen. Um die Produktion in Europa zu beschleunigen, wird künftig ein noch nicht genannter deutscher Chemiekonzern die Zutaten liefern. Im kommenden Jahr sollen dann die ersten beschichteten Stahldächer ausgeliefert werden.

Auch das australische Militär hat Interesse an der Technologie bekundet und die lichtempfindlichen Grätzel-Zellen in einem mehrmonatigen Feldversuch getestet. Die Vision der Militärs: Statt schwere Lithium-Batterien mit sich herumzuschleppen, könnten Soldaten Strom erzeugende Tarnkleidung am Körper tragen, die selbst in einem sonnenarmen Unterschlupf noch einwandfrei funktionieren würde.

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