A380-Beinaheabsturz Triebwerke an den Grenzen des technisch Machbaren

Das Beinahe-Unglück des Superjumbos Airbus A380 hat die Flugbranche in Aufregung versetzt. Es zeigt, wie nah Triebwerke den Grenzen des technisch Machbaren sind. Wird Fliegen gefährlicher?

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Triebwerk des Airbus A380 Quelle: dpa

Der aufregendste Tag seines Lebens begann für Richard de Crespigny am Freitag vor einer Woche wie geplant: Frühstück, Fahrt zum Flughafen, Absprachen mit Kollegen. Dann startete der 53-jährige Pilot der australischen Fluglinie Qantas mit dem Superjumbo A380 von Singapur in Richtung Sydney.

Zwei Minuten nachdem der Flieger die Landebahn verlassen hatte, war es mit der Normalität bei Flug QF 32 vorbei: Nach einem kurzen Rumpeln explodierte eines der vier Rolls-Royce-Triebwerke vom Typ Trent 900 mit einem Knall. Scharfkantige Metallteile zerrissen nicht nur die Hülle des Flugzeugmotors. Sie beschädigten auch Autos auf der indonesischen Insel Batam, die der A380 in mehreren Kilometern Höhe überflog. Sofort startete der Pilot das Notfallprogramm, ließ mehrere Tonnen Kerosin ab und kehrte mit seinen 466 Passagieren zum Flughafen zurück.

Auch wenn das Flugzeug ohne Probleme landen konnte, war der Schaden immens: Einige Landeklappen funktionierten nicht, das Nachbartriebwerk des explodierten Motors ließ sich nur noch mithilfe von Löschschaum ausschalten, und Fluglinien strichen Flüge von A380-Maschinen mit Rolls-Royce-Motoren.

Lufthansa und Singapore Airlines, deren A380 ebenfalls mit Trent-900-Triebwerken fliegen, tauschten einen Teil ihrer Rolls-Royce-Turbinen aus.  Rolls-Royce hat nun eingestanden, dass ein Ölbrand den schweren Triebwerksschaden verursacht hat. Ursache war ein fehlerhaftes Bauteil, dass Rolls-Royce nun in der gesamten Serie seiner Trent-900-Triebwerke austauschen will. Airbus wiederum rechnet nun mit einer leichten Verzögerung bei den A380-Auslieferungen.

Der Grund des Beinahe-Absturzes scheint nun geklärt. Doch die meisten Branchenkenner sind sich einig, dass dies nicht der letzte größere Zwischenfall mit einem Triebwerk war.

Und das liegt nicht daran, dass die Hersteller beim Thema Sicherheit Kompromisse eingehen. „Wir tun alles Denkbare, um solche Unfälle zu verhindern“, versichert Rolls-Royce-Chef Sir John Rose. Wahrscheinlich stimmt das sogar. Triebwerksexplosionen gibt es mehrere Mal pro Jahr – meist aber verlaufen sie glimpflich.

Glühendes Inferno

Dennoch ist die Explosion über Indonesien ein Warnschuss. Sie zeigt, dass die Triebwerke der Passagierjets, die mit bis zu 20 Millionen Euro pro Stück nicht nur der teuerste, sondern auch der technisch anspruchsvollste Teil eines Flugzeugs sind, den Grenzen der Machbarkeit gefährlich nah sind: „Um den Verbrauch zu senken, drücken wir die Gesetze der Physik immer näher ans Limit“, sagt Sir John.

Schon jetzt herrscht in den Turbinen (siehe Grafik) eine Art kontrolliertes Dauerinferno: Im Extremfall drehen sich dort Zahnräder bei 40 Atmosphären Überdruck 1500 Stundenkilometer schnell. Dabei entwickeln die Turbinen eine Kraft von umgerechnet 50.000 PS und Temperaturen von 1600 Grad. Würden die Metallteile nicht ständig gekühlt, sie würden schmelzen wie Eiswürfel in heißem Kaffee.

Keine fünf Meter von dem glühenden Inferno entfernt sitzen nichtsahnend die Passagiere bei Kaffee oder Champagner.

Noch vor wenigen Jahren waren derartige Leistungen undenkbar. Bei modernen Triebwerken sorgt weniger der Abgasstrahl des Aggregats für den Antrieb, sondern der von vorne sichtbare, große Schaufelkranz, den die Turbine in der Mitte antreibt. Je größer der Kranz, so die Regel, desto mehr Schub hat ein Flugzeug. Um aber Schaufelkränze mit einem größeren Durchmesser bewegen zu können, braucht der Motor im Inneren mehr Kraft. Und die bekommt er vor allem über höhere Betriebstemperaturen in der Brennkammer. Doch viel mehr als die 1600 Grad sind mit heutigen Materialien nicht drin, weil dann die Metalle zu weich werden. Wer mehr will, muss den gesamten Antrieb neu denken.

Hersteller suchen Auswege

Nicht nur bei der Temperatur kommt die Technik an ihre Grenzen. Bereits im Sommer explodierte eine Rolls-Royce-Turbine im Testbetrieb. Aus Sicht von Experten bekam ein Teil zu wenig Öl und wurde so heiß, dass es sich verzog und dann explodierte. Auch die immer größeren Blätter des Fan genannten vorderen Schaufelkranzes kommen an ihre Grenzen, weil sie an den äußeren Punkten Überschallgeschwindigkeit erreichen.

Zwar haben die Ingenieure viel erreicht. Heutige Modelle wie der Airbus A380 machen im Vergleich zu einer Boeing 707 (siehe Bildergalerie) aus den Fünfzigerjahren nur noch ein Sechstel des Lärms und brauchen statt knapp zehn keine drei Liter Kerosin, um einen Passagier 100 Kilometer weit zu fliegen. Gleichzeitig halten die meisten Antriebe mehr als 20 Jahre.

Easyjets Open-Rotor-Konzept Quelle: Pressebild Easyjet

Nun aber ist die Branche an einem Punkt, an dem es immer schwerer wird, die Technik zu verbessern: „Früher gab es Verbesserungen beim Verbrauch von einer Generation zur anderen von 30 Prozent, jetzt sind zweistellige Verbesserungen schwerer zu erreichen“, sagt Analyst Dimitroff. Die Hersteller setzen daher auf neue Konzepte: GE auf die besonders leichte Leap-X-Turbine, Pratt & Whitney mit MTU auf ein Getriebe und Rolls-Royce auf den offenen Rotor (siehe Kasten).

Bis die neuen Antriebe aber startklar sind, kann es noch bis zu 15 Jahre dauern. Die Airlines jedoch brauchen sofort effizientere Maschinen. Sie müssen daher mit bestehender Technik ans Limit gehen.

Wie groß das Risiko dieser Strategie ist, zeigt der Fall Qantas. Weil die Fluggesellschaft besonders weite Strecken zurücklegen muss und dabei trotzdem sparsam bleiben will, ließ das Management ihre A380-Flotte mit einer hochgezüchteten Variante des Trent-900-Triebwerks von Rolls-Royce ausrüsten, das bei gleicher Bauweise mit einer anderen Elektronik fast vier Prozent mehr Leistung bringt.

Noch schneller, noch sparsamer – und wie sich jetzt zeigt, möglicherweise noch weniger berechenbar.

Explodiert ein modernes Triebwerke bei Qantas, kommt jede Hilfe zu spät. Zwar stecken die Aggregate in einer dicken Außenhaut aus dem besonders zugfesten Kunststoff Kevlar, die im Notfall umherfliegende Metallteile wie eine schusssichere Weste abfangen soll.

Doch bei Flug QF 32 ist die sogenannte Turbinenscheibe gebrochen, die mit kleinen Schaufeln die einströmende Luft für die Brennkammer verdichtet. „Die Turbinenscheibe ist so schwer und dreht sich so schnell, dass kein Material der Welt verhindern kann, dass Teile nach außen fliegen“, sagt Anton Binder, Leiter des Zivilgeschäfts des Münchner Triebwerksbauers MTU. Nicht umsonst werde das Bauteil „während der Herstellung penibel per Ultraschall und Röntgenstrahlen auf Unebenheiten und Einschlüsse geprüft“.

Dabei reizen die Turbinen-Ingenieure die technischen Grenzen nicht ganz freiwillig aus. Weder die Techniker von Rolls-Royce noch deren Kollegen bei den wichtigsten Wettbewerber Pratt & Whitney und General Electric (GE), die gemeinsam den Markt der Flugzeugmotoren dominieren. „Unsere Kunden verlangen von uns immer effizientere und umweltfreundlichere Motoren“, sagt Deborah Case, Marketingmanagerin bei GE Aviation.

Größter Umbruch seit Jahren

Die Luftfahrtbranche steht vor dem größten Umbruch seit Jahren: Einerseits steigt der Preis des Flugbenzins. Zugleich drohen Airlines immer strengere Umweltauflagen. Es ist eine Zwickmühle aus Kostenvorgaben und Innovationszwang.

„Das droht uns zu erdrücken“, sagt Giovanni Bisignani, Chef des Weltluftfahrtverbandes Iata. Denn wer jetzt nicht sparsamer fliegt, ist in wenigen Jahren pleite.

Doch Lufthansa & Co. haben ihre Passagierzahlen jedes Jahr im Schnitt um fünf Prozent gesteigert. Weil aber dank besserer Technik der Spritverbrauch nur um gut ein Prozent pro Jahr sank, nehmen in Summe damit die von Fluggesellschaften verursachten Emissionen zu. Das wird teuer. 2012 startet der EU-Emissionshandel für den Flugverkehr, der den Ausstoß an klimaschädlichem CO2 reduzieren soll. Gleichzeitig versuchen immer mehr Flughäfen laute Maschinen durch Sonderabgaben zu vertreiben. Die Maschinen müssen also nicht nur sparsamer, sondern auch leiser werden.

Zwar will die Branche Kerosin durch Biosprit ersetzen und so die Nettobelastung für das Klima senken. Doch bis es genug grünes Benzin gibt, wird es Jahre dauern. Also muss die Technik die Einsparungen bringen. Und „weil bei der Aerodynamik die Grenzen allmählich erreicht sind“, sagt Luftfahrtexperte Grossbongardt, „müssen die Motoren rund zwei Drittel der Verbesserungen bringen“.

Um im Spiel zu bleiben, gehen die Unternehmen nicht nur technisch, sondern auch finanziell an die Grenzen. „Sie verwetten praktisch mit jedem neuen Turbinentyp die Zukunft der Firma“, sagt Grossbongardt.

Dass dies keine theoretische Gefahr ist, wissen die Briten genau. Ende der Sechzigerjahre bekam Rolls-Royce eine neue Turbinenarchitektur nicht in den Griff: Die Triebwerke konnten nicht ausgeliefert werden und rissen das Unternehmen in die roten Zahlen. Um es zu retten, wurde der Triebwerkshersteller verstaatlicht.

Seitdem hat sich viel getan. Rolls-Royce hat seit den Achtzigerjahren ein neues Geschäftsmodell entwickelt: Die Briten bieten bis zu 80 Prozent Rabatt auf die Triebwerke und verdienen ihr Geld mit Wartung. Damit erweitert der Turbinenhersteller ein von Rasierermarken erdachtes Modell auf die Luftfahrtbranche: Das Prinzip billige Rasierer und teure Klingen wird zu billige Turbinen und teure Wartung.

Lückenlos überwacht

Die auf gut 20 Jahre angelegten Programme sorgen nicht nur für höhere und planbarere Einnahmen. Das System gibt den Herstellern auch tiefe Einblicke in die Funktionsweise ihrer Triebwerke. Denn mit dem Wartungsvertrag beginnt eine lückenlose Überwachung: Die Kraftpakete an den Flügeln liefern den Betriebszentren des Turbinenherstellers in Echtzeit alle wichtigen Leistungsdaten – egal, wo die Jets gerade weltweit unterwegs sind.

Am Rande der mittelenglischen Stadt Derby fließt das Wissen zusammen. Mit seinen Wänden aus Monitoren voller Flugzeugdaten und Fernsehern mit Nachrichtensendern gleicht der Raum einer Wertpapierbörse, nur dass die Techniker statt der Kurse Parameter wie Schub oder die Stellung der Triebwerksschaufeln beobachten und prüfen, ob die Turbine etwa nach einem Blitzschlag gleichmäßig läuft.

Die Fachleute erkennen neben Sicherheitsproblemen auch, wann ein Motor altert und für die gleiche Leistung mehr Kerosin in den Brennraum eingespritzt werden muss. In dem Fall informieren die Rolls-Royce-Ingenieure die Fluglinien, die dann bei der nächsten Wartung etwa die Turbinenschaufeln erneuern.

Bei Explosionen wie beim Qantas-Unfall helfen die Zentren nicht. „Das geht so schnell, dass wir den Piloten nicht warnen können“, sagt ein Fluglinienmitarbeiter.

Fliegen, da sind die Experten einig, ist dennoch nicht gefährlicher. „Haben eine Fluglinie oder ein Hersteller einen Unfall, weil sie an der Sicherheit gespart haben“, sagt Experte Grossbongardt, „sind sie schnell weg vom Fenster.“ Das wissen alle.

Statt Sicherheitsprobleme wird der scheinbar unüberwindbare Gegensatz aus Kostendruck und Spritsparzwang dazu führen, dass Flugpreise nicht mehr sinken. Mittelfristig, glauben Experten, werde Fliegen nicht unsicherer, aber teurer.

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