Abrüstung Wie Russland mit deutscher Technik Atom-U-Boote abwrackt

Seite 2/3

Murmansk Quelle: Igor Starkov für WirtschaftsWoche

In der Region Murmansk, wo Autofahrer durchaus mal von Braunbären überrascht werden und nachts Wölfe heulen, ist Detlef Mietann einer der wichtigsten Experten. Der deutsche Ingenieur hat früher für die Energiewerke Nord (EWN) im pommerschen Lubmin einen DDR-Reaktor abgebaut. Im Oktober 2003 beauftragte das Wirtschaftsministerium die EWN mit dem Murmansk-Projekt. Mietann übernahm den Job vor Ort.

Mit Mietanns Hilfe zerlegten die Partnern vom Moskauer Kurtschatow-Institut für Atomenergie bereits 39 U-Boote auf der Nerpa-Werft im Militär-Städtchen Sneschnogorsk, 25 Kilometer nördlich von Murmansk. Die ersten 33 verpackten, 13 Meter hohen Reaktorteile stehen bereits im Zwischenlager, einem ummauerten Hof unter freiem Himmel zwischen den Felsen in der hügeligen Saida-Bucht.

Salzwasser treibt das Gefahrenpotenzial in die Höhe

Bis 2014 soll einige Hundert Meter weiter in Richtung Festland ein Entsorgungszentrum in Betrieb gehen, eine riesige Halle aus Stahlbeton, ausgestattet mit einem speziellen Entlüftungssystem. Hier soll Atommüll aus dem gesamten Nordwesten Russlands gesammelt werden. Die Bauarbeiten laufen.

Solch ein Endlager wird dringend gebraucht: „Überall, wo U-Boote stationiert oder gebaut wurden, liegt heute radioaktiv verseuchtes Material herum“, sagt Kurtschatow-Chef Anatoli Warnawin. Strahlendes Kühlwasser zum Beispiel, das in Bottiche gekippt und im Erdboden versenkt wurde. Oder Werkzeug, das zur Instandhaltung des Reaktors diente und in Lagerhallen liegen blieb. Der strahlende Müll findet sich quer durch das ganze Land: in Häfen von Wladiwostok oder Murmansk, in Werften wie Komsomolsk am Amur oder Sewerodwinsk am Nordmeer.

Doch die größte Gefahr sind die U-Boote selbst. 87 Wracks rosten in den Fjorden der Barentssee, „und die können uns große Probleme machen“, sagt Oleg Jerin von der Nerpa-Werft. Jerin ist ein bulliger Mann, mit kahl geschorenem Kopf und Doppelkinn. Er sieht aus, als sei er noch selbst beim Militär. Dabei arbeitet der 42-Jährige als Kaufmann auf der Werft und ist für internationale Angelegenheiten zuständig. Wenn die Boote im Wasser liegen, sei die Reaktorstrahlung zwar für Menschen vorerst ungefährlich, sagt er. Doch sie könne Fische und Pflanzen töten. Zudem zerfrisst das Salzwasser die Außenhaut und legt den Reaktor langsam frei, was die Strahlendosis und damit das Gefahrenpotenzial in die Höhe treibt.

Krebsfälle bei den Arbeitern

Alle paar Monate nimmt Jerin am Trockendock der Werft einen Unterwasserkoloss in Empfang. Braune Algen kleben am Rumpf des Riesen, wenn er ins Trockendock gezogen wird. Die Brennelemente sind zu diesem Zeitpunkt schon per Castor-Zug auf dem Weg ins Zwischenlager Majak bei Osjorsk am Ural. Zurück bleiben verstrahlte Wracks, die Jerins Arbeiter mit Schweißbrennern binnen sechs bis acht Monaten zerlegen.

Ein gefährlicher Job: „Natürlich gibt es unter den Kollegen Krebserkrankungen“, sagt Jerin, doch einen Zusammenhang mit der Arbeit an den U-Booten will er nicht sehen. Trotzdem zahlt die Werft ihren Schweißern eine Risikozulage.

Die Nerpa-Werft hat mit der größten U-Boot-Abwrackaktion der Geschichte bis dato rund 50 Millionen Euro verdient. Allein das Zersägen der Stahlkolosse kostet drei bis fünf Millionen Euro.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%