Architektur Wolkenkratzer: Im Höhenrausch

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Der höchste Wolkenkratzer der Welt

Aber nicht nur Sicherheitsbedenken bremsten Architekten und Investoren vorübergehend. Neuen Höhenflügen standen schon vor den New Yorker Anschlägen immense technische Hürden entgegen. Viele Fragen waren zu klären:

Wie halten 800 Meter hohe Gebäude dem enormen Winddruck stand, der sie bis zu drei Meter schwanken lässt? Wie gibt man solch schwergewichtigen Riesen in weichem Untergrund einen festen Stand? Wie pumpt man den Beton schnell genug nach oben, bevor er auszuhärten beginnt? Wie gelangen jeden Tag Tausende Bewohner und Besucher in angemessener Zeit in ihre Wohnung oder in die Büros. Wie müssen die notwendigen Aufzüge angeordnet sein, damit sie möglichst wenig wertvolle Fläche wegnehmen?

Wenn die Probleme so riesig sind, träumen Architekten gerne von einem Auftraggeber mit dicker Brieftasche und übergroßem Ego, einen vom Schlage des US-Immobilientycoons Donald Trump. Der engagierte im Frühjahr 2001 das Architekturbüro SOM aus Chicago. Das renommierte Team, das unter anderem den Sears Tower in Chicago gebaut hatte, sollte für Trump das höchste Gebäude der Welt bauen – 700 Meter und 160 Stockwerke hoch. Das entscheidende Treffen sollte am 11. September 2001 stattfinden. Der Einsturz der Twin Towers machte die hochtrabenden Pläne zunichte. Stattdessen wird nun in Chicago eine Miniatur-Ausgabe mit nur 92 Stockwerken errichtet.

Doch den Statiker Bill Baker und Architekten Adrian Smith von SOM ließ das Thema nicht mehr los – sie strebten nach Höherem. Für ein Wohnhaus mit 90 Etagen in Seoul, den Tower Palace III, entwickelten sie erstmals einen Y-förmigen Grundriss, um eine maximale Zahl von Fenstern pro Apartment zu erzielen. Wie der Statiker Baker feststellte, brachte die Grundform nicht nur mehr Licht ins Gebäude, sondern machte es auch windstabil und unglaublich leicht. Denn jeder einzelne der drei Flügel stützt seine beiden Nachbarn. Bläst der Wind gegen die eine Stütze, bleibt die dahinterstehende unbelastet und stabilisiert so das Hochhaus.

Einziger Haken der Konstruktion: Bei Höhen von 700 Metern und mehr würde das Haus unter dem Winddruck mächtig ins Schwingen geraten und seine Bewohner seekrank machen. Um das zu verhindern, verbanden Baker und Smith die drei Flügel fest mit dem Gebäudekern. Jetzt waren sich Smith und Baker sicher: „Das ist der Weg, wie es klappen könnte.“

Die Gelegenheit zur Erprobung des Konzepts ergab sich bald: Im Frühjahr 2003 saßen Smith und Baker in Manhattan zwei Entwicklern aus Dubai gegenüber, die das Unternehmen Emaar vertraten. Sie hatten nicht weniger im Sinn als mit dem Segen des regierenden Scheichs Mohammed bin Rashid al-Maktoum und den Mitteln der königlichen Familie das höchste Gebäude der Welt zu errichten. Mit jedem Treffen wurde der Burj Dubai höher: Erklärtes Ziel war es, den 101-Tower in Taipei zu überflügeln.

Rund 1,8 Milliarden US-Dollar wurden für das Projekt bereitgestellt. Rings um den Turm soll ein komplett neues Stadtviertel entstehen – Downtown Dubai mit 320.000 Luxusapartments, Büros, Parks und einem künstlichen See. Es soll im traditionellen arabischen Stil gebaut werden und dort orientalisches Flair ausstrahlen, wo vor wenigen Jahren nichts als Sand und Sonne waren. Die königliche Familie will so touristische Attraktionen schaffen für die Zeit nach dem Versiegen der Ölquellen. Schon im Jahr 2010 könnten diese Einnahmequelle für Dubai weitgehend erschöpft sein.

Für die beteiligten Architekten, Ingenieure und Statiker ist das Projekt eine immense Herausforderung. Dubai ist zwar kein Erdbebengebiet, doch der Wüstenwind Shamal, der mit bis zu 200 km/h blasen kann, ist für Hochhäuser eine ernste Gefahr. An einem Modell im Maßstab von 1:200 tüftelten die Ingenieure im Windkanal deshalb lange an der Struktur des Wolkenkratzers. Das Ergebnis: Der Turm erhält eine runde Form, die Stürmen wenig Angriffsfläche bietet. 26 Terrassen schwächen und leiten den Wind ab. Versteifungen in den unteren Geschossen machen den Turm zudem extrem verwindungssteif.

Beim Bau des Riesen in der Wüste wird jede Menge Technik aus Deutschland eingesetzt. Für seinen festen Stand sorgt Bauer Spezialtiefbau aus dem bayrischen Schrobenhausen. Die Spezialisten rammten 800 Betonpfähle bis zu 50 Meter tief in den Sand und verbanden sie mit einer 7000 Quadratmeter große Betonplatte zu einem stabilen Fundament.

Eines der drängendsten Probleme löste die Putzmeister AG aus dem schwäbischen Aichtal. Die Herausforderung: Wie kommt der Spezialbeton schnell vom Mischwerk am Boden in luftige Höhe? Die klassische Methode – den Beton in Kübeln zu gießen und mit Kränen nach oben zu ziehen – hätte viel zu viel Zeit gekostet.

Die findigen Schwaben entwickelten deshalb für das Hochhausprojekt eigens ein Rohr-Fördersystem mit speziellen Führungen der Rohre zum einfachen Auswechseln schadhafter Rohre und drei Hochleistungspumpen. Das funktioniert so gut, dass die Tüftler das System zum Patent angemeldet haben. Rund 30 Kubikmeter Beton lassen sich damit in einer Stunde auf 600 Meter Höhe pressen. Die flexibel aufgehängten Steigrohre sind, damit sie der mechanischen Belastung durch Kies und Wasser gewachsen sind, elf Millimeter dick. Ein Ultraschallgerät kontrolliert regelmäßig die Wandstärke, die mit jeder Betriebsstunde abnimmt, weil das Kies-Wasser-Gemisch wie Schmirgelpapier wirkt.

Eine Spezialrezeptur ist der Beton, der am Burj Dubai zum Einsatz kommt. Er hat nicht nur eine viermal so hohe Druckfestigkeit wie Normalbeton. Er bindet auch schon zwei Stunden nach dem Mischen ab. Knapp 20 chemische Zuschlagstoffe braucht es, um ihn pump- und fließfähig zu halten. Damit der Beton im Sommer bei Außentemperaturen von 50 Grad Celsius mit höchstens 30 Grad in die Schalung gelangt, muss er zudem mit Eis, das einen Teil des Wassers ersetzt, gekühlt werden. Betoniert wird in der heißen Jahreszeit ohnehin nur nachts. Tagsüber sind die Eisenbieger und Einschaler am Werk – oder der Kranmontagetrupp setzt die drei Kräne auf dem Dach des Rohbaus wieder um eine Etage höher. Mit dieser ausgeklügelten Logistik ist es möglich, alle drei Tage eine neue Etage fertigzustellen.

Höchste Präzision ist bei der Montage der silbern leuchtenden Aluminiumfassade erforderlich, die den Bau vor Wind, Regen, Sonne und Sandstürmen schützt. Die dafür notwendigen Spezialkenntnisse bringt ein mittelständisches Unternehmen aus Langenfeld bei Düsseldorf mit. Weltmarktführer Halfen liefert die Befestigungsschienen für die Fassadenelemente, die ohne Bohren schnell und exakt eingeklinkt werden können. „Eine Halfen-Schiene erspart das Bohren von 20 Löchern“, sagt Geschäftsführer Hans-Dieter Hardt. Die Schienen werden schon während des Baus einbetoniert. Sie sind so dimensioniert, dass sie enormen Belastungen standhalten.

Für den schnellen Transport der Hochhausbewohner zu ihren luxuriösen Apartments baut der US-Hersteller Otis 54 Hochleistungsaufzüge in den Turm ein. Der schnellste Lift der Welt wird mit 65 Kilometern in der Stunde nach oben fahren. Die Insassen werden von der Geschwindigkeit kaum etwas mitbekommen. Denn die Kabinen werden sanft beschleunigen und abbremsen. Zudem findet wie im Flugzeug ein automatischer Druckausgleich statt.

Doch bei allen Superlativen, mit denen der Burj Dubai protzt – die Jagd nach Rekorden geht weiter. Sicherheitschef Mahmed kann es kaum erwarten, dass der 1000-Meter-Koloss Al Burj in Bau geht. „Ich wäre dann gerne dabei“, sagt er.

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