Architektur Wolkenkratzer: Im Höhenrausch

Noch nie wurden so viele gigantische Wolkenkratzer hochgezogen. Der mit 818 Metern höchste entsteht gerade in Dubai – ein bautechnisches Meisterwerk. Was treibt Investoren und Architekten an?

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Noch im Bau: Der höchste Quelle: AP

Feheem Mahmed, der Sicherheitsbeauftragte aus Pakistan, winkt ab. Heute geht gar nichts mehr. Denn oben fegt der Wüstenwind Shamal mit mehr als 75 Kilometer pro Stunde durch den Bau. Das wäre viel zu gefährlich für die Arbeiter und natürlich erst recht für neugierige Besucher.

Erst am nächsten Tag gibt Mahmed grünes Licht für die Besteigung des Burj (gesprochen Burdsch, arabisch für Turm) Dubai, der nach seiner Fertigstellung im Sommer 2009 das höchste Haus der Welt sein wird. Der Außenaufzug, der mit seinem Drahtgeflecht einem großen Vogelkäfig gleicht, rattert mit einer Geschwindigkeit von zwei Metern pro Sekunde hinauf zur 113. Etage. Dann müssen wir umsteigen in einen kleineren Aufzug, der ebenfalls an der Außenwand angebracht ist. Mahmed und die mitfahrenden Eisenflechter und Betonbauer reden, lächeln und suchen in den Gesichtern der Besucher nach Zeichen der Angst. Endlich erreichen wir in 600 Meter Höhe die 150. Etage. Der Ausblick ist atemberaubend: Im Norden der Persische Golf und im Hintergrund die Gebirgszüge des Iran, im Süden nichts als Sand und Wüste. Und tief unter uns, so klein wie Sandflöhe, wuseln Autos durch die Straßen von Dubai.

Lange haben die Investoren die genaue Höhe des Burj Dubai geheim gehalten – aus Furcht, jemand könnte sie noch übertrumpfen. Doch jetzt verriet eines der beteiligten Unternehmen erstmals Details: Demnach sehen die Pläne eine Bauhöhe von exakt 818,75 Meter vor. Der Burj Dubai wäre damit tatsächlich das höchste Gebäude der Welt. Den derzeitigen Rekordhalter, den im Dezember 2004 fertiggestellten und 508 Meter hohen Taipei-Tower 101 in Taiwan, werden die Araber um über 310 Meter übertrumpfen. Allzu lange werden sie sich allerdings nicht mit diesem Weltrekord schmücken können. Denn schon sind in Dubai und Peking, Seoul, Kuwait, Moskau und Shanghai noch höhere Super-Wolkenkratzer in Planung.

Ende vergangenen Jahres zählte das Council on Tall Buildings and Urban Habitat (CTBUH), eine Architekten-Organisation mit Sitz am Illinois Institute of Technology in Chicago, die die Höhen der Gebäude misst und den prestigeträchtigen Titel „Höchstes Gebäude der Welt“ vergibt, weltweit 35 Wolkenkratzer mit Bauhöhen von wenigstens 300 Metern. „Wir erleben einen Wolkenkratzer-Boom wie noch niemals zuvor in der Architekturgeschichte“, staunt Philip Oldfield, der Forschungskoordinator des CTBUH.

Vor allem am Persischen Golf schießen Hochhäuser in den Himmel. Nur wenige Kilometer von der Baustelle des Burj Dubai entfernt soll Al Burj (der Turm) mit mehr als 1000 Metern Höhe entstehen, geplant von der Investorengesellschaft Naakhel aus Dubai. Kuwait plant bis 2015 die Fertigstellung des Burj Mubarak al-Kabir, der ebenfalls wenigstens einen Kilometer in die Höhe wachsen soll. Genauere Daten lassen sich die Bauherren nicht entlocken. Ähnlich wie beim Burj Dubai wollen sie sich die Option offen halten, die Konkurrenz in der letzten Minute noch mit einer riesigen Antenne um den einen oder anderen Meter zu übertreffen.

Auch in Asien und Europa sind neue Giganten mit 600 Meter Höhe und mehr in Planung und im Bau. In Moskau wird seit September vergangenen Jahres am Russia Tower gearbeitet, einem 612-Meter-Wolkenkratzer, den der britische Stararchitekt Norman Foster entworfen hat. Nur an den USA, dem Mutterland der Turmbauten, geht der gegenwärtige Hochhaus-Boom weitgehend vorbei.

In Chicago wurde 1868 das erste Hochhaus in Stahlskelettbauweise gebaut. Es hatte bescheidene 7,5 Stockwerke, jedoch erstmals einen Fahrstuhl. Weil die Erfindung des New Yorker Mechanikers Elisha Graves Otis Bewohner bequem nach oben brachte, waren sie bereit, für die Aussicht höhere Preise zu zahlen. Heute stehen von den 20 höchsten Türmen weltweit nur noch vier in den USA. China und Hongkong kommen auf ein Dutzend Häuser dieses Kalibers.

„Die Rekordtürme sind vor allem Symbolbauten“, sagt Werner Sobek, Stuttgarter Ingenieur und Architekt. Wirtschaftlich vermarkten und betreiben lassen sie sich nicht – trotz Preisen von 10.000 Euro pro Quadratmeter, wie sie beim Burj Dubai gefordert und anstandslos bezahlt werden. Denn mit jeder Etage wächst der technische Aufwand und steigen die Baukosten. „Soll das Hochhaus auf gleicher Grundfläche doppelt so hoch werden, steigt der Quadratmeterpreis bereits um das Achtfache“, rechnet Bill Baker vor, Statiker des Chicagoer Architekturbüros Skidmore, Owings and Merill (SOM), das den Burj Dubai geplant hat.

Doch solche Rechnungen werfen die Investoren, die hinter den Hochhausprojekten stehen, nicht um. Denn für sie geht es weniger ums Geld als ums Prestige und Image: Die Türme sollen weithin sichtbares Zeichen für Macht und Stärke sein.

Dieses Motiv stand schon hinter dem ersten Turmbau der Menschheitsgeschichte, von dem die Bibel erzählt. Ein Volk aus dem Osten, das in der Ebene Schinar lebte, dem heutigen Irak, beschloss als Symbol seiner Macht einen Turm zu bauen, mit „einer Spitze bis zum Himmel“. Gott jedoch glaubte, die Menschen seien größenwahnsinnig geworden und strafte sie für ihre Hybris mit der babylonischen Sprachverwirrung. Der Turm zu Babel, der nach Berechnung des vorchristlichen Völkerkundlers Herodot 192 Meter in den Himmel ragen sollte, konnte deshalb nicht fertiggestellt werden.

Eine Katastrophe weit schlimmeren Ausmaßes stellte die Architekturform gut 2000 Jahre später infrage. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, als die beiden Türme des World Trade Center in New York nach dem Einschlag zweier Düsenjets in sich zusammenstürzten, fragten sich Investoren und Behörden in aller Welt, ob der Bau solch leicht angreifbarer Riesengebäude noch zu verantworten sei. „Die Diskussion war nach dem Schock verständlich, ist aber Unsinn“, meint Sobek. Die Twin Towers waren mit einem Stahlskelett konstruiert. Die Träger schmolzen in der enormen Hitze, woraufhin das ganze Gebäude kollabierte.

Heute wird anders gebaut: Die neuen Super-Hochhäuser sind ausnahmslos Stahlbetonbauten. Bei einem Brand kann die Konstruktion viel höhere Temperaturen aushalten, ein abgedichtetes Treppenhaus soll das Vordringen giftiger Dämpfe verhindern und im Notfall eine sichere Evakuierung des Gebäudes ermöglichen. „Absolute Sicherheit“, schränkt Sobek ein, „wird es allerdings trotzdem nie geben.“

Der höchste Wolkenkratzer der Welt

Aber nicht nur Sicherheitsbedenken bremsten Architekten und Investoren vorübergehend. Neuen Höhenflügen standen schon vor den New Yorker Anschlägen immense technische Hürden entgegen. Viele Fragen waren zu klären:

Wie halten 800 Meter hohe Gebäude dem enormen Winddruck stand, der sie bis zu drei Meter schwanken lässt? Wie gibt man solch schwergewichtigen Riesen in weichem Untergrund einen festen Stand? Wie pumpt man den Beton schnell genug nach oben, bevor er auszuhärten beginnt? Wie gelangen jeden Tag Tausende Bewohner und Besucher in angemessener Zeit in ihre Wohnung oder in die Büros. Wie müssen die notwendigen Aufzüge angeordnet sein, damit sie möglichst wenig wertvolle Fläche wegnehmen?

Wenn die Probleme so riesig sind, träumen Architekten gerne von einem Auftraggeber mit dicker Brieftasche und übergroßem Ego, einen vom Schlage des US-Immobilientycoons Donald Trump. Der engagierte im Frühjahr 2001 das Architekturbüro SOM aus Chicago. Das renommierte Team, das unter anderem den Sears Tower in Chicago gebaut hatte, sollte für Trump das höchste Gebäude der Welt bauen – 700 Meter und 160 Stockwerke hoch. Das entscheidende Treffen sollte am 11. September 2001 stattfinden. Der Einsturz der Twin Towers machte die hochtrabenden Pläne zunichte. Stattdessen wird nun in Chicago eine Miniatur-Ausgabe mit nur 92 Stockwerken errichtet.

Doch den Statiker Bill Baker und Architekten Adrian Smith von SOM ließ das Thema nicht mehr los – sie strebten nach Höherem. Für ein Wohnhaus mit 90 Etagen in Seoul, den Tower Palace III, entwickelten sie erstmals einen Y-förmigen Grundriss, um eine maximale Zahl von Fenstern pro Apartment zu erzielen. Wie der Statiker Baker feststellte, brachte die Grundform nicht nur mehr Licht ins Gebäude, sondern machte es auch windstabil und unglaublich leicht. Denn jeder einzelne der drei Flügel stützt seine beiden Nachbarn. Bläst der Wind gegen die eine Stütze, bleibt die dahinterstehende unbelastet und stabilisiert so das Hochhaus.

Einziger Haken der Konstruktion: Bei Höhen von 700 Metern und mehr würde das Haus unter dem Winddruck mächtig ins Schwingen geraten und seine Bewohner seekrank machen. Um das zu verhindern, verbanden Baker und Smith die drei Flügel fest mit dem Gebäudekern. Jetzt waren sich Smith und Baker sicher: „Das ist der Weg, wie es klappen könnte.“

Die Gelegenheit zur Erprobung des Konzepts ergab sich bald: Im Frühjahr 2003 saßen Smith und Baker in Manhattan zwei Entwicklern aus Dubai gegenüber, die das Unternehmen Emaar vertraten. Sie hatten nicht weniger im Sinn als mit dem Segen des regierenden Scheichs Mohammed bin Rashid al-Maktoum und den Mitteln der königlichen Familie das höchste Gebäude der Welt zu errichten. Mit jedem Treffen wurde der Burj Dubai höher: Erklärtes Ziel war es, den 101-Tower in Taipei zu überflügeln.

Rund 1,8 Milliarden US-Dollar wurden für das Projekt bereitgestellt. Rings um den Turm soll ein komplett neues Stadtviertel entstehen – Downtown Dubai mit 320.000 Luxusapartments, Büros, Parks und einem künstlichen See. Es soll im traditionellen arabischen Stil gebaut werden und dort orientalisches Flair ausstrahlen, wo vor wenigen Jahren nichts als Sand und Sonne waren. Die königliche Familie will so touristische Attraktionen schaffen für die Zeit nach dem Versiegen der Ölquellen. Schon im Jahr 2010 könnten diese Einnahmequelle für Dubai weitgehend erschöpft sein.

Für die beteiligten Architekten, Ingenieure und Statiker ist das Projekt eine immense Herausforderung. Dubai ist zwar kein Erdbebengebiet, doch der Wüstenwind Shamal, der mit bis zu 200 km/h blasen kann, ist für Hochhäuser eine ernste Gefahr. An einem Modell im Maßstab von 1:200 tüftelten die Ingenieure im Windkanal deshalb lange an der Struktur des Wolkenkratzers. Das Ergebnis: Der Turm erhält eine runde Form, die Stürmen wenig Angriffsfläche bietet. 26 Terrassen schwächen und leiten den Wind ab. Versteifungen in den unteren Geschossen machen den Turm zudem extrem verwindungssteif.

Beim Bau des Riesen in der Wüste wird jede Menge Technik aus Deutschland eingesetzt. Für seinen festen Stand sorgt Bauer Spezialtiefbau aus dem bayrischen Schrobenhausen. Die Spezialisten rammten 800 Betonpfähle bis zu 50 Meter tief in den Sand und verbanden sie mit einer 7000 Quadratmeter große Betonplatte zu einem stabilen Fundament.

Eines der drängendsten Probleme löste die Putzmeister AG aus dem schwäbischen Aichtal. Die Herausforderung: Wie kommt der Spezialbeton schnell vom Mischwerk am Boden in luftige Höhe? Die klassische Methode – den Beton in Kübeln zu gießen und mit Kränen nach oben zu ziehen – hätte viel zu viel Zeit gekostet.

Die findigen Schwaben entwickelten deshalb für das Hochhausprojekt eigens ein Rohr-Fördersystem mit speziellen Führungen der Rohre zum einfachen Auswechseln schadhafter Rohre und drei Hochleistungspumpen. Das funktioniert so gut, dass die Tüftler das System zum Patent angemeldet haben. Rund 30 Kubikmeter Beton lassen sich damit in einer Stunde auf 600 Meter Höhe pressen. Die flexibel aufgehängten Steigrohre sind, damit sie der mechanischen Belastung durch Kies und Wasser gewachsen sind, elf Millimeter dick. Ein Ultraschallgerät kontrolliert regelmäßig die Wandstärke, die mit jeder Betriebsstunde abnimmt, weil das Kies-Wasser-Gemisch wie Schmirgelpapier wirkt.

Eine Spezialrezeptur ist der Beton, der am Burj Dubai zum Einsatz kommt. Er hat nicht nur eine viermal so hohe Druckfestigkeit wie Normalbeton. Er bindet auch schon zwei Stunden nach dem Mischen ab. Knapp 20 chemische Zuschlagstoffe braucht es, um ihn pump- und fließfähig zu halten. Damit der Beton im Sommer bei Außentemperaturen von 50 Grad Celsius mit höchstens 30 Grad in die Schalung gelangt, muss er zudem mit Eis, das einen Teil des Wassers ersetzt, gekühlt werden. Betoniert wird in der heißen Jahreszeit ohnehin nur nachts. Tagsüber sind die Eisenbieger und Einschaler am Werk – oder der Kranmontagetrupp setzt die drei Kräne auf dem Dach des Rohbaus wieder um eine Etage höher. Mit dieser ausgeklügelten Logistik ist es möglich, alle drei Tage eine neue Etage fertigzustellen.

Höchste Präzision ist bei der Montage der silbern leuchtenden Aluminiumfassade erforderlich, die den Bau vor Wind, Regen, Sonne und Sandstürmen schützt. Die dafür notwendigen Spezialkenntnisse bringt ein mittelständisches Unternehmen aus Langenfeld bei Düsseldorf mit. Weltmarktführer Halfen liefert die Befestigungsschienen für die Fassadenelemente, die ohne Bohren schnell und exakt eingeklinkt werden können. „Eine Halfen-Schiene erspart das Bohren von 20 Löchern“, sagt Geschäftsführer Hans-Dieter Hardt. Die Schienen werden schon während des Baus einbetoniert. Sie sind so dimensioniert, dass sie enormen Belastungen standhalten.

Für den schnellen Transport der Hochhausbewohner zu ihren luxuriösen Apartments baut der US-Hersteller Otis 54 Hochleistungsaufzüge in den Turm ein. Der schnellste Lift der Welt wird mit 65 Kilometern in der Stunde nach oben fahren. Die Insassen werden von der Geschwindigkeit kaum etwas mitbekommen. Denn die Kabinen werden sanft beschleunigen und abbremsen. Zudem findet wie im Flugzeug ein automatischer Druckausgleich statt.

Doch bei allen Superlativen, mit denen der Burj Dubai protzt – die Jagd nach Rekorden geht weiter. Sicherheitschef Mahmed kann es kaum erwarten, dass der 1000-Meter-Koloss Al Burj in Bau geht. „Ich wäre dann gerne dabei“, sagt er.

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