Auto Dem Elektroantrieb gehört die Zukunft

Der hohe Ölpreis treibt die Autoindustrie in eine Revolution: Dem Elektroantrieb gehört die Zukunft. Er wird schon in wenigen Jahren Mobilität neu definieren. Und über Zehntausende Jobs entscheiden. Ein Report über den Weg vom polternden Verbrennungsmotor zum Big Bizzzzzzzzzness mit dem summenden Elektromotor.

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Mitsubishi i-EV

Autobatterien als Wahlkampfthema? Es gibt Wichtigeres, möchte man meinen. Doch der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain weiß genau, was er tut, wenn er mitten im US-Präsidentschaftswahlkampf als generöser Förderer eines unsexy erscheinenden Energiespeichers auftritt. McCain will dem Elektroauto zum Durchbruch verhelfen. 300 Millionen Dollar, so ließ McCain am Montag verlauten, will der 71-Jährige demjenigen zahlen, dem es gelingt, eine kleinere, leistungsfähigere und billigere Batterie für den Antrieb von Autos zu entwickeln. McCains Antrieb ist klar: Ein erschwingliches Auto soll es sein, das Mobilität wieder bezahlbar und Amerikas Autofahrer unabhängig vom Öl macht, wenn sie von A nach B wollen.

Damit dürfte der in Umfragen bislang abgeschlagene Präsidentschaftskandidat den Nerv vieler Amerikaner treffen. Denn die an billigen Sprit gewohnten US-Verbraucher verlieren bei Preisen von bis zu 4,60 Dollar je Gallone (umgerechnet 64 Euro-Cent pro Liter) allmählich die Lust am Autofahren. Die US-Autoindustrie erhält die Quittung: Der Absatz der einst so beliebten, spritschluckenden Geländewagen ist in den vergangenen Monaten eingebrochen. Rick Wagoner, Chef des nach Stückzahlen weltgrößten Autokonzerns General Motors (GM), hat bereits die Schließung von Werken angekündigt, die überwiegend schwere Geländewagen und Pick-up-Trucks produzieren. Für GMs Geländewagenmarke Hummer prüft Wagoner „alle Optionen“. Also auch einen Verkauf der Marke.

Entschieden ist hingegen die Serienfertigung des Chevy Volt. Ein Elektroauto, das mit Batteriekraft rund 60 Kilometer weit fahren soll und mit einem kleinen Benzinmotor, der die Batterie zwischendurch wieder auflädt, sogar über 500 Kilometer weit. „Dieses Auto“, sagt der deutsche Ingenieur Frank Weber, der in den USA die Entwicklung des Volt leitet, „genießt im Konzern die höchste Priorität.“

Zu Recht. Denn die Autoindustrie steht vor dem Eintritt in eine neue Zeitrechnung, die von zwei Fakten geprägt sein wird:

Erstens: Das Elektroauto kommt nicht nur schneller als die meisten geglaubt haben. Es wird zugleich dank neuer Technologien auch viel mehr können als noch vor wenigen Jahren möglich schien. Schon in zwei Jahren sollen die ersten Elektroautos von Großserienherstellern auf den Markt rollen, deren Batterien an jeder Steckdose aufgeladen werden können und die obendrein Fahrspaß, Platz, Komfort bieten. Für das Jahr 2020 erwartet Bundesumweltminister Sigmar Gabriel auf deutschen Straßen bereits eine Million Autos mit elektrischem Antrieb. Nach Einschätzung der Experten der Unternehmensberatung Roland Berger könnten die E-Autos im selben Jahr bereits ein Viertel der Neuzulassungen in Europa ausmachen. Zweitens: Die Autoindustrie muss ihre gesamte Wertschöpfungskette überdenken und ihre Kernkompetenzen neu definieren. Die Bedeutung des Verbrennungsmotors und der dazugehörigen Peripherie wie etwa des Getriebes wird Stück für Stück abnehmen und schließlich ganz verschwinden.

Verbrennungsmotor noch für 20 Jahre?

Zwar gibt Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche dem Verbrennungsmotor noch mindestens 20 Jahre. Doch in der Autoindustrie sind das gerade einmal drei Produktlebenszyklen. Im Klartext: Noch drei Generationen der Mercedes C-Klasse – dann ist die Zukunft da. „Das künftige Herz der Autos wird die Hochvoltbatterie und die zugehörige Leistungselektronik sein“, sagt Jens Hadler, Leiter Aggregateentwicklung bei Volkswagen.

Die Autokonzerne müssen deshalb neue Kompetenzen aufbauen, zukaufen und Allianzen eingehen, während neue Akteure den Markt betreten. Und nicht nur das: Der Ausgang dieses Wettbewerbs entscheidet weltweit über Hunderttausende Jobs. Nicht alle werden zu retten sein.

Für die Etablierten, das hat man in den Führungsetagen der Konzerne erkannt, ist jetzt die Zeit gekommen, zu handeln. Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber stellt für 2010 neben dem Elektro-Smart auch E-Versionen der aktuellen A- und B-Klasse in Aussicht. „Schon 2015 wird die automobile Welt ganz anders aussehen“, sagt Weber. Bei VW wird hinter verschlossenen Türen an einer serienreifen Elektroversion des neuen Kleinwagens Up!, der schon 2010 startklar sein soll, und an einer Plugin-Hybridversion des Bestsellers Golf mit einem kombinierten Verbrennungs- und Elektromotor gearbeitet, dessen Akku an der Steckdose geladen werden kann. „Die Zukunft gehört dem Elektroauto“ verkündet VW-Konzernchef Martin Winterkorn vor wenigen Tagen in der „Bild“-Zeitung. Opel-Chef Hans Demant kündigt derweil für 2011 einen Opel mit Elektroantrieb an. BMW will in der zweiten Jahreshälfte bekanntgeben, ob der Hersteller ebenfalls ein Elektroauto als Vehikel für die Großstadt baut. Burkhard Göschel, Ex-BMW-Entwicklungsvorstand und heute Chief Technical Officer (CTO) beim kanadischen Zulieferer Magna International, ist überzeugt: „Das Elektroauto hat das Potenzial, das gesamte Geschäftsmodell der Autoindustrie zu verändern.“

Politik macht Druck

Ganz von allein kommt die Erkenntnis indes nicht: Auch die Politik macht immer mehr Druck. Der Oberbürgermeister der Stadt Paris, Bertrand Delanoë, will den Bewohnern der Elf-Millionen-Metropole bereits im kommenden Jahr 4000 Elektroautos günstig in einem Carsharing-System anbieten. In Kalifornien müssen die großen Autobauer ab 2012 mindestens ein Elektroauto im Programm haben. Am Donnerstag startete VW gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium einen Flottenversuch mit 20 VW-Golf mit Plugin-Hybridantrieb, die im Stadtverkehr 50 Kilometer rein elektrisch fahren und an der Steckdose aufgeladen werden.

Doch die stille Revolution wird mehr Bereiche erfassen als allein die Autoindustrie – denn wenn Elektromotoren die Zukunft sind, wer wird dann die Oberhand behalten, wenn aus dem flächendeckenden Netz von Tankstellen ein Netz von Batterieauflade- oder Austauschstationen wird– die Mineralölkonzerne, wie gehabt? Oder werden die Elektrotankstellen der Zukunft von den großen Energieversorgern betrieben, gibt es dann die RWE- oder E.On-Tanke? Schon deuten sich Kooperationen zwischen Autoherstellern und Stromversorgern an. So wird der VW-Flottenversuch von E.On als Partner begleitet. Und RWE spricht mit Volkswagen über mögliche Sondertarife für Elektromobile.

Auf ein großes Stück vom Elektro-Kuchen hat es auch Shai Agassi abgesehen. Der Mann kommt eigentlich aus der Softwareindustrie, ist als Vorstandsmitglied des Softwarekonzerns SAP vor einem Jahr ausgeschieden. Vor wenigen Monaten tauchte er wieder auf mit einem Konzept für ein Elektroauto – und Hunderten Millionen Dollar, die er dafür bereits bei Investoren eingesammelt hatte.

Autowelt verkehrt: Einem Branchenfremden gehören die Schlagzeilen. Agassi hat sich von den Mobilfunkanbietern inspirieren lassen und will Autos künftig verschenken – und anschließend an den Stromladungen für die E-Auto-Flotte verdienen. Achtungserfolge sind ihm bereits gelungen. So hat er eine Kooperation mit Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn vereinbart und will gemeinsam mit Ghosn und weiteren Partnern in Israel und Dänemark eine Elektroauto-Flotte und ein Netz von Ladestationen hochziehen. 2009 sollen 500 Autos und mehr als 10.000 Ladestationen im Einsatz sein.

Roboter, so das Szenario, sollen an einigen Stationen sogar im Schnellverfahren leere Akkus tauschen und gegen aufgeladene ersetzen. Was von der Idee einmal übrig bleiben wird und ob sich Agassi noch andere Autohersteller anschließen, steht freilich in den Sternen. „Warum sollte ein Hersteller seinen direkten Kundenkontakt abgeben und einen Mediär einsetzen, wenn er das Geschäft selber in der Hand halten und daran verdienen kann?“, fragt Wolfgang Bernhart. Autoexperte bei der Unternehmensberatung Roland Berger. Schon jetzt sprechen Daimler, VW und Co. direkt mit den deutschen Energieversorgern, die auch Willens sind, eine geeignete Infrastruktur für Elektroautos hochzuziehen. Magna-Cheftechniker Göschel sieht auch große technische Herausforderungen, die gegen Agassis Batterie-Tauschidee sprechen: „Das Konzept würde eine Normierung des Fahrzeugs bedeuten, alle Autos müssten mehr oder weniger die gleiche Grundstruktur haben – das klappt nie!“

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