Auto fahren ohne Ablenkung Wenn die Frontscheibe zum Display wird

Rund 1000 Euro Aufpreis kassiert BMW für Head-Up-Displays, die Fahrinformationen in die Frontscheibe einblenden. Das neue Nachrüst-Display von Navi-Produzent Garmin kostet nur 150 Euro. Ist das mehr als Spielerei? WirtschaftsWoche Technikexperte Thomas Kuhn hat es ausprobiert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Scheibenkino für alle
Die Gummi-Halteplatte an der Unterseite des Head Up Displays ist mit einer sogenannten Adhäsionsschicht überzogen. Damit haftet die Oberfläche auf nahezu allen Materialien – außer auf mit Leder bezogenen Armaturenbrettern. Damit die leicht klebrige Oberfläche nicht verschmutzt, sollte sie mit einer beigelegten Folie abgedeckt werden. Sollte sie einmal doch verstaubt sein, kann sie einfach mit einem feuchten Tuch abgewischt werden – danach haftet die Halteplatte wieder so gut wie im Neuzustand. Quelle: Sebastian Schaal
Die Anzeige des HUDs muss in einer Scheibe reflektiert werden. Diese Aufgabe übernimmt entweder die kleine Plastikscheibe, die direkt an das Gerät angeklickt werden kann. Oder eine Reflektor-Folie, die in die Windschutzscheibe geklebt wird. Letzteres lohnt sich nur für den „Heavy User“, der tagtäglich das Head Up Display nutzt. Die Folie reflektiert auch, wenn das Gerät nicht läuft – das stört auf Dauer. In unserem Test haben wir größtenteils die kleine Plastikscheibe verwendet, was tadellos funktioniert hat. Quelle: Sebastian Schaal
Da das Garmin HUD keinen Akku hat, muss es immer über eine 12-Volt-Steckdose mit Strom versorgt werden. Quelle: Sebastian Schaal
Praktisches Detail: In dem Stromadapter für den Zigarettenanzünder ist auch ein USB-Anschluss für das Ladekabel des Smartphones integriert. Das ist auch auf längeren Strecken nötig, denn die dauerhafte GPS-Verbindung für die Navi-App und die Bluetooth-Koppelung mit dem Garmin HUD ziehen den Akku des Smartphones schnell leer. Quelle: Sebastian Schaal
Leider sitzt der Stromanschluss an dem Gerät auf der linken Seite – das Kabel muss aber nach rechts in Richtung Mittelkonsole. Daher hängt das Kabel entweder mitten vor dem Tacho oder muss über das halbe Armaturenbrett geführt werden. Beides ist nicht ideal. Quelle: Sebastian Schaal
Sobald das Garmin mit Strom versorgt wird, versucht es eine Bluetooth-Verbindung aufzubauen. Beim erstmaligen Koppeln muss das Gerät einfach im Bluetooth-Menü des Smartphones gesucht werden. In unserem Test funktionierte das mit einem iPhone 5 und iOS7 auf Anhieb. Sobald die Geräte einmal einander bekannt sind, verbinden sie sich ohne weiteres Zutun. Quelle: Sebastian Schaal
Allerdings ist das Head Up Display nur eine Ergänzung zu dem Handy-Navi, kein Ersatz. Um das Garmin-Gerät nutzen zu können, braucht der Besitzer noch die passenden Apps: Entweder Garmin Street Pilot (für iOS und Windows Phone 8) oder eine Anwendung von der Garmin-Tochter Navigon (iOS, Android und Windows Phone 8). Die Apps kosten bis zu 90 Euro zusätzlich. Quelle: Sebastian Schaal

Es ist kein angenehmer Gedanke, wenn man ihn zulässt. Wer mit Hundert Sachen auf deutsche Autobahnen oder Landstraßen unterwegs ist und nur eine Sekunde lang den Blick auf Tacho, Radio oder Heizungsregler richtet, legt 28 Meter im Blindflug - respektive ohne Blick auf die Straße - zurück. Strecke auf der viel passieren kann, wenn man abgelenkt ist. Was Wunder also, dass Unfallforscher wie die vom ADAC, beispielsweise Navigationssysteme für PKW noch immer mit ziemlich gemischten Gefühlen sehen. Und, dass Telefonieren oder SMS-Tippen am Steuer eben nicht ohne Grund verboten sind (Zweiflern sei dieses Video aus Großbritannien ans Herz gelegt).

Eine Antwort, die PKW-Hersteller wie BMW oder Audi aber auch Peugeot oder Citroën inzwischen auf die Frage geben, wie sich wichtige Informationen ins Blickfeld des Fahrers bringen lassen, ohne abzulenken, stammt aus der Fliegerei. Genauer gesagt aus den Kampfjets der Militärs. Sie heißt neudeutsch Head-up-Display und steht für eine Technik, bei der eine Art Miniprojektor Fahrhinweise, Tempolimits oder Abbiegeinformationen so unten auf die Frontscheibe projizieren, dass die Bilder vor dem realen Geschehen auf der Straße zu schweben scheinen.

Head-Up-Display

Das sieht ziemlich abgedreht aus, ist aber ausnehmend praktisch – wenn etwa bei BMW nicht nur die Abbiegehinweise ins Straßenbild eingespiegelt werden, sondern die automatische Tempolimit-Erkennung auch die passenden Warnsymbole vor dem Fahrer aufblitzen lässt. Nachteil der High-Tech-Projektionen: Sie sind richtig teuer – je nach Modell berechnet etwa BMW um die tausend Euro für das Ausstattungspaket, das auch das Head-Up-Display umfasst. Auch Audi liegt grob auf dem Preisniveau. Peugeot und Citroën stellen rund 350 Euro für den Werkseinbau in Rechnung.

Und nun kommt der Navi-Experte Garmin und bietet mit seiner gut Zigarettenschachtel-große Box namens „HUD“ Blickfeld-Infos für nur knapp 150 Euro zum Nachrüsten an. Angesichts des drastischen Preisunterschieds drängt sich die Frage auf, ob die Nachrüst-Box mit den Funktionen der Einbau-Systeme mithalten kann?

Head-Up-Display

Um es kurz zu machen, sie kann es nicht, weil sie bei weitem nicht an die Fertigkeiten der Hersteller-Technik – wie etwa die Tempoerkennung – heranreicht. Aber das ist nicht weiter schlimm, denn erstens ist sie viel billiger und zweitens ist sie dafür auch nicht gedacht.

Statt dessen dient das HUD vor allem als überaus nützliche Ergänzung für die Navi-Apps von Garmin oder Navigon für iPhones, Android- oder Windows-Phone-Handys. Denn auch wenn die Telefone immer öfter die traditionellen Nachrüst-Navis im Auto ersetzen, wirklich praktisch sind die Telefon-Lotsen nicht. Allzu oft lassen sich Fahranweisungen oder Routentipps auf den Handybildschirmen kaum erkennen, und mitunter liegen die Telefone in der Ablage zwischen den Sitzen. Wirklich gut sichtbar jedenfalls sind sie vielfach nicht, teils eher Gefahrenquelle als Fahrerleichterung.

Der Blick wird weniger eingeschränkt

Head-Up-Display

Genau da macht sich das Garmin HUD nützlich. Denn die handliche Box koppelt sich per Bluetooth mit der Handy-App und zeigt genau die Fahrinfos deutlich im Blickfeld des Fahrers ein, die er auf dem Handbildschirm bestenfalls erahnt. Dazu kann der HUD-Nutzer entweder eine besondere Reflektionsfolie von innen an die Frontscheibe kleben, die wie ein Spiegel das von Leichtdioden im HUD erzeugte spiegelverkehrte Bild ins Blickfeld lenkt, sobald der die Box auf dem Armaturenbrett installiert. Oder der Fahrer montiert eine kleine Reflektorscheibe direkt am HUD und sieht dann dort wann und wo der nächste Abzweig ansteht.

Vorteil beider Optionen, da Folie oder Scheibe durchsichtig sind, wird der Blick viel weniger eingeschränkt als etwa durch klassisch Nachrüstnavis, die per Saugnapf an der Frontscheibe haften. Das HUD dagegen kommt ohne Saugnapf aus. Die flache Box liegt – dank eines weichen, haftenden Gummifußes – selbst in Kurven ziemlich unverrückbar auf dem Armaturenbrett und lässt sich dennoch rückstandsfrei wieder von der Oberfläche lösen.

Head-Up-Display

Ähnlich einfach sind auch Inbetriebnahme, Gebrauch und Art der angezeigten Informationen: Am Handy Bluetooth aktivieren, das HUD wie eine Freisprecheinrichtung koppeln und los geht’s. Einstellen lässt sich an der Box nämlich nichts. Die Programmierung der Route erfolgt (natürlich im Stillstand) per Garmin- oder Navigon-Handy-App –  mit Programmen anderer Hersteller arbeitet das HUD nicht zusammen. Und dann beschränkt sich die Anzeige auf eine schlichte Pfeildarstellung sowie die Angabe der voraussichtlichen Restfahrzeit bis zum Ziel, den für die Strecke gespeicherten Tempolimits sowie – falls der App-Nutzer die entsprechenden Zusatzdienste abonniert hat – der Warnung vor Blitzern. Und all das bleibt auch aktiv, wenn der Fahrer das Handy zum Telefonieren nutzt, oder der Beifahrer ein Video auf dem Telefondisplay anschaut.

Die Installation ist in 20 bis 30 Sekunden erledigt, dann ist die Technik einsatzbereit. Ähnlich schnell ist die Verbindung beim Losfahren hergestellt. Sobald die Zündung eingeschaltet wird und die Box über das Anschlusskabel vom Zigarettenanzünder Strom bekommt, beginnt die Suche nach dem gekoppelten Handy. Wenige Augenblicke später erscheinen die Fahrhinweise auf dem Gerät. Leider besitzt das HUD keinen eingebauten Akku, weshalb stets das Anschlusskabel quer über das Armaturenbrett hängt. Und weil der Stecker auch noch an der linken Seite steckt, fällt die Kabelage auf der Frontablage auch noch ziemlich störend aus. Pfiffig, immerhin: Der Stromanschluss für die den 12-Stecker besitzt auch einen zweiten USB-Anschluss über den sich während der Fahrt, parallel zum HUD, auch das Handy mit Strom versorgen lässt.

Im Alltagsbetrieb funktioniert das alles bemerkenswert gut. Auch die – gemessen an der inzwischen auf vielen Nachrüst-Navis oder Handy-Apps mit ihren 3-D-Routen- und Kartendarstellungen – kärgliche Pfeil-Optik ist viel weniger ein Mangel, als man beim ersten Blick darauf meint. Sie tut genau das, was sie soll: Nämlich den Weg weisen, nicht ablenken. Tatsächlich ist der Blick durchs Frontdisplay dann fast ein wenig wie der Blick nach vorne im Cockpit, und die Navigation hat fast etwas vom Fliegen.

Und insofern fällt das Fazit nach zwei Wochen Testfahrt mehrheitlich positiv aus: Garmins HUD ist zwar alles andere als Oberklasse-Technik zum Sparpreis, aber es ist ein perfekter Kompagnon für die Handy-Apps des Herstellers und in dem Szenario ein klarer Sicherheitsgewinn. Wirklich nützlich ist die exklusiv über Telekom-Shops verkaufte Box angesichts des doch recht hohen Preises von 149 Euro aber nur für Menschen, die sich regelmäßig vom Handy zum Ziel leiten lassen. Für Besitzer regulärer Nachrüst-Navis von Garmin oder Navigon ist sie genauso nutzlos, wie für Reisende, die Smartphone-Programme andere Anbieter einsetzen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%