In der vergangenen Woche hat sich WirtschaftsWoche-Redakteur Martin Seiwert in der Kolumne Autzoom geärgert, dass ausgerechnet Greenpeace gegen das Elektroauto zu Felde zieht und dem Verkehrsexperte der Umweltorganisation, Wolfgang Lohbeck, einen offenen Brief geschrieben. Lohbeck antwortete prompt:
Sehr geehrter Herr Seiwert,
Die Diskussion über Elektromobilität ist von vielerlei Missverständnissen und (teils bewusst) irreführenden Vorstellungen geprägt, die zunächst klargestellt werden sollten.
Zum ersten sollten wir uns darüber verständigen, dass es um Elektro- Mobilität geht und nicht um Elektro-Autos. Auch wenn die Diskussion immer wieder auf den (eher unwichtigen) Teilaspekt des Elektro-"Autos" verengt wird, sollte man im Blick behalten, dass gerade Autos das für eine Elektrifizierung ungeeignetste Objekt sind - sie sind zu schwer, und allein schon deshalb für den Betrieb mit Strom aus (auch weiterhin) wahnwitzig teuren Batterien besonders ungeeignet. Und generell können Fahrzeuge, die normalerweise eine oder zwei Personen befördern, aber selbst bis zu zweieinhalb Tonnen (!) wiegen, nicht effizient oder nachhaltig sein, da ist die Art des Antriebs nahezu gleichgültig.
Hauptproblem für die Gestaltung zukünftiger Mobilität ebenso wie für die Nachhaltigkeit, aber gerade auch für den Übergang zu einer "elektrischen" Mobilität sind die Größe, das Gewicht, und die Übermotorisierung der Autos. Der hochgespielte Gegensatz "Verbrenner kontra Elektroauto" geht am eigentlichen Problem vorbei. Autos heutiger Bauart sind ganz generell nicht zukunftsfähig, weder elektrisch noch mit Verbrennungsmotor.
Das Mobilverhalten muss sich ändern
Zum anderen soll klargestellt werden, dass die Zukunft der Mobilität natürlich elektrisch sein wird. Dabei hat die elektrische Mobilität eine umso größere Chance auf schnelle Umsetzung, je kleiner und leichter die Fahrzeuge sind. Der Haken an der Sache ist aber wiederum, dass Viele unter elektrischer Mobilität eine Mobilität auf der Basis elektrisch angetriebener – ansonsten aber "heutiger" – Autos (miss-)verstehen. Der Charme der elektrischen Mobilität besteht , abgesehen von ihren unbestreitbaren technischen Vorzügen (wie hoher potentieller Wirkungsgrad, weniger Lärm und der realen Möglichkeit des Verzichts auf fossile Brennstoffe) darin, dass sie zu pragmatischen Lösungen zwingt, also vor allem zu kleineren Fahrzeugen und zu einem anderen Mobilitätsverhalten.
Und das hat ganz einfache Gründe: sie ist auf lange Sicht sehr teuer. Allein die Batterie für ein Auto, das auf hundert Kilometern etwa 20 kWh verbraucht (eine eher günstige Annahme), kostet heute um die 15 bis 20.000 Euro, und daran wird sich auch in den nächsten Jahren nur wenig ändern. Die Behauptung, die Batteriepreise (heute um die 500-600 Euro/ kWh) würden schon in Kürze purzeln (genannt wurde der Phantasiewert von nur noch 100 Euro/kWh) , ist nach wie vor reines Wunschdenken, entsprechende Vorhersagen wurden soeben wieder ausdrücklich zurückgenommen und entpuppten sich als Ente.
Die Zahl der Käufer, die sich ein Auto leisten wollen (und können), das wegen langer Ladezeit nur eingeschränkt verfügbar ist, dessen Strombezugsbedingungen in Abhängigkeit von Lademanagement und Interessen der Stromlieferanten ebenso unklar sind wie die ökologischen Auswirkungen, das aber das Dreifache eines vergleichbaren Autos mit Verbrennungsmotor kostet, dürfte auch auf längere Sicht überschaubar bleiben: Elektroautos sind angesichts ihrer voraussehbar marginalen Verbreitung heute und in etlichen Jahren noch schlicht irrelevant.
Sie tragen nichts zur Mobilitätswende bei, und sie tragen nichts zum Abschied von Öl und CO2 bei. Allerdings ist es gerade die Verengung der Diskussion auf das E- Auto, die den Übergang zur elektrischer Mobilität eher behindert als fördert: gerade Autos mit ihrem extrem hohen Gewicht sind für Elektromobilität besonders ungeeignet.
Die miserable Bilanz der Elektroautos
Aber bleiben wir dennoch eine Weile beim "Elektro- Auto": Das bezieht seinen Strom aus der Steckdose, und der verursacht, in Deutschland, CO2- Emissionen von ca. 580 Gramm pro kWh. Die derzeit in Magazinen und auf Ausstellungen gezeigten (Mini-) E- Autos emittieren, bei Verbräuchen um die 20 kWh auf hundert Kilometern, real also etwa 100 bis 120 Gramm CO2/km. Ein elektrischer Golf käme auf hundert Kilometer kaum unter die 30 kWh-Marke, was knapp 180 Gramm CO2/km bedeutet- fast so viel wie ein Geländewagen.
Das ist eine ausgesprochen miserable Bilanz, und schlechter als heute bereits serienmäßig und vergleichsweise kostengünstig erhältliche Autos mit Verbrennungsmotor, die es -obwohl durchweg größer als die elektrischen "Stadtflitzer- auf Werte unter 90 Gramm bringen. Autos mit Verbrennungsmotor, die den bekannten elektrischen Kleinstwagen vergleichbar wären, hätten nicht das geringste Problem, sogar weit unter 70 Gramm zu kommen. Diese Rechnung ist in der Tat so einfach, dass es keines Experten bedarf, sie aufzumachen. Umso mehr verwundert, dass sich gerade manche Experten so schwer tun, sie zu akzeptieren. Vielleicht passt sie ihnen einfach nicht ins Konzept.
Das Problem mit dem "grünen" Strom
An dieser Stelle kommt natürlich der "grüne Strom" ins Spiel, mit dem E- Autos ja demnächst angeblich fahren. Ja, es ist zweifellos richtig, dass sich gerade etwas an unserem Strom-Mix ändert. Die Frage ist aber, ob durch ein E-Auto wirklich mehr "grüner Strom" ins Netz kommt oder ob hier nur ohnehin vorhandene "grüne" Strommengen anders zugerechnet werden – ein reiner Verschiebebahnhof, durch den per se keine einzige zusätzliche "grüne" Kilowattstunde entsteht. Oder, wie das Handelsblatt jüngst schrieb, "Rosstäuscherei". Ja, natürlich, Kunden von E-Autos wollen gern "sauber und modern, sprich mit grünem Strom, unterwegs sein".
Aber der grüne Image-Zugewinn ist auch so ziemlich das Einzige, was sie für sehr viel Geld bekommen. Sie fahren nämlich mit dem Strom aus dem allgemeinen Mix, sie tragen wenig bis gar nichts dazu bei, zusätzlichen grünen Strom ins Netz zu bringen. Zugegeben: wenn sie wegen ihres Elektroautos dann einen Vertrag mit einem "grünen" Stromanbieter abschließen, ist das natürlich ein prima Nebeneffekt, aber den wesentlichen Beitrag zur Begrünung des Stromnetzes bewirkt auch dann nicht das Auto, sondern der Wechsel des Stromanbieters.
Denn Treiber für die Wende hin zu grünem Strom sind der Wechsel des Stromanbieters und der forcierte Ausbau der regenerativen Energien, und der passiert nicht wegen der in den nächsten Jahren homöopathischen Mengen an E- Autos. Das "grüne" E-Auto bewegt nichts, der angeblich grüne Strom in E-Autos ist vor allem ein Marketingargument. Elektroautos werden – unabhängig vom Gerede über angeblich spezifisch "grünen" Autostrom – erst dann weniger CO2 ausstoßen als vergleichbare Verbrenner, wenn der Strom-Mix insgesamt grüner ist, und wenn etwa die Hälfte des Stroms aus "grünen" Quellen stammt.
Unbegründete Lobhudelei
Wer entscheidet übrigens darüber, welchen Strom wer zu welchen Konditionen und zu welchem Zeitpunkt tankt, und darüber, ob das "grüner" Strom ist? Diese sehr wesentliche Frage wird in den euphemistischen Lobgesängen auf den "grünen" Elektroantrieb fast immer unterschlagen. Denn bekanntlich steht grüner Strom nicht gleichmäßig rund um die Uhr zur Verfügung.
Ob "grün" getankt wird ist nämlich wesentlich eine Frage des Zeitpunktes, mithin des Lademanagements und seiner Kriterien. Wenn, wovon wohl auszugehen ist, das Lademanagement "preisoptimiert" erfolgt, liegen die daraus resultierenden CO2- Emissionen noch weit über dem durchschnittlichen Mix. Denn, simpel gesagt: geladen wird nachts, und da verkauft die Stromwirtschaft Grundlaststrom, zum Beispiel aus besonders dreckiger Braunkohle.
Verbrenner bleibt dominierende Antriebsart
Und nun noch einmal zum Auto mit Verbrennungsmotor: es geht nicht darum, dem Verbrenner eine rosige Zukunft oder seine angebliche "Überlegenheit" zu attestieren, wie oft unterstellt wird. Aber der Verbrenner ist heute und – angesichts aus gutem Grund weiterhin marginaler Zulassungszahlen der Elektroautos – auch auf absehbare Zeit die dominierende Antriebsart, und deshalb muss an dieser Stelle angesetzt werden, wenn wir weg vom Öl und zu weniger CO2- Emissionen wollen.
Bei heute in Deutschland durchschnittlich ausgestoßenen 145 Gramm/Kilometer und dem – etwa für 2020 – technisch ohne weiteres möglichen Wert von etwa 80 Gramm wird deutlich, welches riesige Einsparpotential auf dem Gebiet heutiger Autoantriebe und heutiger Technik besteht – und das ohne hohe Zusatzkosten, ohne großen Forschungs- und Entwicklungsaufwand, ohne erhoffte "Quantensprünge" in der Technik, und vor allem: ohne Zeitverlust, denn diese enormen Verbesserungen sind samt und sonders JETZT möglich. Die überdrehte Diskussion und die völlig unrealistischen Erwartungen an das Elektroauto trägt vor allem dazu bei, die nötigen Reduktionen zu verschieben, sie lenkt ab von dem, was jetzt getan werden muss.
Die Art des Antriebs ist irrelevant
So bleibt als Fazit: Autos sind zu groß, zu schwer, und extrem übermotorisiert: Das ist das Kernproblem, nicht die Art des Antriebs. Ohne großen Aufwand aber können (und müssen) sie ihren CO2- Ausstoß und Ölverbrauch in den nächsten zehn Jahren halbieren. Der Hype um Elektroautos aber setzt am falschen Objekt an, er suggeriert, dass auch die Mobilität der Zukunft auf dem Auto basiert, er lenkt ab vom jetzt Notwendigen und verschiebt die Lösung auf einen Zeitpunkt irgendwann in der Zukunft, wenn die erhofften "Quantensprünge" in Batterietechnik und Kosten erfolgt sind.
Allerdings: der Elektro-Hype hat sehr positive Nebeneffekte: er erhöht den Druck auf die Autoindustrie, den Verbrauch ihrer Autos zu senken. Und die Diskussion um den "grünen" Strom der E- Autos hat wesentlich dazu beigetragen, die Problematik des "schmutzigen" Stroms zu thematisieren und die allgemeine Akzeptanz "grüner" Energien zu erhöhen. Und nicht zuletzt trägt sie angesichts der eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten von E- Autos – wenn auch unfreiwillig – dazu bei, das Nachdenken über pragmatische Mobilitätslösungen zu fördern.
Beim Stichwort "pragmatische Lösungen" kommt dann zu guter Letzt die eigentliche Stärke der elektrischen Mobilität ins Spiel: die Mobilität auf der Basis kleiner und leichter Fahrzeuge, die eben nicht "Autos" sind, und bei denen auch die Kosten für Batterien eine geringere Rolle spielen. Und da eröffnen sich für den elektrischen Antrieb ungeheure und nur ansatzweise heute schon absehbare Lösungen, von denen die Scharen an Pedelcs, an E-Bikes und E- Rollern bis hin zum selbstverständlich elektrischen öffentlichen Verkehr, nur der Anfang sind. Diese zu fördern, anstatt ausgerechnet die Fahrzeuge, die für elektrischen Antrieb besonders wenig geeignet sind, die Autos, das wäre heute die vorrangige Aufgabe der Politik. Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch, aber ohne Autos!
Wolfgang Lohbeck, Greenpeace