Autodesign Der Charme der alten Schönheiten

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Schrecken der Retro-Freunde

Wer sammelt denn solche Autos?
Zulassungen mit einem H-Kennzeichen werden bei Pkw zurzeit stark nachgefragt. Verzeichnete das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg zum 1. Januar 2010 noch einen Bestand von 188.360 Kfz mit H-Kennzeichen, waren es ein Jahr später bereits 208.313 Autos. Die Zahlen werden auch in diesem Jahr steigen, denn nun dürfen sich die erhaltenen Mobile des Jahrgangs 1982 auf ein weiteres Autoleben mit dem H-Kennzeichen steuerbegünstigt und mit preiswertem Versicherungstarif freuen. Vorausgesetzt, die Autos befinden sich in einem guten technischen und vor allem originalgetreuen Zustand. Quelle: PR
So steht der Mercedes 190 vor dem Einstieg in die H-Schild-Szene. So hat Mercedes den 190 (W 201) erstmals 1982 in Spanien präsentiert. Die Schwaben hatten damit den Einstieg in eine neue, kleinere Klasse unterhalb des Mercedes 200, der früheren E-Klasse, gewagt, um auch für sich die schnell wachsende Zielgruppe der Dreier-Reihe von BMW zu erschließen. Das Design der 4,4 Meter langen Limousine, die der Hersteller als "kompakt" bezeichnet hat, stammte vom legendären Chef-Designer Bruno Sacco, der mit dem "Baby-Benz" die Designsprache der Marke radikal verändert hat. Quelle: PR
Zum Modellstart 1982 bot Mercedes den 190 in zwei Motorvarianten an: Einmal als Einstiegsvariante mit dem 90 PS starken 1,9-Liter-Benziner mit Vergaser und den 190E mit Einspritzung und 122 PS. Bis 1993 hatte Mercedes 1.879.629 Exemplare des 190 in insgesamt 20 Motorvarianten gebaut. Sehr begehrt, weil sportlich und unverwechselbar sind die 2,5-Liter 16-Ventiler (hier im Bild), die aber im Moment "nur" Youngtimer-Status genießen, da sie erst Jahre später auf den Markt kamen Da 53 Prozent der 190er-Gesamtproduktion einen deutschen Käufer gefunden haben, steht ein starker Zuwachse der Familie im H-Reich zu erwarten ... Quelle: PR
Der Anfangs der Achtziger günstige Wechselkurs des amerikanischen Dollars hatte eine erkleckliche Anzahl von Chevrolet Camaro über den Atlantik in die Alte Welt gespült. Die 1982 vorgestellte dritte Generation des Coupés aus Detroit überzeugte mit ihren klaren Formen, den wesentlich kompakteren Ausmaßen und "kleinen" V-8-Motoren mit fünf Liter Hubraum und 145 PS. Quelle: PR
Damit sah der Camaro zwar schneller aus als er tatsächlich fuhr, aber für´s Cruisen reichte das dicke. Und wer ein Chevy-Upgrade riskierte, griff zum Z28 mit 167 PS. Quelle: PR
Porsche stellte den 944 zwar bereits Ende 1981 vor, in Kundenhand kam der große Bruder des 924 jedoch ab 1982. Mit dem 944 landeten die Zuffenhäuser Sportwagenbauer auf Anhieb einen Treffer, der alleine im ersten Jahr rund 30.000 Bestellungen auslöste. Mit dem 944 war dem Hersteller endlich gelungen, was die Fans der Marke lange und schmerzlich vermisst hatten. Der gemeinsam mit Audi entwickelte Einsteiger 924 hatte sich ab 1976 zwar seine Meriten als zuverlässiges Auto erarbeitet. Quelle: PR
Für einen Sportwagen mit dem Markenzeichen Porsche war der 924 jedoch äußerlich zu bieder und unter der Haube nicht kräftig genug ausgefallen. Alle diese Kritikpunkte hat der 944 beherzigt. Die breit ausgestellten Radkästen bemäntelten geschickt, dass der Rest der Karosserie aus Kostengründen ein 924 bleiben durfte. Der Motor für den 944 war jedoch ein Triebwerk, wo Porsche drinsteckte und wo Porsche drauf stand. Der selbstentwickelte Vierzylinder bildete eigentlich einen halben V8 des 928. Quelle: PR

Weitaus erfolgreicher als das Urmodell war der eigentliche „Flügeltürer“ von 1954, der noch heute Auto-Verrückte wie Laien in Entzücken versetzt. Mit Retro habe das wenig zu tun, sagt Lutz Fügener, Professor für Transportation Design an der Hochschule Pforzheim. Die zwanglose Verbindung von Kraft und Eleganz mache den SL zum Klassiker des Automobildesigns. Funktionalität und Ästhetik greifen beim SL ineinander. Die Form ist durchgehend ingenieurtechnisch motiviert: Selbst die hoch ansetzenden Flügeltüren, so Fügener, seien keine „verrückte Designeridee“, sondern eine Konsequenz des Rohrrahmens, der im Schwellenbereich extrem voluminös ausfällt, um das Auto bei hohen Geschwindigkeiten verwindungssteif zu halten.

Die sportliche Stromlinienform und die Ingenieurleistung made in Germany haben die SL-Baureihe zur Erfolgsgeschichte gemacht, auch wenn die Nachfolger den Urtyp uminterpretierten: Die Sportvariante des Typs 190 SL von 1955 hält sich noch an die muschelförmige Karosserie, der 230 SL von 1963 hingegen, die „Pagode“, bricht mit den gewölbten organischen Formen und folgt entschlossen den puristischen Vorgaben des International Style: Die Karosserie ist schnörkellos, zeigt viele glatte Flächen; das nach innen gebogene Dach ruht auf filigranen Säulen, die großen Scheiben lassen den 230er hell und leicht wirken.

Setzte die „Pagode“ vor allem auf avancierten Stil, so ging es den Mercedes-Designern beim SL der Siebziger-, Achtzigerjahre um Kraft, Komfort und Sicherheit. Er wirkt massiver, voluminöser, repräsentativer – und passt sich damit, wie Fügener sagt, dem „Größenwachstum der Mercedes-Modellpalette“ an. Ein Achtzylinderaggregat unter der Motorhaube, vorbildliches Crashverhalten und integrierte, von innen steuerbare Rückspiegel machten ihn, so Paolo Tumminelli, zum „beständigsten, erfolgreichsten SL der Geschichte“, vor allem in Amerika: Der „American Gigolo“ Richard Gere und die „Dallas“-Damen Pam und Sue Ellen Ewing fuhren, natürlich, mit dem Cabrio SL vor.

Zeugen der Vergangenheit

Heute ist er mit seiner durchlaufenden Stoßstange und den großen Heckleuchten samt ihren gerippten, schmutzabweisenden Gläsern der Schrecken der Retro-Freunde. „Sie können heute alles verkaufen“, meint Tumminelli, „außer Funktionalität.“ Autokunden erwarten inzwischen mehr als nur ein Nutzenversprechen. Sie kaufen Gefühl, Allüren und Lebensstile. Deshalb verzichtet auch der neue Fiat Panda auf die horizontal gerippten Schutzbleche und wartet stattdessen mit einer Chromspange à la Fünfzigerjahre über dem Kühlergrill auf. „Form follows emotion“, heißt die neue Parole.

Peter Pfeiffer will dennoch nicht ausschließen, dass die heutige Kindergeneration die Keilformen der Achtziger lieben lernt, die sie selbst nicht erlebt hat, sondern später als Zeugen der Vergangenheit wahrnimmt. Dass mag unwahrscheinlich klingen, doch Ernest Hemingway gibt Schützenhilfe: „Das Merkwürdige an der Zukunft ist wohl die Vorstellung, dass man unsere Zeit einmal die gute alte Zeit nennen wird.“

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