Automarkt Indien Mit Schrittgeschwindigkeit ins Wunderland

Indien ist hart umkämpft: Was sich dort auf den Straßen behauptet, verspricht Erfolge in anderen wachsenden Märkten. Deutsche Hersteller müssen hart kämpfen, damit die Inder sie mehr mögen als bisher.

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Wer hier als Hersteller durchkommen will, muss Autos mit viel Platz auf wenig Raum bieten - die sich billig reparieren lassen Quelle: pw/SP-X

Es passiert nicht alle Tage, dass man einen Porsche Cayenne Turbo auf einer mehrspurigen Ausfallstraße rechts überholt - und schon nach 500 Metern weit hinter sich gelassen hat. Auf der Mahatma Gandhi Road in Indiens Millionenstadt Bangalore ist das allerdings ganz normale Tagesroutine. Zumindest, wenn es 16 Uhr ist – und man selbst Fußgänger. Schrittgeschwindigkeit ist dann eindeutig die schnellste Fortbewegung.

Im Auto dagegen geht es in der täglichen Rush-Hour durch die Adern der Computer-Metropole quälend langsam bis gar nicht voran. Dauerhupende Tata-Laster, haarscharf aneinander vorbeischiebende Mahindra-Kleinwagen,  kreischbunte Tuk-Tuk-Dreiradmopeds und um alle herumkurvende Motorradfahrer bremsen auch den exotischen Porsche nahe Tempo Null ein.

Wer als Hersteller auf diesem Schlachtfeld mitkämpfen will, braucht passende Fahrzeuge. Und an denen arbeiten die meisten Massen-Hersteller mit Hochdruck.  In Indien liegt der Absatz mit rund 2,6 Millionen Fahrzeugen schließlich inzwischen sogar über dem einstigen Hoffnungsträger Russland. Tendenz stark steigend. Potenzial: Unermesslich.

Wer dort Erfolg hat, kann Millionen neue Kunden gewinnen – und das auch außerhalb des Landes. Denn was sich Inder wünschen, ist auch in anderen Schwellenländern begehrt. Das Analysehaus Polk schätzt, dass 2017 weltweit bis zu 16 Millionen Autos für weniger als 10.000 Euro verkauft werden.

Einfach, robust, geräumig. Auch ein Grund, warum Bosch, Conti oder Daimler gerade in Indien mit Tausenden Mitarbeitern an Autotechnik der Zukunft basteln, VW, Toyota oder Honda in Fabriken investieren. „Wir wollen alles vor Ort haben, wenn die Nachfrage steigt“, sagt etwa Manu Saale, Chef des Forschungs- und Entwicklungszentrums von Mercedes in Bangalore.

Zehntausende können sich aber jetzt bereits teure Statussymbole westlichen Lebensstils leisten. Daher bieten auch BMW, Mercedes oder Audi Pkw „Made in India“ an; Sehnsuchts-Objekte. An den abgedunkelten Scheiben eines schneeweißen Audi Q5 aus dem Werk Aurangabad etwa, der über die Gandhi-Road zuckelt, pressen ein halbes Dutzend Kinder die Hände.

Das Glas ist so schön kühl – wahrscheinlich, weil die Klimaanlage auf Eisschrank-Temperatur steht. Das begeistert Inder, so wie helles Interieur, Massagesitze und babypopoweiche Federung.

Was die Autohersteller aus aller Welt besonders an Indien begeistert sind drei Dinge: Erstens leben hier 1,2 Milliarden Menschen – mehr als in den USA und Europa zusammen. Zweitens haben nur 18 unter 1.000 Einwohnern ein Auto; in Deutschland sind es mehr als 500.

Und drittens sind die Inder mangels Erfahrung auch noch nicht auf die paar der großen Markennamen fixiert, die sonst den Weltmarkt dominieren. Ob Ford, VW oder Fiat, General-Motors oder Toyota – die größten Autohersteller des Globus sind in Indien nur kleine Lichter.


Wer könnte den Audi auf dem Land reparieren?

Das sieht jeder, der am Straßenrand der Gandhi ein halbes Stündchen den Verkehr beobachtet:  Maruti folgt auf Maruti auf Mahindra, dann tuckern wieder ein paar Tata vorbei – und lediglich der ein oder andere Hyundai zeigt ein Markenzeichen, das auch bei uns die Straßen füllt.

Kein Zufall, dass die sonst so erfolgsverwöhnten Größen Indiens Autofahrer nicht locken können; es fehlt ihnen einfach die richtigen Autos zum richtigen Preis. So was wie den Maruti Alto. In Deutschland feierte der viertürige Kleinstwagen unter dem Markenzeichen des Maruti-Partners Suzuki eher überschaubare Markterfolge. In Indien trifft er den Nerv der aufstrebenden Mittelschicht – und den Geldbeutel.

Zum Beispiel den von Raju Sachdeva. Der 28jährige Software-Entwickler steht auf dem Hof eines Händlers zwischen drei Dutzend mit reichlich chromverzierten Maruti-Modellen – alle laut Plakat „Autobahn Cars & Wheels“ getestet. „Ein Audi A3 oder gar eine C-Klasse: Das ist ein Traum“, sagt Sachdeva. Aber ein utopischer. „Außerdem: Wer könnte den reparieren, wenn ich bei meinen Eltern auf dem Land im Graben lande?“

Maruti dagegen hat seine fast 40 Prozent Marktanteil auch, weil die Marke bis in die tiefe Provinz hinein mit Händlern und Werkstätten präsent ist – und die Fahrzeuge leicht und billig zu reparieren sind. Allein vom Alto verkauft das japanisch-indische Bündnis im Monat mit 22.000 Stück doppelt so viel wie Audi von allen in Indien angebotenen Modellen im ganzen Jahr.

Sachdeva liebäugelt allerdings mit dem Minivan WagonR von Maruti. Denn wie alle Inder braucht er vor allem viel Platz auf wenig Raum. „Vier Familienmitglieder auf der Rückbank, drei vorn – das ist schon normal.“ Ein Auto soll ja schließlich Mehrwert bieten, wenn auch ein Motorroller schon mal mit Vater, Mutter und zwei Kindern besetzt ist.

Das billigste Auto auf dem indischen Markt kommt übrigens für Sachdeva nicht in Frage: „Der Tata Nano ist ein schlechtes, enges, hässliches Auto - eine Schande“, redet sich der hagere Inder in Rage. Mit dem Urteil steht er wohl nicht allein. Der 2.000-Euro-Preisbrecher mit Minirädern, Knatter-Motor und Foltersitzen ist auch in Indien ein Flopp. Wer aufsteigt, will sich nicht im Billigauto zeigen.

Besser verstanden hat Hyundai, was die mehrere Hundert Millionen Menschen zählende Mittelschicht ersehnt: Solide Kleinwagen verschiedenster Art. Konventionell oder hochbauend, mit oder ohne Kofferraum, ultrakurz oder mit mehr Radstand.

Mehr als ein halbes Dutzend Modelle solcher Maße haben die Koreaner im Angebot. Den spartanischen Eon etwa oder den i20, der für Sachdeva schon als „luxuriöse Mittelklasse“ gilt. Ab 4.000 Euro ist ein Hyundai zu haben, für ärmere Landbewohner gibt’s Rabatt.

Ford zieht inzwischen mit dem Kleinwagen Figo nach und bietet auch den in Deutschland bekannten SUV Ecosport an, Honda kontert mit dem Amaze, Nissan mit dem „Go“ der Tochtermarke Datsun; 5.000 Euro – inklusive Klimaanlage.

Genau wie General Motors sucht VW dagegen noch nach dem Weg an die Spitze des Auto-Wunderlandes der Zukunft. Polo, Vento und Skoda Rapid sind dort für den Massenmarkt zu teuer, ein Mini-SUV genau wie eine Klein-Limousine unter neuer Billigflagge erst in der Entwicklung. 2016 soll der Absatz in stärkeren Schwung kommen. Dann sind vielleicht sogar 90.000 Verkäufe drin.

Die meisten Weltkonzerne müssen also noch dazulernen, um den Geschmack der Inder zu treffen. Ein paar Gespräche im Stau auf der Mahatma Gandhi Road könnten da schon weiterhelfen.

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