Automobiltest Maserati: Göttliche Erscheinung

Autorennfahrer Johannes Stuck testet das viersitzige Sportcoupe Maserati Gran Turismo.

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Der Maserati Gran Turismo Quelle: Pressefoto

Nein, das wäre wirklich nicht nötig gewesen. Ich hatte gerade zu später Stunde brav vor einer Rotlicht zeigenden Ampel im Münchner Stadtgebiet gestoppt, als ein Streifenwagen der Polizei neben mir hält. Als die Beamten neugierig herüberschauen und ihre Blicke über den dunkelblauen Sportwagen schweifen lassen, meint dieser plötzlich, noch für ein paar zusätzliche Glanzlichter sorgen zu müssen: Die Innenbeleuchtung flackert von einer Sekunde auf die andere wie eine Lichtorgel, der Zeiger des Drehzahlmessers tanzt und die Seitenscheiben öffnen und schließen sich zum Takt der Musik, die kraftvoll aus der Bose-Soundanlage schallt. Dabei ist der Maserati Gran Turismo auch so schon ein Hingucker, ein Auto, dass Passanten reihenweise die Köpfe verdreht. Elektronische Probleme aber machen unseren Testwagen, der immerhin bereits 12.800 Kilometer in der Hand anderer Piloten heruntergespult hat, zeitweise zur Lachnummer. Typisch italienisch, ist man versucht zu sagen: Viel Grandezza, aber leider auch immer etwas lässig im Detail. Ist damit schon alles über dieses Auto gesagt? Keineswegs. Denn je länger ich mit dem Maserati unterwegs war, umso mehr lernte ich ihn trotz seiner Schwächen schätzen, nämlich als ein Auto mit Charakter und vielen praktischen Werten.

Schein und Sein. Schon im Stand sieht der Gran Turismo megacool aus. Die gewaltige Motorhaube mit dem scheinbar alles verschlingenden Kühlerschlund sagt jedem Betrachter: Das hier ist ein ganz heißes Gefährt, dem man sich besser nicht in den Weg stellt – bei diesem Anblick im Rückspiegel macht jeder ganz automatisch Platz. Auch die Silhouette ist ganz wunderbar, geradezu göttlich. Sie weckt mit klassischen Anleihen wie den drei Kiemenöffnungen, den ausgestellten Radkästen und der geschwungenen, chromumrandeten C-Säule Erinnerungen an Sportwagenlegenden aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, die man heute meist nur noch im Museum, auf Oldtimer-Messen oder in Bildbänden bewundern kann. Nur das Heck passt nicht so recht ins Bild: Typisch Maserati oder auch nur klassisch ist daran eigentlich nichts. So könnte auch ein Coupé von Jaguar enden oder ein Großserienauto. Zumal der Maserati die großen Heckleuchten mit dem aktuellen Ford-Van namens Galaxy zu teilen scheint.

Auch der Blick in den Innenraum weckt bei mir zunächst zwiespältige Gefühle. Auf der einen Seite wird der Fahrer mit einem wunderschön geschwungenen Cockpit, klar gezeichneten Instrumenten und dem Duft von feinstem Leder verwöhnt, andererseits wirken manche Details für ein Auto dieser Klasse etwas billig. Das Leder ist zwar feinste Ware von Poltrona Frau. Was aber wie poliertes Aluminium aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen und Fühlen leider als schnödes galvanisiertes Plastik. Und auch die Maserati-typische Analoguhr in der Mittelkonsole sieht nach Konfektionsware aus. Fürstlich ist hingegen das Platzangebot des Gran Turismo – hier macht er seinem Namen alle Ehre. Im Fond können es auch großgewachsene Nordeuropäer längere Zeit aushalten, die Sitze dort haben keineswegs nur Alibicharakter. Die Sessel vorn sehen ebenfalls bequem aus. Punkteabzug gibt es hier aber für eine etwas harte Rückenlehne und fehlenden Seitenhalt. Auch sind die Kopfstützen aus irgendwelchen Gründen nicht verstellbar. Und einige Schalter scheinen mir auch nach dem Zufallsprinzip verteilt worden zu sein. So landete der Knopf zur Verstellung der Außenspiegel vorne in der Türverkleidung –genau dort, wo ich bei schnellen Kurvenfahrten gerne mein linkes Knie abstütze. Und der Zündschlüssel zielt dummerweise geradewegs auf mein rechtes Knie.

Saus und Braus. Solche Feinheiten sind aber schnell vergessen, wenn der Motor erst einmal angeworfen ist. Der von Ferrari entwickelte Achtzylinder bietet mit seinem Drehmomentverlauf beste Voraussetzungen für zügiges und entspanntes Reisen. Sowohl akustisch wie auch fahrdynamisch ist er erste Sahne. Für Motorsportveranstaltungen ist er zwar nicht geeignet – dafür ist der Gan Turismo mit rund zwei Tonnen Gewicht auch viel zu schwer. Im Unterschied etwa zu einem Ferrari oder Lamborghini verleitet das Auto nicht zum Rasen. Was nicht heißt, dass man mit dem Maserati nicht sehr schnell unterwegs sein kann: Nach 5,4 Sekunden ist Tempo 100 erreicht. Und erst bei 290 km/h kommt die Tachonadel zur Ruhe.

Das sind gute, aber keine atemberaubenden Werte. Aufgrund umfangreicher Dämm-Maßnahmen kann man sich auch bei höheren Fahrgeschwindigkeiten noch mit seinem Beifahrer unterhalten. Schöner ist es aber, den Arbeitsgeräuschen des 405 PS starken Achtzylinders zu lauschen: Die sind wirklich große Oper. Denn der Motor singt gleich in drei Tonlagen: Dumpf-grollend bis zu etwa 2000 Umdrehungen, kehlig-heiser bei höheren Frequenzen. Und jenseits von 4000 Umdrehungen ertönt ein Trompetenkonzert, dem man ewig zuhören möchte. Nach dem Drücken der Sporttaste wird das Gas noch einen Tick schneller angenommen. Leider nur rauscht dann auch so viel Superbenzin durch die Leitungen, dass die Benzinuhr bald zum Tanken ruft: Bei einem Durchschnittsverbrauch von knapp 22 Litern ist auch ein 90-Liter-Tank ruck, zuck leergesaugt.

Schalten und Walten. Das Sechsgang-Automatikgetriebe der Zahnradfabrik Friedrichshafen passt perfekt zum V8-Sauger. Sämtliche Schaltpunkte werden von dem Steuerprogramm sehr gekonnt gesetzt. Da lohnt es sich nicht, mit den Steuerwippen hinter dem Lenkrad einzugreifen. Viel gewinnt man dabei ohnehin nicht, denn die Gangwechsel erfolgen auch im Automatikmodus mit der Schnelligkeit eines Wimpernschlags. Das Fahrwerk ist für ein Sportcoupé dieses Kalibers erstaunlich komfortabel ausgelegt. Die etwas hecklastige Gewichtsverteilung kompensiert das Gewicht des Motors auf der Vorderachse ganz exzellent. Unser Testwagen, der mit dem 2100 teuren Skyhook-System zur kontinuierlichen Regelung der Radaufhängungen ausgestattet war, lag auch in schnellen Kurven jederzeit neutral und satt auf der Straße – das elektronische Stabilisierungssystem brauchte fast nie einzugreifen.

Auch bei hohen Geschwindigkeiten lief der Wagen wie auf Schienen, Nachlenken war nicht erforderlich. Fugen und Wellen in der Fahrbahn schluckte der Maserati so gut, dass die Insassen kaum etwas mitbekamen. Ähnlich reaktionsschnell wie Getriebe und Fahrwerk hätte ich mir auch die Bremsen gewünscht: Der Pedalweg kam mir manchmal etwas lang vor. Aber ansonsten gibt es nichts zu meckern. Ich bin noch in wenigen Autos gefahren, die Komfort und Sportlichkeit so gut kombinieren.

Geld und Kapital. Mit einem Kaufpreis von über 120.000 Euro entzieht sich der Maserati eigentlich jeder nüchternen Bilanzierung: Ein solches Auto kauft man nicht, weil man ein wirtschaftliches Transportmittel braucht, sondern weil man sich etwas gönnen will. Für das gleiche Geld bekäme man auch ein 6er-Coupé von BMW oder einen Porsche Carrera. Die wären vielleicht sogar noch einen Tick alltagstauglicher, zuverlässiger und auch wertstabiler. Aber dafür ist der Maserati Gran Turismo um einiges exklusiver und verspricht wesentlich mehr an Emotionen. Auch ohne Lichtorgel und tanzende Seitenscheiben an der Ampel.

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