Batteriezellen "Die wollen lieber alle mit dem Diesel in Rente"

Stromantrieb des BMW i3 Quelle: Bloomberg

In Europa entstehen die ersten Fabriken für Batteriezellen. In Deutschland allerdings nicht, obwohl das Know-how und der Zugriff auf die Speicherzellen existenziell sind für Autobranche und Maschinenbau.

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Bosch-Chef Volkmar Denner ist skeptisch: Der Aufbau einer eigenen Fertigung von Batteriezellen berge viele Risiken, sagt Denner. Die asiatischen Hersteller aus Südkorea, Japan und zuletzt vermehrt auch aus China seien technologisch enteilt, sie produzierten billiger. Sein Credo wiederholte Denner vergangene Woche in Stuttgart. Schon vor einem Jahr hatte der Bosch-Chef angekündigt, Ende 2017 eine Entscheidung fällen zu wollen, ob der weltgrößte Autozulieferer eine Batteriezellfabrik baut oder nicht. Jetzt hat Denner die Entscheidung auf irgendwann in diesem Jahr verschoben.

Ähnlich argumentieren die Chefs von Continental, Daimler, ZF und BMW: Sie alle bekräftigen immer wieder öffentlich, wie zentral und wichtig das Beherrschen des Batteriezellen Know-hows für die Zukunft der deutschen Automobilindustrie sei; doch wenn es um konkrete Investitionen geht, zögern und zaudern die Autobosse um die Wette.

Dabei zeichnet sich ein eklatanter Engpass auf dem Weltmarkt für Lithium-Ionen-Zellen bereits deutlich ab. Der Boom kabelloser Geräte wie Laptops und Smartphones sorgt dafür. Aber auch die mit Energie aus Lithium-Ionen-Akkus anstatt aus der Steckdose oder mit Wegwerfbatterien betriebenen Geräte boomen, etwa Powertools (Bohrmaschinen, Akkuschrauber) und Gartengeräte.

Wo das „weiße Gold“ für Elektroautos her kommt
BMW i3 Elektroauto Batterie Rohstoffe Quelle: dpa
Lithium-Fertigung in Bolivien Quelle: dpa
Lithiumkarbonat in Potosi, Bolivien Quelle: REUTERS
Deutschen Accumotive Zellforschung Daimler Quelle: dpa
Lithium-Fertigung in Uyuni, Bolivien Quelle: dpa
Llipi-Lithium-Fabrik in Uyuni Quelle: REUTERS
Lake-Reste der Lithium-Produktion Quelle: REUTERS

Enormer Bedarf

Und es ist die Autoindustrie selbst, die ab 2020 eine nie dagewesene Menge an Lithium-Ionen-Zellen benötigen wird. Angetrieben von weltweit strengeren CO2-Vorgaben (in Europa etwa sind die aktuellen Flotten der Hersteller im Schnitt noch über 35 Prozent von den nahenden CO2-Zielen entfernt) und von immer mehr Fahrverboten und Zulassungsbeschränkungen für Autos mit Verbrennungsmotor (etwa in Mexico City, Paris oder London), bauen die Hersteller die Produktion von Batterieautos oder mindestens von Hybriden mit großen Akkus auf. So wird seriösen Schätzungen von Marktforschern zufolge allein der VW-Konzern ab 2020 pro Jahr etwa die Hälfte der heute produzierten Zellen weltweit benötigen. Hinzu kommen GM, Toyota, Renault-Nissan, Daimler, Tesla, Hyundai-Kia und Volvo-Geely: sie alle wollen in den 2020ern mehrere Hunderttausend reine E-Autos und Millionen Hybride bauen.

Das Problem: in einem Elektroauto mit einer Reichweite von etwa 400 Kilometern pro Akkuladung stecken einige tausend mal mehr Zellen als etwa in einem iPhone. 8100 runde Lithium-Ionen-Zellen sind es zum Beispiel in einem Tesla; ein Laptop enthält gerade mal 3 bis 6 solcher Zellen. Bereits 2018 wird die Autobranche erstmals mehr Lithium-Zellen benötigen als alle anderen Abnehmer zusammen. Und das sind viele: Denn die kleinen, handlichen und oft wieder aufladbaren Akkus stecken nicht nur in Garten- und Hausgeräten oder Gabelstaplern oder Pedelecs, sondern auch in vielen Geräten, in denen man sie nicht auf Anhieb vermuten würde. Etwa als Notstromspeicher in Handy-Sendemasten, Patientenmonitoren oder Herz-Lungen-Maschinen.

Wie die WirtschaftsWoche exklusiv erfuhr, treten auf dem Markt bereits Lieferengpässe auf. Asiatische Zellhersteller weigern sich teilweise, versprochene Lieferungen nach Europa einzuhalten, versteigern ihre Produktion lieber meistbietend in China.


Das Problem ist, dass ein kleines Oligopol von Zellherstellern den Markt mehr oder weniger nach Belieben beherrscht. Panasonic/Sanyo und Sony aus Japan, LG Chem und Samsung SDI aus Südkorea sowie eine Handvoll chinesischer Zellfabrikanten wie CATL und BYD haben zusammen mehr als 90 Prozent Marktanteil. Der Aufbau einer eigenen europäischen Zellfertigung liege im Interesse der europäischen Industrie, meint Felix von Borck, Geschäftsführer von Akasol. Die Darmstädter beliefern zum Beispiel Omnibushersteller mit Akkus für elektrische und hybride Stadt-Busse. „Natürlich ist es sehr teuer, aber langfristig übersteigen die Chancen klar die Risiken“, sagt von Borck.

Dirk-Uwe Sauer, renommierter Batterieforscher an der RWTH Aachen, glaubt: „Der Zeitpunkt, in die Lithium-Ionen-Fertigung einzusteigen, ist jetzt. Je länger man zuwartet, desto teurer wird es.“

Auch die europäische Politik hat die Gefahr einer Abhängigkeit von dem fernöstlichen Zell-Oligopol offenbar erkannt und drängt auf den Aufbau einer eigenen Fertigung durch europäische Hersteller.

EU-Kommissar Maroš Šefčovič drängt auf EU-Ebene

EU-Kommissar Maroš Šefčovič drängt auf EU-Ebene. Šefčovič lud die wichtigsten Industrievertreter zum Batteriegipfel nach Brüssel. Dabei waren die Hersteller von Vorprodukten der Lithium-Ionen-Zellfertigung wie Kathodenmaterial und Separatoren, darunter Umicore und deutsche Chemiekonzerne wie Freundenberg und BASF, sowie Maschinen und Anlagenbauer, die das asiatische Zell-Oligopol mit Produktionsanlagen beliefern, wie Manz oder Thyssenkrupp und Siemens. Und natürlich die künftigen Großverbraucher der Zellen: ZF, Conti, Bosch, VW, BMW, Daimler. Vorvergangene Woche lud Staatssekretär Georg Schütte die Konzerne in Berlin erneut zum Gespräch, eigentlich sollte bis Februar ein gemeinsamer, konkreter Fahrplan stehen, unter dem ein eigener, europäischer Zellfertiger aufgebaut wird, möglichst ohne Beteiligung der bestehenden asiatischen Oligopolisten.

„Niedrige einstellige Milliardenbeträge“ an Subventionen könnten durchaus fließen, ließ ein EU-Beamter gegenüber der WirtschaftsWoche durchblicken; im Gespräch ist die Klassifizierung der Zellfertigung als IPCEI – ein so genanntes Important Project of Common European Interest. Unter dieser Sondermaßgabe wäre es Brüssel und einzelnen Mitgliedsländern ausnahmsweise erlaubt, Hightech-Unternehmen gezielt jenseits der üblichen Subventionsprogramme zu fördern, wenn man sie als strategisch wichtig einstuft und wenn es Unternehmen aus mehr als einem EU-Land sind. Ein solches IPCEI gibt es seit Sommer 2017 bereits für die Chipindustrie, damit diese technologisch nicht immer weiter hinter die US- und fernöstliche Konkurrenz zurückfällt und Europas Industrie nicht von diesen abhängig wird.

Brüssel und Berlin wollen aber keinen Staatskonzern gründen, sondern nur zusammen mit der Industrie die Fertigung anschieben. Daher pochen sie auf verbindliche Investitionszusagen seitens der Wirtschaft. Die tut sich damit aber sehr schwer, berichten Teilnehmer an den Gesprächsrunden. „Wir treten auf der Stelle, und es sind immer dieselben, die auf der Bremse stehen“, sagt einer.

Der Vorwurf richtet sich an die Autobauer und deren große Zulieferer; diese scheuen das Milliardeninvestment. „Kein Manager eines börsennotierten Konzerns tut sich das an“, sagt der Einkaufsmanager eines Maschinenbauers, „die wollen lieber alle mit dem Diesel in Rente.“

Eine sehr kurzsichtige Strategie; denn in einigen Jahren könnte die Autoindustrie die Kartellmacht der Asiaten sehr wohl zu spüren bekommen.

Hoffnungsträger TerraE

Andere spüren diese bereits am eigenen Leib. Die Hoffnungen der kleineren Abnehmer von Lithium-Ionen-Zellen, etwa der Hersteller von Gabelstaplern, E-Bikes, Gartengeräten und Powertools, aber auch Medizintechnikfirmen ruhen inzwischen auf einem erst 2017 gegründeten Start-Up namens TerraE. Der frühere Thyssen-Manager Holger Gritzka möchte mit TerraE den ersten europäischen Zellfertiger für Lithium-Ionen-Zellen hochziehen. Ein kleines Start-up soll also schaffen, was den Managern von Bosch, BMW, Audi, Daimler und Continental zu groß und riskant erscheint. Gritzka bemüht sich seit Monaten um Geld und Unterstützung seitens deutschen und französischen Großindustrie. Er will schon bald einen möglichen Standort für die erste nicht-asiatische Lithium-Ionen-Zellfertigung bekanntgeben. „Von ursprünglich sechs möglichen haben wir den Kreis der Kandidaten inzwischen auf zwei eingeschränkt“, sagt Gritzka. Auch Deutschland sei „nicht aus dem Rennen“, auch, wenn es andernorts vielleicht etwas einfacher sei.

Immerhin hat TerraE inzwischen ein Konsortium von 19 Unternehmen um sich geschart, die es mit Know-how und Personal unterstützen wollen. Darunter Siemens, Thyssenkrupp, Umicore, SGL.

Gritzka plant die volle Fertigungskapazität von 34 GWh pro Jahr jedoch erst 2028 zu erreichen. Nach Meinung einiger Kritiker zu wenig, zu spät. Im ersten Schritt soll lediglich eine kleine Fertigung von 1,5 GWh pro Jahr entstehen. „Keiner kann diese Fertigung von heute auf morgen bauen. Somit müssen wir schrittweise vorgehen“, erklärt Gritzka.

Immerhin: „Die Finanzierung für die erste Ausbaustufe steht“, sagt Gritzka, im April 2018 soll der Bau beginnen. Gritzka: „Das ist bereits ein großer Erfolg.“ Inzwischen hat Gritzka das ursprünglich kommunizierte Ziel, eine Giga-Fabrik mit einer jährlichen Produktion von 34 Gigawattstunden zu bauen, weit in die Zukunft verschoben. Eine solche Fabrik würde mindestens drei Milliarden Dollar Investitionen erfordern. Nun will der TerraE-Chef zunächst eine kleine, modulare Fertigung für 1,5 GWh aufbauen. „Die Finanzierung für die erste Ausbaustufe steht inzwischen“, sagt Gritzka. Die volle Kapazität will er erst 2028 erreichen.

Im ersten Schritt soll TerraE nicht für die Autoindustrie produzieren, sondern für die Abnehmer kleinerer Zellmengen. „Für diese sind die Zellen oft überlebenswichtig, aber auf dem Weltmarkt immer schwerer zu besorgen“, sagt Sven Bauer, Chef des größten deutschen Akkufertigers BMZ, und einer von Gritzkas prominentesten Unterstützern.

Selbst Schweden ist weiter

Andere sind da weniger entscheidungsschwach. Peter Carlsson etwa. Der Ex-Tesla-Manager will ausgerechnet im Hochlohnland Schweden eine riesige Batteriezellenfabrik bauen. Die drei großen europäischen Konzerne Vattenfall, ABB und Scania investieren in das Zellprojekt mit dem Namen Northvolt. Ab Mitte dieses Jahres will Carlsson mit dem Bau der Fabrik in der nordschwedischen Stadt Skelleftea loslegen. Die Produktion soll im Jahr 2020 mit rund 2000 Mitarbeitern und einem jährlichen Produktionsvolumen von acht Gigawatt in Betrieb gehen. Für Schweden hat sich Carlsson aus mehreren Gründen entschieden. Die Stadt Skelleftea ist Teil eines Rohstoff- und Bergbau-Clusters in Nordschweden, sodass Northvolt auch Zugang zu wichtigen Rohstoffen hat, die für die Zellproduktion notwendig sind. Schweden verfügt außerdem über einen großen Anteil an günstiger Energie aus Wasserkraft. Das ist ein Vorteil für die energieintensive Zellproduktion und für den ökologischen Fußabdruck der Produktion. Zusätzlich will Northvolt auch ein Forschungs- und Entwicklungszentrum für Batteriefertigung aufbauen.

Mit dem Nutzfahrzeug-Hersteller Scania hat Ex-Tesla-Manager Carlsson eine Vereinbarung für die gemeinsame Entwicklung und Vermarktung von Batteriezellen speziell für schwere Lastwagen vereinbart. Die schwedische Scania investiert 10 Millionen Euro in die Partnerschaft mit Northvolt. Die Kooperation mit der VW-Tochter umfasst außerdem einen Abnahmevertrag für die Zellen.

Auch der Schweizer Technologiekonzern ABB leistet eine Anschubfinanzierung für die Zellfabrik von Northvolt in Höhe von 10 Millionen Euro. Die Schweizer beteiligen sich aber auch an der Entwicklungsarbeit für die Zellfabrik und bringen ihr Know-how beim Aufbau einer industriellen Fertigung ein. ABB hat enge Verbindung zu Schweden. Ende der 80er Jahre ist ABB aus der Fusion der schwedischen Firma Asea und der Schweizer Brown, Boveri & Cie. entstanden. ABB betreibt in dem schwedischen Bergbaucluster auch Fabriken und eine Forschungseinrichtung. Das, sagt ein ABB-Manager, war ein wesentlicher Grund, warum das Unternehmen Schweden als Standort für eine Zellfabrik begrüßt. Für den Schweizer Konzern ist die Elektromobilität ein wichtiger Wachstumsmarkt. Schon heute betreiben die Schweizer 6500 E-Ladesäulen in 57 Ländern. Die Nachfrage nach Zellen, nicht nur für E-Autos, sondern auch für E-Busse, für elektrifizierte Fähren und Kreuzfahrtschiffe, werde weiter ansteigen, sagt Johan Soderstrom, Landeschef von ABB in Schweden. Bisher sind auch die Schweizer bei Zellen komplett von asiatischen Lieferanten abhängig. Das soll sich mit Northvolt ändern.

Technische Hintergründe zu Akkus

Auch die asiatischen Oligopolisten haben erkannt, dass es für sie sinnvoll ist, in Europa zu produzieren. Samsung SDI baut in Göd nahe Budapest ein Werk aus, LG Chem in Breslau. Damit sind sie zwar näher an den europäischen Kunden, aber eben immer noch ein Oligopol. „Die Autoindustrie sollte ein hohes Interesse daran haben, dieses aufzubrechen und daran mitarbeiten, dass weitere unabhängige Zellproduzenten entstehen“, sagt Sauer von der RWTH. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass große Teile des Know-hows und der Wertschöpfung langfristig in Deutschland verloren gehen.“

Das ist keine nebulöse Schwarzmalerei, sondern folgt einer bestechend einfachen Logik: Um die Zelle herum ist es für einen Zellhersteller relativ einfach, das Know-how entlang der Wertschöpfungskette zu erweitern; den Zusammenbau der Zellen zu Packs und Akkus beherrschen die Zellhersteller ohnehin. „Dann benötigt man nur noch ein wenig Leistungselektronik und Software, und man ist schnell beim gesamten E-Antriebsstrang für das Elektroauto“, sagt Sauer.

Genau das macht LG Chem bei GM in Detroit bereits vor. Dort liefern die Koreaner den Antrieb für die E-Autos Chevy Bolt/Opel Ampera. 56 Prozent, das haben die Analysten von UBS ausgerechnet, der Wertschöpfung an den GM-Elektroautos entfallen bereits auf LG Chem und deren Zulieferer.

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