Carsharing-Markt Die Ökos schlagen zurück

Der Carsharing-Markt boomt. Stadtmobil und andere etablierte Anbieter, die als Anlaufstelle für Ökonerds galten, kontern den Einstieg von Daimler, BMW und Citroën. Sie kopieren einfach deren Modell. Der Kunde profitiert.

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Vorreiter aus Hannover: Carsharing-Anbieter Stadtmobil bietet Kunden zwei Systeme Quelle: Presse

Eigentlich ist Harald Zielstorff mit der Entwicklung seines Unternehmens zufrieden. Der Chef von Stadtmobil in Hannover ist Herr über eine Flotte von 160 Carsharing-Autos und zählt 3500 Niedersachsen zu seinen Kunden. Wer ein Auto braucht, holt es an einer der 85 Stationen in der Landeshauptstadt ab und stellt es nach der Fahrt wieder dort ab. Seine 13 Mitarbeiter sind gut beschäftigt, Umsatz und Kundenzufriedenheit wachsen stetig.

Doch seit drei Jahren wird sein Geschäftsmodell von Eindringlingen bedroht. Autohersteller wie Daimler, BMW und Citroën steigen mit einem neuen Konzept ins Carsharing ein: Ihre Kunden in Berlin, Hamburg und Köln dürfen die Autos überall im Stadtgebiet abstellen. Das System ist flexibler, auch Einzelfahrten sind möglich – bei der Großstadtklientel kommt das gut an. Zielstorff wollte nicht länger warten, bis einer der Konzerne auch in Hannover das One-Way-System einführt. Seit Juni bietet der Unternehmer daher seinen Kunden neben Autos, die an feste Stationen gebunden sind, auch 30 Fiat 500 für Einzelfahrten an, "eine Kombination, die es so in Deutschland noch nicht gibt", so Zielstorff.

Mehr Wettbewerb bringt Kunden Vorteile

Der Stadtmobil-Chef aus Hannover ist Vorreiter seiner Zunft. Um den Erfolg der Autobauer zu stoppen, rüsten sich traditionelle Carsharing-Anbieter wie Cambio, Stadtmobil und Teilauto mit ihren bundesweit rund 250 000 Kunden zum kollektiven Gegenschlag. Die Hersteller geraten überraschend in die Defensive.

Denn schon bald werden weitere Unternehmen der Stadtmobil-Gruppe dem Beispiel Zielstorffs folgen, erfuhr die WirtschaftsWoche. Stadtmobil ist nach Kundenzahl der zweitgrößte Anbieter nach Flinkster von der Deutschen Bahn. Auch Cambio beobachtet die Entwicklung "aufmerksam". Die Carsharing-Gruppe Teilauto, die im Osten Deutschlands stark ist, prüft gar, ob sie "One-Way-Angebote zwischen größeren Städten, etwa zwischen Dresden und Leipzig, organisatorisch und wirtschaftlich sinnvoll installieren kann", sagt Geschäftsführer Michael Creutzer.

Neue attraktive One-Way-Modelle

Der Wettbewerb um das beste Modell verändert das Mobilitätsverhalten der Deutschen nachhaltig. Das klassische Teilen des Autos mit anderen, einst als Spar-Alternative für Ökonerds belächelt, setzt auf feste Stationen mit Flotten von Kleinwagen bis Transportern, Monatsgebühr und Stunden- und Kilometerpauschale pro Buchung je nach Fahrzeugklasse. Die Autos müssen zur Ausleihstation zurückgebracht werden. One-Way-Systeme dagegen verzichten auf Monatsgebühren, verlangen dafür höhere Minuten- und Kilometerpauschalen. Die Autos dürfen auf öffentlichem Parkraum abgestellt werden. Der Start von reinen One-Way-Systemen wie Daimlers Car2Go und DriveNow von BMW in jüngster Zeit hat das Carsharing um eine coole Alternative erweitert.

15 Millionen Nutzer bis 2020

Volkswagen, Renault und Peugeot prüfen mit Hochdruck, ob, wann und wie sie in den Markt einsteigen können. Die Wachstumsaussichten sind enorm: Gab es Ende 2011 in Europa 700 000 Carsharing-Kunden, werden es nach einer Prognose der Beratung Frost & Sullivan 2020 nahezu 15 Millionen Nutzer sein. Die Zahl der Fahrzeuge werde sich auf 240 000 mehr als verzehnfachen – darunter auch Elektroautos.

Jan-Peter Ellerbrock, Deutschland-Geschäftsführer von Europcar, will mit dem Carsharing-Konzept Car2Go weiter expandieren, bald Geld verdienen und neue Kunden erreichen.

Vor allem One-Way-Systeme werden wachsen, so die Studie. Das Geschäft der 130 traditionellen Anbieter in Deutschland mit ihren Stationen gilt zwar als profitabel. "Eine Umsatzrendite von drei Prozent ist realistisch", sagt Stadtmobil-Manager Zielstorff. Seine Kunden zahlen im Standard-Tarif pro Monat fünf Euro und eine Ausleihgebühr ab 1,80 Euro pro Stunde je nach Fahrzeuggröße. Hinzu kommt eine Kilometerpauschale von 20 bis 40 Cent. Die sieben Gesellschaften der Stadtmobil-Gruppe, die von Berlin bis Stuttgart 1800 Autos vorhalten, setzen pro Jahr mehr als zehn Millionen Euro um.

Einzelfahrten bringen mehr

Doch mit den Einzelfahrten, auf die es die Autohersteller abgesehen haben, ließen sich die Umsätze steigern, wie ein Preisvergleich zeigt. So kostet eine einstündige Fahrt von zehn Kilometern im Kleinwagen bei Stadtmobil rund vier Euro. Für die gleiche Strecke und Zeit zahlen Nutzer mit einem Car2Go-Smart knapp 13 Euro.

Daimler, der das Projekt mit Joint-Venture-Partner und Autovermieter Europcar betreibt, verbucht allein in Hamburg für die Smart-Flotte mit 500 Fahrzeugen mehr als 15 000 Buchungen pro Woche. Der Umsatz liegt dort geschätzt bei rund fünf Millionen Euro pro Jahr – pro Auto also grob ein Drittel mehr Umsatz als bei den etablierten Systemen. Zudem teilen sich Daimler und Europcar die Betriebskosten: Der Autobauer liefert günstige Smarts, der Autovermieter stellt seine Buchungs-IT.

Leihauto für kurze Fahrten

Konkurrenz fürs Taxi

Weltweit ist Car2Go in 16 Städten wie Vancouver, Miami, Birmingham, Wien und Amsterdam vertreten. Mehr als 120 000 Buchungen pro Woche laufen ein – ein geschätzter Jahresumsatz von 125 Millionen Euro bei durchschnittlicher Ausleihedauer von 20 Minuten. Noch befindet sich das Unternehmen in der Wachstumsphase. Bis 2014 wolle Car2Go "das Geschäft profitabel betreiben", heißt es offiziell. Daimler-Boss Dieter Zetsche gab als Ziel die Umsatzmarke von einer Milliarde Euro aus.

Vor allem Studenten und junge Familien nutzen die One-Way-Systeme von Car2Go, DriveNow und Multicity von Citroën (eine Kooperation mit der Deutschen Bahn), wie eine Analyse des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) zeigt. Die Forscher beobachteten die Autobewegungen in Berlin. In einigen Vierteln parkt ein Wagen im Schnitt kürzer als zwei Stunden, bis es erneut ausgeliehen wird. "Die Autos werden meist für Fahrten von 15 bis 60 Minuten benutzt", sagt Studienleiter Andreas Knie (siehe Grafik).

Viele Nutzer nutzen mehrere Systeme

Ein Smart der Carsharing Firma

Interessanterweise steigt die Zahl der Nutzer mit wachsendem Gesamtangebot. Flinkster etwa, das stationäre Carsharing-System der Deutschen Bahn, "verzeichnete einen deutlichen Anstieg der Kundenzahlen, nachdem Car2Go und DriveNow in Berlin an den Start gingen", sagt Knie, der auch die Strategie der DB-Tochter verantwortet. Die Autohersteller haben auf Plakaten geworben und so das Interesse der Berliner für das Thema insgesamt geweckt. Zudem wirke das One-Way-Carsharing wie "eine Einstiegsdroge". Bei halbstündigen Fahrten sei es günstiger, danach die Etablierten. Viele Nutzer melden sich darum gleich in mehreren Systemen an.

In Berlin kommt bald noch ein neues hinzu. Finanzinvestor Mangrove aus Luxemburg, der sich selbst als "frech" und "geduldig" preist, investiert in ein Startup namens Citeecar. Citeecar verteilt bald Dutzende Kia Rio an festen Stellplätzen, die Privatnutzer bereitstellen. Die Parkplatz-Inhaber pflegen den Kleinwagen auch als persönliche "Hosts" und dürfen es kostenlos nutzen. Andere zahlen einen Euro pro Stunde plus 20 Cent pro Kilometer – der Preiskampf ist eröffnet.

Kunden, Städte und Umwelt profitieren

Das trifft etablierte Anbieter, denn Kosten für Wartung und IT sind hoch. Car2Go und DriveNow haben mit Bordtechnik neue Maßstäbe gesetzt: Navigationssysteme, Chips auf dem Führerschein als Schlüsselersatz und Telefonverbindung zur Zentrale per Knopfdruck, sollte das Auto defekt sein. Um Kosten zu senken, gingen ältere Anbieter etwa in Lüneburg und Freiburg bereits bei Cambio und Stadtmobil auf.

Profiteure des Wachstums sind schon jetzt Kunden, Städte und Umwelt. Nahverkehrsanbieter wie die Düsseldorfer Rheinbahn verkaufen Kombi-Pakete, die es Inhabern erlauben, Bus, Bahn und Carsharing-Auto rabattiert zu nutzen. "Je mehr Carsharing innerhalb einer Stadt angeboten wird, desto mehr Einwohner nutzen am Ende auch den öffentlichen Nahverkehr", sagt Experte Knie, "das gilt auch für One-Way-Anbieter."

Ökologischer Effekt angeblich nicht belegt

Der Bundesverband Carsharing (BCS), der die Mehrheit der Anbieter wie Cambio, Stadtmobil und Teilauto vertritt, bezweifelt das: "Es gibt keine Studie, die den ökologischen Effekt des flexiblen Carsharings belegt", sagt BCS-Chef Willi Loose. Für den BCS ist das aber eine zentrale Forderung.

Auch Stadtmobil-Chef Zielstorff zögerte anfangs, die 30 Fiat 500 im Stadtgebiet von Hannover zu verteilen. "Wir haben anfangs ökologische Risiken gesehen", sagt er. Am Ende war der unternehmerische Ehrgeiz doch größer. Volkswagen saß Zielstorff im Nacken. Der Konzern – seit 2011 schon mit festen Stationen in der Landeshauptstadt vertreten – schließt die Einführung eines One-Way-Systems nicht aus.

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