Chauffeure Fahrtraining für Profis

Wer auf der Rückbank Akten studiert, will sich auf seinen Fahrer verlassen können. Aber was kann der eigentlich?

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Landmann Fahrtraining

Der Scheinwerfer vorne rechts fehlt, aus der Mittelkonsole ragt ein seiner Ummantelung beraubter Metallstab, und die Sitze sind durch. Vielleicht können die Warnlampen noch leuchten, viel Hoffnung macht der Zustand des Wagens aber nicht. Mattschwarz ist der Opel Omega lackiert. Dass der TÜV für die Fahrt im Straßenverkehr seinen Segen geben würde, scheint ausgeschlossen.

Dennoch pflanzt sich Hubert Mahler* (Name geändert) zuversichtlich hinter das Steuer. Mit Sturmhaube und schwarzem Helm auf dem Kopf will er Carlo Finé verfolgen. Er und zwei weitere Fahrer im gleichen Outfit und in kaum besser aussehenden Opel. Verfolgungsjagd. Finé ist Polizist und Fahrlehrer. Ihm reicht eine Hand, um seinen Karren vorneweg um die Kurven zu schleudern und gleichzeitig im Funkgerät Anweisungen zu geben.

„Versucht, dranzubleiben“, schnarrt es aus den Funkgeräten. Für Mahler ein ungewöhnlicher Auftrag. Normalerweise ist er angehalten, nach den Regeln der Straßenverkehrsordnung sein Fahrzeug zu führen und seinen Passagier sicher und heil ans Ziel zu bringen. Mahler fährt für den Lebensmittelkonzern Tengelmann. Nun aber heißt es für ihn, nicht geduldig auszuharren, bis der Chef vom Meeting zurückkommt, sondern das Gelernte aus zwei Tagen Fahrtraining so umzusetzen, dass er Finé nicht aus den Augen verliert.

Attentat und Reifenplatzer

Im schlimmsten Falle seines Berufslebens wäre es andersrum. Mahler wäre vorne und hinter ihm einer, der ihn verfolgt. In Deutschland ist das kaum zu erwarten, keiner der 16 Teilnehmer des 84. Landmann-Trainings „Risikominimierendes Fahrertraining für Chef- und Vorstandsfahrer“, ist jemals bedroht worden. Im Ausland sieht das anders aus. In vielen Ländern, in denen deutsche Unternehmen aktiv sind, sind Mitarbeiter bei der Fahrt mit dem Auto gefährdet, sagt Oliver Schneider von der Result Group aus München.

Sicherer Umgang mit dem Fahrzeug ist aber auch in Deutschland hilfreich, denn ob ein Wagen ins Schleudern gerät, weil ein Reifen platzt oder er zerschossen wird, spielt für den Fahrer in dem Moment keine Rolle. „Die Mechanismen, den Wagen wieder unter Kontrolle zu bringen, sind die gleichen“, sagt Chef-Trainer Klaus Dupont, der unter der Woche in der Landespolizeischule Hahn im Hunsrück Polizeibeamte im schnellen sicheren Fahren unterrichtet.

Sicheres Fahren fängt beim Sitzen an

Auf der Fahrtechnikanlage im Hunsrück bei Kastellaun ist die Welt am Samstagvormittag vor den Fahrübungen noch in Ordnung. Die Kursteilnehmer arbeiten als Chauffeure bei Landesbanken, Versandhändlern, Energiekonzernen und Versicherungen. Einige, wie Mahler, sind in den vergangenen Jahren schon mehrmals dabei gewesen, andere feiern ihre Premiere, wie die drei Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes aus Hamburg.

Und der Kursus unterscheidet sich zunächst kaum von dem, was jeder Teilnehmer eines Fahrsicherheitstrainings lernt, wie es Automobilclubs oder Fahrzeughersteller anbieten: Sicheres Fahren fängt beim Sitzen an. Weiter vorne als man denkt, und mit steilerer Rückenlehne als es den meisten Fahrern behagt. 90 Grad sollte der Winkel im Ellenbogen betragen, und die Hände sollten etwa in Höhe der Mitte des Lenkers liegen.

Und nur dort, notfalls auch für Stunden. Niemals mit „Hasenzähnen“ fahren und oben beide Hände liegen haben oder lässig das Lenkrad unten mit Daumen und Zeigefinger greifen. „Wenn etwas passiert, ist es zu spät, noch umzugreifen“, sagt Finé, der „mit dem Wagen arbeiten“ sagt, wenn er lenken meint. Der Gurt sollte von Hand gestrafft werden und die Jacke immer ausgezogen sein. Ein Ratschlag, der am Ende des Wochenendes noch immer nicht von allen beherzigt wird, was ihnen Ermahnungen aus dem Funk einträgt.

Fahrtraining Grafik Quelle: Roland Warzecha

Für Mahler in der Gruppe der Wiederholungstäter geht es gleich mit Fahrübungen los. Richtig sitzen, das kann er. Überhaupt hat er das alles schon mal gehört und auch gemacht. „Aber um im Ernstfall richtig zu reagieren, ist es sinnvoll, das regelmäßig zu üben“, sagt Mahler, der sich mindestens alle zwei Jahre zeigen lässt, wie man kräftig untersteuert, kräftig bremst oder auf ölverschmierter oder mit Blitz-Eis überfrorener Piste die Limousine gerade hält.

Der Vorteil für Mahler und seine Kollegen: Der größte Teil des Wagenparks kann es vertragen, wenn eine Übung misslingt. Die mattschwarz lackierten Fahrzeuge fahren hier ihre letzten Kilometer. Wenn einer zu schnell ist, dann sind die Blechschäden das geringste Problem.

Und schnell soll es werden. Die Übungen enden nicht bei 50 Kilometer pro Stunde, sondern bei Tempo 120 oder 130 – und wenn der Tacho nicht stimmt, vielleicht auch bei mehr. Das zeigt dann erst der Bremsweg auf halbseitig rutschigem Untergrund, auf dem die Fahrer geradeaus fahren und am Ende der Spur einem imaginären Hindernis ausweichen sollen.

Der Chef heißt „Hinten rechts“

„Das ist kaum vonnöten im Alltag“, weiß auch Markus Clöer, Inhaber des Veranstalters Landmann-Training. Das Problem für alle: Niemand weiß, ob auch die morgige Dienstfahrt ohne Komplikationen bleibt. Fahrer sind oft Tausende von Kilometern unterwegs, mal mit ihrem Chef, mal ohne ihn, um das Auto dorthin zu bringen, wo das nächste Meeting ist. Es kommt auch vor, dass sie die Jagdgewehre des Chefs ins Wochenenddomizil trans- portieren. 

„Hinten rechts“ nennen sie die Person, die gefahren wird, und im Laufe eines Fahrer-Berufslebens wechselt die unter Umständen öfter als das Dienstfahrzeug. Manche sind über zwei Jahrzehnte mit nur drei Chefs unterwegs gewesen, andere mit mehr als einem Dutzend; einige haben über die Jahre eine enge Beziehung zu dem Menschen aufgebaut, der ihnen sein Leben anvertraut.

Mit Termindruck müssen die Fahrer umzugehen lernen. Schnelle Autobahnfahrten gehören zum Alltag. Überschreiten der Tempolimits nicht. Bußgelder bezahle zwar der Arbeitgeber, erzählt ein Teilnehmer, der für einen Handelskonzern arbeitet, aber die Punkte in Flensburg bekommt jeder persönlich: „Da hilft ihnen keiner.“

Fast alle können von brenzligen Situationen berichten, wo nur Vollbremsung und Ausweichen noch retten konnten. „Dann ist es zu spät, darüber nachzudenken, was ich gelernt habe“, sagt Mahler.

Landmann Fahrtraining

Um zu wissen, was sie können, sollen die Fahrer lernen, was sie nicht können. Im Kreis fahren zum Beispiel. Der nassgesprühte Rundparcours soll mit kräftigem Untersteuern umfahren werden, obwohl umschlittern treffender wäre.

Doch alle Anleitungen helfen nicht. Die Teilnehmer müssen selber ein Gefühl dafür entwickeln, wie es ist, mit einem heftigen Lenkimpuls den Wagen quer zur Fahrtrichtung zu stellen und mit nach außen zeigenden Rädern rumzukurven. Oder mit dem „Popometer“ die nötigen Reaktionen zu erfühlen, um auf der ebenfalls nassen Metallplatte auf gut 100 Metern den Wagen mit dem Heck hin- und herzuwedeln.

Oder sie lernen blindes Vertrauen in die Physik. Rückwärts aus einer Parklücke mit Vollgas das Steuern, rumzureißen, das Auto, ohne zu bremsen, schleudern zu lassen und nach einer Drehung um die eigene Achse mit Vollgas wieder rasch weiterzufahren – das müssen alle mehrmals probiert haben, damit das spektakuläre Fahrmanöver funktioniert und im schlimmsten Falle einen auch aus brenzligen Situationen rettet.

Das kann, aber muss nicht der Angriff eines bewaffneten Täters sein. „Man kann sich nach einem Bremsmanöver auf glatter Fahrbahn auch plötzlich umgekehrt zur Fahrtrichtung wiederfinden“, sagt Finé.

Eines bleibt den meisten im Kopf hängen: Das Üben macht auch Spaß. Das Formationsfahren mit acht Wagen, bei dem ein lustiges Bäumchen-wechsel-dich-Spiel abläuft, ebenso wie der Versuch, dem Tempo von Finé bei der Autojagd zu folgen.

Die vier Mercedes, von der C- über E-Klasse bis zum SL500, die als Schmankerl ebenfalls zum Wagenpark gehören, entsprechen zwar mehr dem Alltagswerkzeug als die zerschraddelten Opel, aber mehr Fahrspaß bieten sie kaum. „Man spürt viel mehr vom Fahrzeug in den alten Karren“, sagt ein Teilnehmer.

Die Passagiere von Mahler und seinen Kollegen können künftig mit noch ruhigerem Gefühl Akten studieren. Und froh sein, dass sie nicht als Statisten hinten rechts dabei sein mussten.

Mehr Infos zu den Fahrsicherheitsprogrammen unter www.landmann-training.de

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