Die Zukunft der Straße Audi und die Vision vom Superauto

Audi will dem Auto Flügel verleihen. Allerdings nur als Türen. Denn der Traum vom fliegenden Auto wird auch in zwanzig Jahren wohl noch einer bleiben. Alles andere hat der Konzern aber bereits in Angriff genommen.

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Das Audi-Konzeptfahrzeug E-tron. Quelle: Reuters

Ingolstadt Das Auto der Zukunft fährt auf Kugeln statt auf Rädern. Zum Einsteigen schwingen die Flügeltüren nach oben. Wie ein Pilot sitzt der Fahrer vor digitalen Displays im Cockpit aus beschichtetem Glasfaser-Laminat. Bisher ist der Sportwagen RSQ, die Vision des Autobauers Audi für das Sportcoupé im Jahr 2035, nur ein Einzelstück. Die Designer und Ingenieure haben es als Dienstwagen von Hollywood-Star Will Smith für den Film "I, Robot" kreiert. Inzwischen steht die Zukunft des Autos im Ingolstädter Firmenmuseum.

Die Zukunft möglichst bald auf unsere Straßen zu bringen, ist die Aufgabe von Audis Entwicklungschef Michael Dick. Der Mann mit den feinen weißen Haaren und der schmalen Brille macht bei unserem Besuch in seinem Zukunftslabor keinen Hehl daraus, dass die Branche vor einem gewaltigen Umbruch steht. "Alternative Antriebe, Leichtbau, neue Mobilitätskonzepte - wir sind mitten dabei, das Auto ein zweites Mal zu erfinden", sagt er.

Der Maschinenbauer weiß, welche Rolle ihm und seinem Ressort zukommt. Die Hersteller müssen ihre Fahrzeuge fit machen für die Generation Facebook. Autos werden rollende Kommunikationszentralen. Die Hersteller arbeiten an Lösungen, die den Trends unserer technisierten Lebenswelt Rechnung tragen: Navigation und Nachrichtenübertragung in Echtzeit, Vernetzung überall, mobile Büroarbeit und bargeldloses Bezahlen beim Tanken oder Parken.

In zehn oder 15 Jahren soll all das Standard sein. Weltweit sind dafür Tausende Entwickler im Einsatz. Audi und die Konzernmutter VW unterhalten im Bereich Car-Communication Labore in Peking und in der Ideenschmiede Silicon Valley. Bricht in China die Nacht herein, nehmen die Spezialisten in den USA ihre Arbeit wieder auf. Insgesamt sind mehr als 6.000 Menschen bei Audi in der Forschung und Entwicklung tätig - im gesamten VW-Konzern sind es gut 30.000.

In der Ingolstädter Firmenzentrale füllen über 1000 Entwickler Audis Leitspruch "Vorsprung durch Technik" mit Leben. Ricky Hudi ist mit seinem Team verantwortlich für Elektrik und Elektronik. Das Zentrum für Elektronikentwicklung residiert ein paar Kilometer Luftlinie entfernt vom Audi-Vorstand im Gebäude T20, direkt neben der Produktion. Hier arbeitet Audi unter strenger Geheimhaltung an der vernetzten Zukunft seiner Autos.


Die Aufgabe: Vernetzung mit der Umwelt

Der futuristische Glasbau ist terrassenförmig angeordnet - die fast 1000 Forscher ziehen mit ihren Projektteams ständig um. Mit Blick in den blauen Himmel entstehen ganz oben Ideen. Wird das Projekt konkreter, zieht das Team jeweils ein Stockwerk tiefer. Auf der untersten Ebene entstehen auf sogenannten "Bretterbänken" Schaltkreise und Modelle für konkrete Fahrzeuge. Auf diese Weise gelang es in Rekordzeit, eine komplette Elektronikarchitektur für Audis elektrisch angetriebene Sportwagenstudie eTron zu entwickeln. Vier Jahre sollen für die Entwicklung des Autos reichen - normalerweise braucht die Industrie sieben Jahre.

"Rund 90 Prozent aller Innovationen beim Auto haben inzwischen mit Elektronik zu tun", sagt E-Entwickler Hudi, mit spürbarem Stolz. "Im letzten Jahrzehnt haben wir das Auto intern vernetzt. In diesem Jahrzehnt werden wir es komplett mit der Umwelt vernetzen."

Aus den Gesprächen mit den Entwicklern entsteht langsam ein Bild, wie sich die Forscher die schöne neue Welt des Fahrens im Jahr 2020 vorstellen: Leise surrt der Elektroantrieb der Limousine, als kurz vor München der per Hochfrequenznetz ununterbrochen mit dem Internet verbundene Bordcomputer einen gerade entstandenen Stau wenige Kilometer voraus meldet. Als der Verkehr zähflüssig wird, öffnet sich ein virtueller Bildschirm auf der Windschutzscheibe und fragt den Fahrer, ob der Computer die Staufahrt übernehmen soll.

Erleichtert akzeptiert der Fahrer das Angebot auf dem Touchscreen und überlässt dem System die weitere Fahrt. Das Auto selbst übernimmt nun völlig automatisch die Steuerung. Der Fahrer kann derweil über das Bordnetz Mails per Sprachbefehl bearbeiten, den Facebook-Account überprüfen und rasch per Videostreaming seinen Kollegen eine Bild-Botschaft hinterlassen, dass er später zum Meeting kommt.

Neben den Autos müssen sich aber auch die Hersteller wandeln, um die Vision real werden zu lassen. "Von uns erfordert das neues Denken und neue Überlegungen", räumt Entwicklungschef Dick ein. Deshalb bricht der 59-Jährige etablierte Strukturen auf. "Wir haben inzwischen ein Team zusammengestellt, das neue Konzepte rund um die Mobilität entwickeln soll und über neue Angebote nachdenkt. Noch sind dies nur zehn bis 15 Mitarbeiter, die mir unterstellt sind. Aber ihre Zahl wird rasch größer werden", sagt Audis Entwicklungschef.


Auf dem Weg zum Mobilitätsdienstleister

Statt nur Autos zu produzieren, sollen die Unternehmen zu umfassenden Mobilmachern werden. Bei Audi denken sie beispielsweise darüber nach, Kunden eine Flatrate anzubieten, die Zugriff auf Modelle nach Wahl erlaubt. Das kann dann mal ein Sportwagen, mal eine Limousine oder ein Geländewagen sein. Dick ist sicher, dass "Autohersteller in Zukunft zu Mobilitätsdienstleistern" werden.

Das Zukunftsmobil hat in den Köpfen der Entwickler, die auf Jahre im voraus planen, längst Gestalt angenommen. Vor allem der Trend zum elektrischen Fahren regt ihre Fantasie an. "Die alternativen Antriebe geben den Designern neue gestalterische Freiheiten. Wir können die klassische Sitzposition im Auto auflösen", gibt Dick einen Ausblick auf die verbrennungsmotorfreien Entwürfe des kommenden Jahrzehnts. Aus Sicht von Audis Entwicklungschef passt sich das Auto dem heimischen Wohnzimmer an. Dick: "Der Wagen wird so immer weniger reines Fortbewegungsmittel, sondern komplett vernetzte Lounge. Wir werden in zehn Jahren immer mehr unterschiedliche Fahrzeugkonzepte sehen - darunter auch Baureihen, die aus dem gewohnten Bild des Automobils herausfallen werden."

Was das genau bedeutet, behält Audis oberster Entwicklungsmanager vorerst lieber für sich. Aber einen Ausblick gibt er schon: Audi könnte mit dem Abschied vom Verbrennungsmotor eine völlig variable Innenraum-Architektur anbieten, während der Antrieb komplett in den Unterboden verschwindet. Die Airbags dürften dann nach außen auf das Auto wandern, intelligente Assistenzsysteme dem Fahrer viel Arbeit abnehmen.

Ein Traum des Automannes dürfte allerdings selbst im kommenden Jahrzehnt lediglich Wunsch statt Wirklichkeit bleiben: das fliegende Auto. "Leider halte ich diese Version auch in 20 Jahren noch nicht für realistisch", sagt Audis Entwicklungschef. An allem anderen arbeitet er längst.

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