Elektromotorrad LiveWire So erfindet Harley-Davidson sich neu

Ein strombetriebenes Naked Bike spaltet die traditionsbewusste Fangemeinde von Harley-Davidson. Doch es soll noch vor 2020 in Serie gehen. Wir sind schon mal aufgestiegen, zur Testfahrt mit dem „Project LiveWire“.

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Der dreiphasige, längs eingebaute Wechselstrommotor der LiveWire sitzt in Harley-Davidsons erstem Voll-Alurahmen Quelle: Harley-Davidson

„Ich konnte mir selbst nicht vorstellen, dass mich ein Bike ohne Verbrennungsmotor derart begeistert. Aber LiveWire ist Emotion pur und voller Energie – nur eben jetzt mit Volt und Ampere statt Sprit.“ So wie Frank Klumpp, Marketing-Chef von Harley-Davidson Deutschland, geht es praktisch jedem, der die 55 kW/74 PS starke Harley-Davidson LiveWire erstmals fährt: Skepsis wird bei einer ersten Testfahrt im Nu hinweggestromert und schwappt schnell über in Euphorie.

Denn das elektrisch angetriebene Motorrad flitzt in unter vier Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Und typisch Elektromotor: Schon beim leichtesten Zucken am Potentiometer, der früher mal Gasgriff hieß, schiebt das volle Drehmoment von 70 Newtonmeter an. LiveWire zieht ihrem Piloten die Arme lang und untermalt ihre Dynamik mit einem Sound, der an einen startenden Düsenjet erinnert. Auf die Serienversion der Elektro-Harley, die noch vor 2020 kommen soll, darf man deshalb gespannt sein.

Die stattliche Schubkraft muss mit nur 210 Kilo Fahrzeuggewicht fertig werden. Zusammen mit der agilen Fahrwerksauslegung eines Streetfighters ergibt dies ein dynamisches Katapult, das vom Start weg Fahrspaß bringt. Fahrspaß der neuen Art allerdings, denn die sich vom Drehzahlkeller heraus aufbäumende Gewalt eines sonor brüllenden V2-Motors fühlt sich natürlich komplett anders an.

Die LiveWire kommt explosionsartig und mit lautem, sirenenhaftem Geräusch. Harley-Davidson will mit ihr die Wahrnehmung der Traditionsmarke verändern. Frank Klumpp: „Wir können auch was ganz Neues, was keiner von uns erwartet. LiveWire soll die Freiheit für kommende Generationen erhalten.“

Wichtiger Eindruck von der Testfahrt über die Service-Strecken rund um den Hockenheimring: Der eigentümliche Sound. Er ist nicht künstlich erzeugt, sondern resultiert aus mechanischer Reibung im Motor, die durch das Motorgehäuse als Resonanzkörper verstärkt wird.

Dabei hat es Harley-Davidson allerdings etwas zu gut gemeint, denn für unser Empfinden könnte das kampfjet-artige Zischen bei höheren Drehzahlen etwas leiser ausfallen. Aber LiveWire ist schließlich ein Konzept-Bike und so wird sich bis zur Serienreife noch vieles ändern, vielleicht auch der Lärmpegel. Wichtiger: Man ist schnell vertraut mit der neuartigen Technik. Selbst das Fahren ohne Kupplungs- oder Schalthebel geht schnell in Fleisch und Blut über.

SteckbriefHarley-Davidson LiveWire
Motor:Dreiphasiger Wechselstrommotor,


Leistung 55 kW/74 PS bei 8.000/min


Drehmoment: 70 Nm,


Lithium-Ionen-Akkus, Riemenantrieb
Fahrwerk:Voll-Aluminium-Rahmen
Leergewicht:fahrfertig 210 kg
Messwerte:0 - 60 mph (96,5 km/h) unter 4 Sek.,


Höchstgeschwindigkeit 148 km/h (abgeregelt),


Reichweite 85 km, Ladezeit 3,5 h

Auch bei hohem Tempo nahe der 148 km/h Spitze wirkt die LiveWire spurstabil und vermittelt Sicherheit, trotz des auf Agilität ausgelegten Fahrwerks mit relativ steilem Lenkkopfwinkel. Und immer wieder die enorme Beschleunigung: Sie vollzieht sich linear und fühlt sich ohne Schaltvorgänge noch brachialer an.


Nur 85 Kilometer Reichweite

Man sitzt auf der Elektro-Harley über einer Tank-Attrappe, und wie gewohnt bildet der Motor das Zentrum des Bikes. Nur jetzt eben ein längs montierter, dreiphasiger Wechselstrommotor, der bei 8.000 U/min seine 55 kW/74 PS leistet. Er sitzt in einem 6,3 Kilogramm leichten Voll-Aluminiumrahmen, Harleys erster dieser Art. Die Lithium-Ionen-Akkus sind bei voller Entladung nach dreieinhalb Stunden laden wieder voll und bringen bis zu 85 Kilometer Reichweite.

Das ist in den Augen vieler Motorradfahrer ein Problem, im realen Einsatz eines Streetfighters wie der LiveWire aber meist ausreichend. Für Touren oder gar Reisen wird der Biker andere Maschinen wählen. Und Frank Klumpp ist zuversichtlich: „Dieser Wert wird sich bis zum Serienstart noch erheblich vergrößern.“

Die Elektro-Harley ist konzipiert für urbanen Fahrspaß und kurze Turns über die nahegelegene Lieblingsstrecke. Über den Ladezustand der Akkus, Restreichweite und die üblichen Infos wie gefahrenes Tempo informiert ein kleines, querformatiges Tablet als Touchscreen. Hier wählt der Pilot auch zwischen den zwei Fahrmodi „Power“ und „Range“, also höchstmögliche Dynamik oder optimale Reichweite. Wobei LiveWire selbst im Range-Modus gewaltig anschiebt und laut vor sich hin zischt.

Auf elektronische Helferlein kann sich der Pilot vorerst nicht verlassen, denn das Konzeptmotorrad geht bislang ohne Traktionskontrolle oder ABS an den Start. Trotzdem fühlen sich Bremsmanöver, unterstützt durch die rekuperierende Motorbremse, kräftig und gut dosierbar an.

Bislang hat Harley-Davidson in USA, Kanada und inzwischen auch Europa 7.500 Probefahrten mit Kunden, Händlern und Journalisten durchgeführt. Dazu kommen 12.000 „Jump Starts“ auf der Rolle, die auch ohne Führerschein möglich sind.

Aus den daraus resultierenden 15.500 Kommentaren filtern Experten laufend heraus, was von einer elektrische Harley erwartet wird und was deshalb ein künftiger käuflicher Stromer der US-Marke bieten muss, wenn er noch vor 2020 die Energiewende bei Harley-Davidson einläutet.

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