Sie versteht ihn nicht. Laut und deutlich diktiert ihr Konstantin Schniedenharn die Hausnummer. Doch die Sprachsteuerung des Navigationsgeräts im Mercedes A-Klasse kapiert es einfach nicht. Stattdessen erscheint auf dem Bildschirm eine Liste, die ihm vorschlägt, dass er für die Hausnummer „drei“ eine „zwei“ in das Mikrofon sprechen soll und für die „sieben“ eine „sechs“. „Das ist ein Witz, oder?“, sagt der 26-Jährige lakonisch. Ist es nicht. Das System versteht ihn einfach nicht.
Wenn Autohersteller neue Modelle vorstellen, preisen sie gern, wie intuitiv sich ihre Fahrzeuge bedienen lassen. Doch viele Kunden, die ein neues Auto auf dem Hof stehen haben, müssen sich erst durch telefonbuchdicke Anleitungen quälen und sind hinterher oft auch nicht schlauer. Wie bedienerfreundlich sind die neuen Modelle also wirklich?
Die WirtschaftsWoche wollte es genau wissen und hat mit der Hamburger Unternehmensberatung GfK Sirvaluse das bislang umfangreichste Ranking über die Bedienerfreundlichkeit von Automodellen unterschiedlichster Klassen aufgestellt. Wichtigstes Ergebnis: Komplizierte Handhabe, schlechte Benutzerführung und schwer verständliche Menüs sind keine Frage des Geldes. Sowohl Mittelklassemodelle wie der Mazda 6 ab 24 000 Euro oder der 7er-BMW für mehr als 100 000 Euro haben eklatante Schwächen: Fahrer verirren sich in verschachtelten Menüs, verzweifeln an Sprachsteuerungen, wundern sich über zu weit entfernte Bedienelemente und rätseln über kryptische Bezeichnungen und Abkürzungen.
Selbst die Infotainmentsysteme ganz neuer Fahrzeuge wie in der Mercedes A-Klasse (siehe Seite 91) oder im Ford C-Max wirken auf Testpersonen wie „gut gemeint, aber nicht mit dem eigentlichen Anwender zu Ende entwickelt“, sagt GfK-Sirvaluse-Testleiter Patrick Kusel. Keine Frage: Die Ansprüche an Sicherheit und Komfort sind in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen: Assistenzsysteme, Klimaanlagen, Sitzheizungen, elektrische Schiebedächer, Telefone und aufwendige Navigations- und Infotainmentsysteme mit Internet-Zugang machen das Fahrzeug zu einem rollenden Wohnzimmer und Büro in einem.
Technisch haben die Hersteller immer neue Grenzen durchbrochen. Doch dabei haben viele irgendwann ihre Kunden vergessen. Nur wenige Hersteller erinnern sich offenbar daran, dass es auch anders geht: Lediglich die Modelle auf den ersten drei Plätzen unseres Tests zeigen, dass das Radio moderner Autos nicht zwangsläufig so kompliziert sein muss wie die Bordelektronik eines Großraumjets. Die Systeme müssen nicht einmal teuer sein: Mit dem neuen Kompaktwagen VW Golf 7 (Platz 1), dem Geländewagen Range Rover Sport (Platz 2), dem Billigauto Dacia Sandero (dritter Platz) und dem neuen Kleinwagen Opel Adam (vierter Platz) sind vier völlig unterschiedliche Fahrzeugkonzepte und Infotainmentsysteme aus verschiedenen Preisklassen vorn.
Preiswert und gut
Die geringsten Schwierigkeiten haben unsere Testpersonen mit dem VW Golf. Sein Infotainmentsystem namens Discover Pro lässt sich am einfachsten steuern: Es verfügt über einen berührungsempfindlichen und taschenbuchgroßen Acht-Zoll- Bildschirm. Wichtige Funktionen erreichen die Golf-Fahrer per Direkttasten, und mit Wisch-Gesten können sie komfortabel durch die Menüs navigieren. Dabei wirkt der Bildschirm aufgeräumt und übersichtlich. Praktisch: Führt der Fahrer seinen Finger in Richtung Display, springt eine Menüleiste mit weiteren Funktionen auf. So bleibt der Monitor während der Fahrt von unnötigen und ablenkenden Details befreit.
Einfachheit ist auch das markanteste Merkmal der Bordelektronik im Billigwagen Dacia Sandero. Das Gerät des Zulieferers Tomtom ist das preiswerteste im Test. Es beschränkt sich auf das Wesentliche und kommt daher mit nur drei Knöpfen aus: Und alle Basisfunktionen sind über die wenigen Schaltflächen auf dem Touchscreen schnell zu finden. Davon können die anderen – selbst die Premiumhersteller – viel lernen. Denn neben individuellen Stärken und Schwächen im Mittelfeld haben sie Mängel vor allem in drei Bereichen.
Zu viele Möglichkeiten
Ganze zehn Knöpfe genügten 1971 dem Fahrer eines Porsche 911, um Licht, Heizung, Lüftung und das Becker-Radio zu bedienen. Sein Nachfolger, der 911 Carrera 4S Cabrio aus dem Test kommt heute, gut 40 Jahre später, auf mehr als 50 Knöpfe, Schalter und Regler. Überall: Am Armaturenbrett, am Lenkrad, auf der Mittelkonsole und am Dach über dem Kopf des Fahrers kämpfen sie um die Aufmerksamkeit des Fahrers.
Ob im Sportwagen oder im Familienvan Ford C-Max: „Der Krieg der Knöpfe auf dem Armaturenbrett überfordert uns“, sagt Wolfgang Waxenberger, GfK-Sirvaluse-Direktor. Letztlich ändert daran auch der Versuch nicht viel, mit Dreh-Drückreglern das Knöpfe-Chaos zu beseitigen. Denn die offenbaren im Test ihre Tücken: Beispielsweise verstecken sich häufig benutzte Funktionen wie das Koppeln eines Bluetooth-Handys in der dritten oder vierten Menüebene. Wer sich vertut und im falschen Menü landet, findet oft nur mühsam zurück, schlicht, weil der Zurück-Knopf fehlt – oder schwer zu finden ist.
Das ist für viele Fahrer so umständlich, dass sie früh aufgeben – und das Telefon im Zweifelsfall doch ans Ohr halten, obwohl das verboten ist. „Noch mehr Funktionen über Knöpfe und Dreh-Drückregler einzugeben, ist nicht mehr sinnvoll“, sagt Waxenberger. Neue Strategien müssen her.
Miese Sprachsteuerung
Das Problem könnte die Sprachsteuerung lösen – wenn sie nicht so katastrophal schlecht funktionieren würde. Über alle Wagenklassen hinweg zeigen die Systeme eklatante Schwächen. Teilweise nerven sie die Fahrer – wie in der Mercedes A-Klasse etwa – mit aberwitzigen Vorschlägen. Oder die Systeme verstehen einfachste Befehle nicht, selbst dann, wenn die Fahrer ihre Eingaben ohne Motoren- oder Windgeräusche machen.
Auch Sprachsteuerungen, bei denen eine Liste der möglichen Befehle im Bildschirm auftauchen, sind nicht hilfreich. Sie fordern vom Fahrer gleich zwei Aufgaben auf einmal: den richtigen Befehl auf dem Bild zu identifizieren und ihn dann korrekt in die Nähe des Mikrofons zu sprechen. „Ich habe Sie nicht verstanden“, war die häufigste Antwort. Das nervt und lenkt ab.
Wenig durchdachte Ergonomie
Der Test offenbart zugleich, dass in etlichen Autos nur wenig wirklich intuitiv funktioniert. Der Bildschirm in der Mercedes A-Klasse etwa ist so groß und sitzt so prominent und griffgünstig auf dem Armaturenbrett, dass alle Tester erwarteten, er sei berührungsempfindlich. Ist er aber nicht. Stattdessen lässt sich das Command Online genannte System nur recht umständlich über einen Controller im Mitteltunnel und über Direkttasten dirigieren.
Krieg der Knöpfe
Daneben führen missverständliche Bezeichnungen zu Fehlern. Bei der A-Klasse assoziieren Testpersonen den „C“-Knopf neben dem zentralen Drehknopf mit dem Löschbefehl; in Wirklichkeit aber führt er nicht zurück, sondern schließt die Anwendung, die gerade läuft. Völlig unverständlich: Die Funktion „iPod out“ wirft nicht den iPod aus, sondern startet ihn. Je teurer die Modelle, desto verwirrender wird die Bordelektronik. Die Top-Modelle von Audi, BMW und Porsche leiden unter einer erdrückenden Vielfalt an Funktionen, die sich nur selten von selbst erklären.
Der Audi A8 verfügt etwa über ein zusätzliches berührungsempfindliches Bedienfeld neben dem Drehknopf auf der Mittelkonsole. Mit ihm können Buchstaben und Zahlen, etwa für die Eingabe des Navigationsziels, mit dem Finger geschrieben werden. Das Problem: Keiner der Tester hat das auf Anhieb kapiert. Im 7er-BMW bemängelten die Tester dagegen, dass weder die Bezeichnung der Knöpfe noch die Icons selbsterklärend seien. Auch der Ford C-Max verwirrt seine Nutzer: Alle Testpersonen kritisieren das Schießschartendesign des viel zu kleinen Fünf-Zoll-Bildschirms. Schlimmer noch: Das Drehrad unterhalb des Bildschirms, mit dem die Fahrer durch die Menüs schalten, ist so platziert, dass sie kaum drankommen.
Online und über alle Kanäle erreichbar -und das im Auto-
Als der 42-jährige Tester Thomas Grube das sieht, fragt er: „Wer denkt sich denn so was aus? Riesen mit überlangen Armen?“ Das Drehrad liegt so weit von dem Fahrer entfernt, dass er sich nach vorne lehnen muss, um es erreichen zu können. Urteil: „Unübersichtlich bis katastrophal.“ Dabei findet der Test aus Sicherheitsgründen mit stehenden Autos statt. Was aber, wenn der Fahrer auf der Straße unterwegs ist? SMS schreiben, Mails lesen, Navi programmieren, Musik auf dem Smartphone suchen: In neuen Fahrzeugen ist alles möglich. Im Auto offline zu sein akzeptieren vor allem jüngere Fahrer nicht mehr.
Doch die Nebenbeschäftigung während der Fahrt hat gefährliche Folgen. Wie viele Unfälle miese Bordelektronik genau verursacht, hat zwar bislang niemand untersucht. Aber: „In rund einem Drittel aller Unfälle in Deutschland ist der Fahrer abgelenkt“, sagt Christoph Lauterwasser, Leiter des Allianz Zentrums für Technik. Nach jüngsten Zahlen der US-Verkehrssicherheitsbehörde National Highway Traffic Safety Administration (NHSTA) verursachten Fahrer, die durch elektronische Geräte abgelenkt waren, 2010 in den USA rund 47 000 Autounfälle. Eine Studie des Virginia Tech Transportation Institute befeuert die Debatte noch. Danach steigt die Unfallgefahr durch SMS und E-Mails am Steuer um das 163-Fache.
Das soll ein Ende haben. Die US-Behörde NHSTA will die Nutzung von Handys oder Navis während der Fahrt weitgehend einschränken. Nicht mehr als 30 Zeichen Text sollen auf den Armaturen-Displays während der Fahrt künftig erscheinen. Zudem sollen die Fahrer die gesamte Bordelektronik mit einer Hand und jede » » Funktion in maximal zwei Sekunden bedienen können. In unserem Test gelingt es Fahrern in der Zeit oft nicht einmal, den Radiosender einzustellen.
Das wären harte Vorgaben an die Industrie. Die US-Verkehrssicherheitsbehörde will sogar Freisprechanlagen verbieten, obwohl die Nutzung von Handys ohne sie noch gefährlicher ist. Aber wie unser Test, kommt auch die Behörde zu dem Ergebnis, dass die Technik keineswegs Ablenkungen reduziert, sondern Fahrer eher verwirrt. Bei den Autoherstellern sorgen diese Vorstöße für Unruhe. Sie brauchen einfacher bedienbare Systeme.
Steuerung per Gesten
Zugleich aber müssen sie die Wünsche der Kunden erfüllen, die auf aktuelle Kommunikationstechnik im Auto nicht verzichten wollen.
Wer sich alle zwei Jahre ein neues Smartphone kauft, wird nicht hinnehmen, dass in seinem neuen Auto drei Jahre alte Technik steckt. Wie können Unternehmen das Problem lösen? GfK-Sirvaluse-Fachmann Waxenberger rät: „Die wichtigsten Funktionen wie Smartphone koppeln oder Navigationsziel eingeben müssen mit einer einzigen Taste funktionieren.“ Aber das reicht nicht. Für die Zukunft setzen Hersteller daher auf die Steuerung der Bordsysteme mit Gesten. Wie das funktionieren könnte, zeigt ein Prototyp des Autozulieferers Harman Becker: Ein Augenzwinkern stellt das Radio an.
Der Fahrer soll wieder im Mittelpunkt stehen
Eine Neigung des Kopfes nach links erhöht die Lautstärke, eine Neigung nach rechts dimmt den Sound. Ein leichter Klaps der Finger aufs Lenkrad und das Radio springt zum nächsten Sender. Mit der universal gültigen Geste für das Abnehmen eines Telefonhörers leitet der Fahrer ein Telefonat ein. An dem Thema Gestensteuerung arbeiten die unterschiedlichsten Unternehmen: Audi, Mercedes, Toyota sind dran, aber auch Microsoft, das mit seiner Spielkonsolen-Steuerung Kinect zu den Pionieren in dem Feld Gestensteuerung gehört.
Der Softwarekonzern will seine Technik zu einem neuen Standard machen und arbeitet daher mit Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen zusammen. Die Steuerung via Gesten und Sprache – so sie funktioniert – zusammen mit wenigen Knöpfen und berührungsempfindlichem Bildschirm seien eine ideale Kombination, findet Fachmann Waxenberger. Noch hat die innovative Steuerung aber ihre Tücken: Denn nicht jede Geste bedeutet überall das Gleiche – und in südlichen Ländern gestikulieren Fahrer häufiger beim Fahren; nicht etwa, um den Sender zu wechseln, sondern um den Vordermann zu provozieren.
Fehlbedienungen ausschließen
Ärgert sich der italienische Autofahrer also gestenreich und stellt dabei andauernd die Musik lauter, würde er das System kaum akzeptieren. Die große Herausforderung für die Ingenieure ist in den nächsten Jahren daher, solche Fehlbedienungen auszuschließen. Harman Becker lässt etwa eine Liste von Gesten erstellen, die weltweit kulturell akzeptiert werden. Passend zu dem Credo, den Fahrer wieder in den Mittelpunkt zu stellen, entwickeln Ingenieure in den Forschungslabors auch vorhandene Sicherheitstechnik weiter. Müdigkeitsassistenten zum Beispiel, die künftig jede kleine Ablenkung registrieren.
Bislang verfolgen die Sensoren der Autos Mercedes-Benz, Volkswagen oder Volvo bereits Fahrstil, Geschwindigkeit und Lenkverhalten des Fahrers. Lenkt er plötzlich ruckartiger, vermutet das System nachlassende Konzentration und schlägt erst eine Pause vor – und dann Alarm.
Künftig sollen diese Systeme das Geschehen im Innenraum noch genauer überwachen. Toyota, Audi und der Autozulieferer Continental entwickeln Kamerasoftware, die mehrere Hundert Charakteristika des Fahrergesichts analysiert und auswertet, darunter auch Ärger, Trauer und Stress. Klappt das, könnten Autos ihre Fahrer viel besser verstehen als heute.
Ziel all dieser technologischen Entwicklungen sollte es sein, Autos so einfach bedienbar zu machen wie ein iPhone. Möglichst mit einem einzigen Knopf. Doch bis dahin, das zeigt unser Test, ist es noch ein weiter Weg.
DER TEST: So gehen wir vor
Welche Autos sind ohne Vorkenntnisse zu bedienen? Die Wirtschafts-Woche und das Hamburger Unternehmen GfK Sirvaluse wollten das genau wissen. Dazu haben wir neun Testpersonen im Alter zwischen 26 und 53 Jahre rekrutiert. Sie sollten folgende Aufgaben bewältigen: 1. Einsteigen, Sitz einstellen, Licht einschalten. 2. Radio einschalten, Sender wechseln und speichern. 3. Ziel ins Navi eingeben, Zielführung starten und abbrechen. 4. Handy per Bluetooth verbinden, Kontakt anrufen, Musik vom Smartphone hören, Titel anzeigen. Als Spezialaufgabe je Auto mussten die Probanden etwa Videos über USB-Sticks abspielen oder Musik aus den hinteren Lautsprechern abspielen. Am Ende vergaben die Tester Noten: 1 (ohne Probleme), 2 (leichte Probleme), 3 (gerade noch selbstständig), 4 (nur mit Hilfe), 5 (nicht geschafft).