Harley Earl Der Vater der Heckflosse

Er gilt als der erste echte Autodesigner und hat das Aussehen ganzer Fahrzeuggenerationen maßgeblich geprägt. Dabei begann die Karriere von Harley Earl mit einem Fahrzeug, das heute in Europa kaum noch jemand kennt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Earl in seiner Buick Le Sabre Studie 1951 Quelle: Pressebild

Düsseldorf Die Qualität der Formgebung bestimmt seit jeher entscheidend den Erfolg eines Automobils. Bis in die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts vertrauten Autohersteller darauf, dass ihre Karosseriebauer handwerkliches Können möglichst kongenial mit gestalterischem Geschmack verbanden. Je mehr sich die Fahrzeugproduktion in die Höhe schraubte, desto dringender erwies sich die Notwendigkeit, professionelle Formen für die Großserie zu entwickeln. Mit dem Aufbau der ersten spezialisierten Designabteilung setzte General Motors ab 1925 einen Trend für die Autoindustrie. Der Leiter und spätere Großmeister des Autodesigns war der Kalifornier Harley Earl.

Der seit Mitte der Zwanziger amtierende GM-Vorstandsvorsitzende Alfred P. Sloan hatte 1925 im Konzernangebot eine Lücke zwischen den beiden Konzernmarken Buick und Cadillac ausgemacht. Unter der Federführung von Cadillac entstand eine neue Marke mit dem Namen LaSalle. Die Marke revolutionierte den Autobau, denn der 1927 vorgestellte 303 war nicht nur das erste amerikanische Serienauto, dessen Form von einem spezialisierten Automobil-Designer in einem eigenen Designzentrum entwickelt worden war. Die Baureihe mit 75 PS starkem Fünfliter-V8 setzte damit auch weltweit einen Trend.

Der Karosserieentwurf des LaSalle 303 stammte aus der Feder von Harley Earl. Earls Vater hatte schon 1889 in Kalifornien damit begonnen, als Stellmacher Karosserien für Pferdekutschen zu bauen. Vier Jahre vor der Geburt seines Sohnes Harley. Ab 1908 wandte er sich Automobilen zu. Die Sonderkarosserien des Hauses fanden schnell Anklang bei den Stars im erblühenden Hollywood der Stummfilm-Ära. Harley Earl wuchs von Beginn an in den väterlichen Betrieb hinein und entwickelte seine Kreativität unter anderem durch Gestaltung römischer Streitwagen oder historischer Kutschen für die Filmindustrie. Der junge Harley brach aufgrund dieser Erfolge sein Studium an der Stafford University ab und baute lieber mit seinem Vater automobile Spezialanfertigungen für die Superstars des Stummfilms wie Tom Mix (1880 – 1940) oder Roscoe „Fatty“ Arbuckle (1887 – 1933), dem ersten Filmstar der Geschichte, der eine Million Dollar Gage im Jahr verdiente.

Nachdem der Cadillac-Großhändler Don Lee die „Earl Automotive Works“ aufgekauft hatte, beschäftigte er Harley Earl weiter. Cadillac-Boß Lawrence B. Fisher, der regelmäßig seine Händler besuchte, wurde auf Harley Earl aufmerksam. Der junge Designer hatte eine Methode entwickelt, Entwürfe zuerst in Tonmodellen umzusetzen, um ihre räumliche Wirkung optimal überprüfen zu können. Fisher engagierte Earl, um die Form für die erste Limousine der neuen Cadillac-Marke LaSalle  zu entwerfen. Der Erfolg veranlasste GM-Chef Alfred P. Sloan zur Gründung der weltweit ersten eigenständigen Designabteilung eines Autoherstellers. Die Leitung erhielt Harley Earl.

Bis in die 1930-Jahre hatte praktisch kein Autohersteller professionelles Augenmerk auf die formale Gestaltung seiner Produkte gelegt. Das änderte sich durch die GM-Initiative. 1939 kreierte Earl mit dem Buick „Y-Top“ die erste Designstudie der Autogeschichte. Sie diente einzig dazu, auf Automobilausstellungen die Reaktion des Publikums zu testen. Und viele Jahre als Dienstfahrzeug für Harley Earl, denn der Perfektionist Earl verlangte von seinen Studien stets volle Einsatzfähigkeit.

Earl leitete die Designabteilung für LaSalle, bis er 1940 zum Vize-Präsidenten von General Motors aufstieg. Als oberster Designer des Konzerns verantwortete er bis zu seinem Ruhestand 1958 das Bild der Fahrzeuge nicht nur bei Cadillac sondern auch bei den anderen Marken von GM. In diesen 18 Jahren kreierte er zahlreiche Trends, die nicht nur die Optik der GM-Modelle, sondern die den Stil aller Autolinien seiner Zeit beeinflussten. Dazu gehörten unter anderem das Hardtop für Coupés und Limousinen, die Zweifarblackierung in Großserie oder die Panorama-Frontscheibe.

Unsterblich wie spektakulär fiel jedoch Earls Geistesblitz für die erste Nachkriegsneuheit von Cadillac aus. 1948 hatten Harley Earl und sein Designteam einmal mehr eine vollkommen neue Designsprache entwickelt. Die Limousinen der Baureihe „62“ lösten sich komplett von den chrom- und zierbewehrten Linien der Vorkriegsära und erhielten eine moderne Pontonform. Aus dem Heck, genau aus den Abschlüssen der hinteren Kotflügel, sprießten erstmals zwei markante Elemente, die bis in die Sechziger hinein die Optik aller Autos weltweit prägen sollte, die Heckflosse.

Die Inspiration dafür resultierte aus dem Leitwerk der Lockheed P38 „Lightning“. Das Flugzeug mit dem doppelten Rumpf war der bekannteste amerikanische Langstreckenjäger des Zweiten Weltkriegs und das erfolgreichste Jagdflugzeug auf dem pazifischen Kriegsschauplatz. Aber auch von deutschen Piloten als „Gabelschwanzteufel“ gefürchtet. Zu unsterblichem Ruhm aus amerikanischer Sicht kam der Flieger am 18. April 1943.

Im Rahmen einer Geheimmission schoss eine Staffel P38 den japanischen Großadmiral Isoroku Yamamoto ab. Der Oberbefehlshaber der japanischen Flotte und Stratege des Angriffs auf Pearl Harbour war an diesem Apriltag zu einer Inspektionsreise zu Stützpunkten im Südpazifik aufgebrochen. Nicht zuletzt fand der französischen Flieger und Schriftsteller Antoine Marie Roger Vicomte des Saint-Exupéry, Schöpfer des unsterblichen „Kleinen Prinz“, den Tod in einer P38, als ihn auf seinem letzten Aufklärungsflug über dem Mittelmeer ein deutsche Jagdflugzeug abschoss.

Neben immer kühneren Heckflossen, erst bei Cadillac, dann bei anderen GM-Marken, zeichnete Designchef Earl 1953 sein berühmtestes Auto, den Sportwagen Corvette von Chevrolet. Das erste Großserienauto mit einer Karosserie aus Kunststoff, das bei seinem Debüt auf der „Autorama-Show“ in New York einen Sturm der Begeisterung auslöste. Harley Earl inszenierte in den folgenden Jahren zahllose Studien, die eher wie gelandete Raumschiffe als wie Automobile wirkten. Wie den „Firebird III“ von 1958. Die Entwürfe zeichneten sich stets durch visionären Optimismus aus, der kühn dem Zeitgeist des Raketenzeitalters huldigte. Im Laufe seines Wirkens öffnete er auch Frauen die Tore der Designstudios und perfektionierte die Fokussierung auf jedes Detail bis hin zu den Farben und Materialien für den gesamten Innenraum.

Nachdem Harley Earl die Heckflosse beim 59er Cadillac Eldorado zu unübertroffenen 1,20 Meter Höhe entwickelt hatte, verabschiedete er sich in den Ruhestand. Zehn Jahre später starb er mit 75 Jahren am 10. April 1969.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%