Jaguar XE Raubkatze auf der Pirsch

Irgendwann ist Schluss mit dem Vorgeplänkel, so langsam wird es ernst für den Jaguar XE. Auf letzten Testfahrten pirscht sich das neue Einstiegsmodell aus England an die Mittelklasse von Audi, BMW und Mercedes heran.

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Jaguar XE - Auf der Pirsch Quelle: Jaguar

Jon Darlington wirkt ein wenig genervt. Natürlich ist das mit dem Jaguar XE eine ebenso wichtige wie lange Geschichte. Schließlich erzählt die Story über den Herausforderer von Audi A4, BMW Dreier und Mercedes C-Klasse vom eindrucksvollen Comeback des britischen Automobilherstellers, von Milliarden-Investitionen in Entwicklung, Produktion und eine neue Motorenfamilie, von der Führung in der Aluminium-Konstruktion und vom Ausbruch aus der feinen aber kleinen Nische.

Doch der Ingenieur hat diese Geschichte schon viel zu oft gehört oder gar selbst zum Besten gegeben. Denn es gibt bei Jaguar in den letzten zwei Jahren – neben dem Sportwagen F-Type vielleicht – kaum mehr ein anderes Thema. Und als Projektleiter für den Herausforderer und Hoffnungsträger hat Darlington jetzt nur noch einen Wunsch: Dass der Wagen endlich fährt und die Geschichte ihr verdientes Happy End bekommt. „Es braucht nur 500 Meter am Steuer, dann versteht man das Auto ganz von selbst“, sagt der Ingenieur und reicht zum Beweis die Zündschlüssel für seine jüngsten Prototypen weiter.

Die fühlen sich auch ein halbes Jahr vor der Markteinführung bereits so an, wie man es von einem Jaguar erwartet: Giftig und geschmeidig zugleich. Schon der Startknopf ist eine Verlockung, wenn er mit fast hypnotischer Kraft rot in der Mittelkonsole pulst, und wenn zum ersten Mal der Motor faucht, wirkt der XE gleich viel lebendiger als seine deutschen Konkurrenten.

Damit das kein leeres Versprechen bleibt, haben Darlington und seine Mannschaft tief in die Trickkiste gegriffen. Eine adaptive Federung, zwei Programmierungen für die elektrische Servolenkung, unterschiedliche Setups für Gaspedal und Automatikgetriebe und die kurvengerechte Verteilung des Drehmoments durch gezielte Bremseingriffe – das bieten die meisten Konkurrenten auch. Aber als erstes Auto seiner Klasse bekommt der XE darüber hinaus eine Karosserie, die komplett aus Aluminium gefertigt ist.

„Das hilft uns gleich doppelt“, sagt der Projektleiter. Zum einen, weil der XE damit im besten Fall nur 1 470 Kilo wiegt und als leichtestes Auto im Segment auch am leichtfüßigsten um die Kurven kommt. Und zum anderen, weil die Aluprofile steifer sind als solche aus Blech und deshalb mehr Ruhe herrscht im Gebälk.

Das Ergebnis ist ein Auto mit zwei Gesichtern: Giftig und gierig, wenn dem Fahrer der Kamm schwillt und er vorher alle Systeme über den Sportmodus auf Attacke schaltet. Und geschmeidig und gelassen, wenn man in der Komfortstellung einfach nur Kilometer fressen will.


Ein prächtiges Paket

Seinen Raubzug gegen die Platzhirsche aus dem deutschen Süden beginnt der Jaguar zunächst mit fünf Motoren: Für die Fraktion der Vernünftigen  gibt es einen nagelneuen 2,0-Liter-Diesel mit 120 kW/163 PS und einem respektablen Knauserverbrauch von 3,8 Litern oder 132 kW/180 PS und einem Antritt, der gut zu den sportlichen Ambitionen des Hoffnungsträgers passt. Und wer nach Vergnügen sucht, der wählt am besten den stärksten der drei Benziner. Dann gibt es anstelle der ebenfalls neuen 2,0 Liter-Vierzylinder mit 200 oder 240 PS einen standesgemäßen V6-Motor, dem ein Kompressor 250 kW/340 PS und bis zu 450 Nm entlockt.

Der Motor knurrt nicht nur so laut und leidenschaftlich, wie man es von Jaguar erwartet. Er hat auch so viel Dampf, beschleunigt die Limousine in 5,1 Sekunden auf Tempo 100 und lässt sich das Limit von 250 km/h nur ein Schulterzucken kosten.

Mal gelassen, mal giftig, mal leichtfüßig, laut und leistungsstark, mal entspannt, leise und lässig – was den Fahrer angeht, muss sich Darlington um das Happy End für den XE keine Sorgen machen. Selbst wenn der Jaguar bei der Dynamik nicht ganz an den Dreier heranreicht und sich beim Komfort der C-Klasse geschlagen geben muss, bietet der XE in der Summe seiner Fahreigenschaften ein prächtiges Paket und wird allemal zum aussichtsreichsten Verfolger.

Bei den Passagieren sieht das jedoch ein bisschen anders aus. Der Sozius mag noch happy sein, weil er genau wie der Fahrer perfekt sitzt und sich bei entsprechend vielen Kreuzchen auf der Optionsliste von reichlich Lack und Leder umschmeichelt fühlen darf. Doch auf der Rückbank geht es genau wie im Kofferraum einen Tick enger zu als bei der Konkurrenz und ein Kombi mit mehr Platz für Kind und Kegel ist fürs erste nicht geplant, muss Darlington einräumen.

Dafür schreiben seine Kollegen bereits an der nächsten Story: Als F-Pace wird auf der Alu-Architektur des XE für 2016 der erste Geländewagen von Jaguar entwickelt. Spätestens dann sollten sich auch die Platzprobleme erledigt haben.


Einen neuen Erfolg kann die Traditionsmarke gut gebrauchen

Soweit ist Darlington noch nicht. Er hat sich jetzt während der ersten Testfahrten eine Woche lang die Geschichte mit dem XE noch einmal jeden Abend angehört und von den ersten externen Experten hinter dem Lenkrad Löcher in den Bauch fragen lassen. Doch für ihn ist das Happy End nicht mehr weit: Denn im Juni beginnt zu Preisen ab 36.500 Euro die Markteinführung und sein Job ist damit erst einmal erledigt.

Peter Modelhart sieht das naturgemäß ein bisschen anders. Er ist Deutschlandchef von Jaguar und Land Rover und kann genau wie Darlington den Juni kaum mehr erwarten. Während die Story für den Ingenieur dann fürs erste vorbei ist, geht sie für Modelhart damit allerdings erst los. Er hofft schließlich, dass mit der Markteinführung ein „neues Kapitel in der Erfolgsgeschichte von Jaguar“ beginnt.

Das kann die britische Traditionsmarke auch gut gebrauchen. Denn während die Schwestermarke Land Rover von einem Rekord zum anderen fährt, tut sich Jaguar mit dem Comeback merklich schwerer. Doch Modelhart sprüht förmlich vor Zuversicht: „Unser Image haben wir mit dem F-Type bereits ordentlich aufgeladen. Und mit dem XE bringen wir jetzt die Stückzahlen nach oben.“

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