Detroit Auto Show, eine Modellneuvorstellung jagt die andere. So weit, so normal. Dass das hier alles gar nicht normal verläuft, zeigt ein Blick auf die Bühne des Volkswagen-Konzerns. Dort fährt dieses Jahr nicht irgendein neues, laut gurgelndes PS-Monster vor. Stattdessen rollt ein merkwürdig blinkendes, gelb-weißes Elektroauto herein. Stolz präsentiert VW-Verkaufsvorstand Jürgen Stackmann diesen Sinneswandel auf vier Rädern: „The future is electric.“
Der ID Buzz, ein rein elektrischer Bus, soll anknüpfen an die große Vergangenheit der VW-Busse und zeigen, dass der Konzern Zukunft kann. Er ist Teil von VWs „Roadmap E“. Dabei wird VW von 2025 an 50 reine Elektroautomodelle anbieten; 2030 sollen alle 300 Modelle des Konzerns E-Motoren haben. Und ähnlich sind die Pläne vieler Autobauer: 2019 will Daimler-Chef Dieter Zetsche die ersten vollelektrischen Mercedes EQ vom Band laufen lassen. Ab 2020 will er „jährlich eine wachsende sechsstellige Zahl“ E-Autos verkaufen. BMW möchte bis 2025 25 elektrifizierte Modelle anbieten. E-Autobauer Tesla will ab 2018 eine halbe Million Batterieautos pro Jahr bauen.
Damit das klappt und ausreichend reichweitenstarke Antriebstechnik für die Millionen neuen Elektroautos zur Verfügung steht, bauen die Batteriezellenhersteller Samsung, Panasonic, LG Chem und BYD derzeit eine Akkufabrik nach der anderen. Doch es gibt einen Flaschenhals, den die Konstrukteure und Manager bisher unterschätzen: Einige der Rohstoffe für die Batteriezellen könnten schon bald empfindlich knapp werden.
Technische Hintergründe zu Akkus
Eine Batterie hat die Aufgabe, beim Aufladen möglichst viele Elektronen aufzunehmen und diese mit möglichst wenigen Verlusten zu speichern. Beim Entladen gibt sie die Elektronen dann wieder ab, um mit diesem Strom zum Beispiel einen Elektromotor oder ein Handy zu betreiben.
Im Akku übernehmen die sogenannten Lithium-Ionen diese Speicheraufgabe: Diesen Atomen fehlt ein Elektron. Daher sind sie elektrisch positiv geladen. Beim Aufladen strömen negativ geladene Elektronen in den Akku und sammeln sich in einem dichten Geflecht aus dem leitfähigen Kohlenstoff Graphit. Dorthin wandern dann auch die positiv geladenen Lithium-Ionen. Jedes von ihnen bindet ein Elektron – man könnte auch sagen, dass jedes Ion ein Elektron festhält, um die Ladungsneutralität zu gewährleisten. Beim Entladen des Akkus verlassen die Elektronen das Graphit nach und nach wieder. Damit wandern auch die positiv geladenen Lithium-Ionen aus dem Graphit-Netzwerk heraus. Später kann der Ladezyklus dann von neuem beginnen.
Je mehr Lithium-Ionen in einen Akku hineinpassen, umso mehr Elektronen und damit Energie können auf gleichem Raum gespeichert werden. Daher arbeitet Bosch schon länger unter anderem daran, den Graphit-Anteil zu reduzieren oder ganz auf das Graphit zu verzichten. Dies würde die Energiedichte des Akkus deutlich steigern. Das scheint jetzt dem Start-up Seeo, das Bosch gekauft hat, gelungen zu sein.
Zwar liegt genug davon in der Erdkruste. Doch die Bergbauindustrie ist auf den Nachfragesog durch Millionen von E-Autos nicht vorbereitet. Die Exploration, Erschließung und Produktion von Nickel, Kobalt und Lithium verschlingt Milliarden, dauert viele Jahre und ist mit extremen Risiken verbunden. Alternative Akkutechnologien werden noch jahrelang nicht marktreif sein. Und chinesische Akkuhersteller haben den Markt für die Rohstoffe so gut wie leer gesaugt. Bisher ist kein Plan erkennbar, wie die Autoindustrie den Rohstoffmangel kurzfristig beheben will. Und das hat fatale Folgen: Der Durchbruch des Elektroautos könnte einige Jahre länger auf sich warten lassen.
Wachstumspläne hängen vor allem an der Batterie
Alle Wachstumspläne der Autoindustrie in Sachen E-Mobilität hängen am Ende an einer Komponente: reichweitenstarke Batterien. Und das millionenfach. Es ist ein völlig neuer Markt, der dort entsteht. Möglich machen sollen ihn neue Fabriken für Lithium-Ionen-Akkus. Tesla fährt mit Panasonic gerade die erste Gigafactory in Nevada hoch. Giga nennt man die Riesenbatteriewerke, weil sie mehr als eine Gigawattstunde (eine Million Kilowattstunden, KWh) Akkukapazität pro Jahr produzieren. In Nevada sollen ab 2019 Akkus mit einer Speicherkapazität von 35 Gigawattstunden (GWh) jährlich vom Band laufen: genug für eine halbe Million Tesla oder eine Million durchschnittliche E-Autos.
Doch das ist ein Klacks im Vergleich zur Akkuproduktion, die China aufbaut: Das Land plant gleich mehrere Riesenfabriken; insgesamt werden sie ab 2021 mehr als 121 GWh Lithium-Ionen-Akkukapazität jährlich ausspucken; das reicht für 1,5 Millionen Tesla Model S oder fast 14 Millionen Toyota Prius.
Auch in Deutschland soll nach dem Willen von Politik und Autoindustrie endlich eine Gigafactory entstehen: Das Start-up TerraE will bis 2028 an zwei Standorten 34 GWh Akkukapazität fertigen. „Die technische Planung steht“, sagt TerraE-Chef Holger Gritzka. Zur Finanzierung hat er ein Konsortium mit 18 Konzernen gebildet; 2019 will Gritzka die ersten 1,5 GWh von Deutschland aus produzieren.
Lithium-Produktion reicht nicht aus
Um zu verstehen, warum diese Pläne womöglich besser klingen, als sie sind, muss man kurz eintauchen in die Welt der Elektrochemie. Batteriezellen bestehen im Prinzip aus drei Teilen: Pluspol, Minuspol und Elektrolyt. Im Minuspol spielt Grafit die Hauptrolle, ein Material, das weder knapp noch besonders teuer ist. Anders sieht es bei den für die Elektrolyten und für den Pluspol benötigten Metallen aus. Die einzige derzeit verfügbare Batterietechnologie, die bei akzeptabler Größe genügend Energie speichern kann, um ein tonnenschweres Auto über Hunderte von Kilometern anzutreiben, ist die Lithium-Ionen-Batterie (LIB).
LIB laden schnell, speichern relativ zu Größe und Gewicht viel Strom und „haben den Vorteil, dass sie sich viele Jahre lang und mehrere Tausend Male be- und entladen lassen, ohne dabei kaputtzugehen“, erklärt Dirk Uwe Sauer, Professor für Elektrochemie an der RWTH Aachen.
In der LIB wandern geladene Lithium-Atome (Ionen) von der Kathode zur Anode und sorgen so für den Stromfluss; beim Aufladen an der Ladesäule wandern sie wieder zurück. Lithium ist das kleinste und leichteste Metallatom, eignet sich daher sehr gut für diesen Job. Doch für die Verwendung im Auto braucht man eine große Menge Lithium: Im Akku des Tesla Model S mit 90 Kilowattstunden etwa stecken bis zu 80 Kilogramm Lithium; im Akku eines iPhone 6 gerade mal 0,9 Gramm.
China fegt die Weltmärkte leer
Zwar glauben Geologen, dass es weltweit bis zu 47 Millionen Tonnen Lithium-Ressourcen gibt. Aber: Derzeit werden pro Jahr gerade mal 36.000 Tonnen des Leichtmetalls produziert. Und die Produktion lässt sich nicht schnell genug hochfahren, um den exponentiell steigenden Bedarf der Batteriezellenfabriken zu decken, fürchtet etwa Dirk Harbecke, Chairman der Explorationsfirma Rock Tech Lithium in Vancouver. „Exploration, Förderung und Verarbeitung sind extrem aufwendig“, sagt Harbecke.
Lithium-Vorkommen liegen meist in einer zähflüssigen Sole in 200 bis 400 Meter Tiefe unter den Salzseen Boliviens, Argentiniens oder der USA. Von dort muss die Sole hochgepumpt und dann über viele Monate von der Sonne in Trockenbeeten verdichtet werden, wo der Wasseranteil verdampft. „Danach hat es eine Konzentration von 0,9 Prozent“, erklärt Harbecke, „die Zellenhersteller benötigen für ihre Akkus Lithium aber in einer Reinheit von 99,9 Prozent.“
Der Weltmarkt für 99,9-prozentiges Lithium aber ist aktuell leer gefegt, und der E-Auto-Boom hat noch nicht einmal angefangen. Vor allem chinesische Firmen kauften es auf, sagt Harbecke, „die chinesischen Batteriehersteller kaufen von den Minen bereits sechsprozentiges Konzentrat und veredeln es selbst zu 99,9 Prozent weiter“.
Der Preis für Lithium an den Weltmärkten hat sich seit 2012 vervierfacht. Wenn 2030 – wie etwa der renommierte Autoforscher Stefan Bratzel von der Fachhochschule Bergisch Gladbach und viele andere meinen – 40 Millionen Elektroautos pro Jahr weltweit vom Band rollen sollten, werden dafür zwischen einer und drei Millionen Tonnen an reinem Lithium gebraucht. Für Bergbauexperten wie Caspar Rawls, Analyst des Bergbaukonzerns Benchmark Minerals, ist „unklar, wie diese Mengen hochreinen Lithiums bis dahin produziert werden sollen“.
Nach dramatischer ist die Lage bei Kobalt
Noch dramatischer könnte sich die Versorgungslage bald beim Kobalt zuspitzen, einem der Metalle im Pluspol (Kathode) der Li-Ionen-Akkus. Der Akku eines Elektroautos enthält rund 3000 Mal mehr Kobalt als der eines Smartphones. Zwar ist auch vom Kobalt theoretisch genügend da: Die sicheren globalen Reserven betragen 25 Millionen Tonnen; unter dem Meer werden 120 Millionen Tonnen Ressourcen vermutet. Weil aber vor dem Akkuboom nicht viel Kobalt gebraucht wurde, und weil es in den Erzadern fast immer nur in geringer Konzentration zusammen mit Kupfer oder Nickel vorkommt, wurde es bislang nicht gezielt abgebaut.
Und mehr als die Hälfte der bekannten Reserven liegen im politisch extrem instabilen Südostkongo. Neue Bergbauprojekte verschlingen zweistellige Milliardenbeträge; die Exploration dauert Jahre, das Risiko, nichts zu finden, ist hoch. Im Kongo, wo die Vorkommen häufiger und die Chancen besser sind, sind Projekte kaum ohne illegale Mittler und lokale Milizen möglich. „Auch bei Kobalt sollte man daher nicht auf eine schnelle oder gar exponentielle Ausweitung der Produktion hoffen“, sagt Rawls.
Die globale Jahresproduktion an Kobalt liegt bei gerade mal 124.000 Tonnen. „Selbst mit der heute fortschrittlichsten Technologie braucht man 400.000 Tonnen reines Kobalt für 30 Millionen Batterieautos mit 90-kWh-Akku“, sagt Hartmann F. Leube, Senior Vice President bei BASF, einem der größten Hersteller von Kathodenmaterial. Die aktuelle Kobalt-Jahresproduktion reicht also nicht einmal für halb so viele Autos, wie die Industrie sie schon bald jedes Jahr bauen will – es sei denn, sie machte Abstriche bei der Reichweite und baute kleinere Akkus.
Kobalt in Akkus bleibt auf Jahre wichtig
Dazu kommt der steigende Bedarf durch Lkws, Busse, Nutzfahrzeuge und Milliarden von kleineren Elektrogeräten wie Rasenmähern, Akkuschraubern, Laptops. „Kein Zweifel“, sagt Hartmut Wiggers, Professor für Chemie und Materialkunde an der Uni Duisburg, „das Kobalt im Akku muss langfristig durch andere Werkstoffe ersetzt werden, sonst reicht es nicht für Akkus, um den Massenautomarkt zu elektrifizieren.“
Genau daran arbeiten die Hersteller derzeit. Erste Erfolge gibt es: So gelang es Tesla/Panasonic, den Kobaltanteil in der Kathode von 33 auf 15 Prozent zu reduzieren. „Weiter verringern kann man ihn so schnell aber nicht“, sagt Wiggers.
Und die Reduzierung um etwa die Hälfte wird vom Trend zu größeren Akkus und der steigenden Nachfrage nach E-Autos bei Weitem überkompensiert. Das macht sich auf den Metallmärkten schon bemerkbar: Der Preis für die Tonne Kobalt hat sich allein 2017 mehr als verdoppelt, auf fast 70.000 Dollar. Aus einer Präsentation, die BASF-Manager Ende Oktober auf einem Kathoden-Kongress in Newport Beach bei Los Angeles hielten, geht hervor, dass BASF als einer der größten Hersteller von Kathodenmaterial schon in wenigen Jahren mit Kobaltengpässen rechnet.
VW scheitert mit langfristigen Lieferverträgen
Wood Mackenzie aus Edinburgh, der führende Thinktank für Energie- und Rohstoffexploration, rechnet daher mit einer Vervierfachung der Kobaltnachfrage bis 2020 und mit einem elfmal höheren jährlichen Bedarf 2030. Und dieser extreme Anstieg treffe „auf ein ziemlich unflexibles Kobaltangebot“, so die Schotten.
Zwar lassen sich Li-Ionen-Akkus auch ohne Kobalt bauen, etwa mit Aluminium oder Mangan. „Dabei kauft man sich aber schwere Nachteile ein – vor allem bei der Stabilität“, sagt Wiggers. Anders ausgedrückt: Ohne Kobalt würde sich die Kathode der Akkus nach wenigen Ladevorgängen auflösen. BASF-Mann Leube meint, dass das Kobalt noch „fünf bis zehn Jahre nicht ganz ersetzt werden kann“, Forscher Wiggers rechnet sogar mit weiteren acht bis zehn Jahren Abhängigkeit von dem problematischen Material.
Erschwerend kommt hinzu, dass chinesische Unterhändler derzeit den Markt für Kobalt regelrecht leer kaufen. Damit wollen sie die Versorgung ihrer vielen neuen Gigafactories sicherstellen. Vor allem in Afrika, wo Chinas Rohstoffeinkäufer seit vielen Jahren beste Beziehungen mit lokalen Minen aufgebaut haben, schließen sie langfristige Lieferverträge mit den Bergbaufirmen.
Alleine VW braucht mindestens vier Gigafactories
Westliche Nachfrager gehen deswegen immer häufiger leer aus. Im September ist VW mit dem Versuch, für seine Batterielieferanten Minenbetreiber mit fünf Jahre lang laufenden Kobaltlieferverträgen zu binden, vorerst gescheitert. Eine VW-Sprecherin bestätigt das indirekt: Man wolle zwar selbst kein Kobalt kaufen, wohl aber seinen Batterielieferanten bei der Beschaffung unter die Arme greifen: „Es liegt in unserer strategischen Verantwortung, den Rohstoffbedarf für die E-Mobilität langfristig abzusichern. Wir prüfen aktuell geeignete Maßnahmen zur Absicherung.“
Allein für die eigenen E-Autos benötigt der Konzern bis 2025 eine Batteriekapazität von mehr als 150 GWh pro Jahr. Das entspricht einer Jahreskapazität von mindestens vier Gigafactories für Batteriezellen. Dafür hat VW eines der größten Beschaffungsvolumen in der Geschichte der Industrie ausgeschrieben: mehr als 50 Milliarden Euro.
Als sich Mitte Oktober an der Universität Duisburg-Essen führende Experten auf dem Bereich der Batterieforschung zu einer Tagung treffen, fallen in der Kaffeepause deutliche Worte. Der Vertreter eines Akkuherstellers etwa sagt: „Wenn wir es in den kommenden Jahren nicht schaffen, das Kobalt ohne Performanceverluste der Akkus zu ersetzen, sehe ich keine 20 oder gar 30 Millionen Elektroautos pro Jahr, schon gar nicht von Herstellern, die nicht aus China kommen.“ Und dabei wird es noch ein paar Jahre bleiben. An zahlreichen alternativen Technologien zu LIB, die unter dem Begriff Post-Lithium zusammengefasst werden, wird zwar weltweit geforscht. Doch ein Durchbruch ist nirgendwo in Sicht. Einige Post-Lithium-Akkus funktionieren im Labor; doch in Serienfahrzeugen sind sie in den kommenden Jahren nicht zu erwarten.
Die Gefahr, dass auf der nächsten Detroiter Autoshow Volkswagen und die anderen Autobauer deutlich bescheidenere Elektropläne vorstellen müssen, jedenfalls wächst mit jedem Tag, an dem das Rohstoffproblem ungelöst bleibt. n