Einem so schillernden Kunden wie dem kalifornischen Elektroautopionier Tesla einen Korb zu geben erfordert einiges an Chuzpe. Amnon Shashua, Technikvorstand bei Mobileye, einem Experten für digitale Bildverarbeitung aus Jerusalem, hat genau das gewagt.
Bisher lieferten die Israelis wichtige Softwarekomponenten, auf denen Teslas Fahrassistenzsystem basiert. Sie lassen das Auto verstehen, was seine Kamera sieht, und darauf basierend beispielsweise entscheiden, ob es ausweichen oder auch eine Notbremsung einleiten soll.
Nun aber hat Shashua selbst einen Notstopp ausgelöst. Ende Juli verkündete er das weitgehende Ende der Kooperation. „Es ist nicht im Interesse von Mobileye, die Zusammenarbeit mit Tesla fortzusetzen“, sagte Shashua. Offiziell schweigt er zu den Gründen.
Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens
Der Fahrer lenkt, bremst und beschleunigt selbständig. Einfache Systeme wie Abstandshalter unterstützen ihn.
Das elektronische System übernimmt bestimmte Funktionen wie etwa das automatische Einparken oder das Spurhalten. Der Fahrer bleibt aber weiter in der Verantwortung, die Hände bleiben am Lenkrad.
Das Fahrzeug fährt weitgehend autonom, der Fahrer muss nicht mehr alles dauerhaft überwachen. Er darf die Hände vom Lenkrad nehmen, muss aber in der Lage sein, nach Vorwarnung die Kontrolle wieder zu übernehmen.
Der Fahrer kann noch übernehmen, ist aber nicht mehr erforderlich, um das Auto zu steuern. Elektronische Systeme können alle Verkehrssituationen automatisch bewältigen.
Das Lenkrad entfällt, das Auto wird nur noch vom System gesteuert.
In der Autobranche aber ist es ein offenes Geheimnis, dass die Israelis die Reißleine ziehen, weil sie ihren Ruf schützen wollen. Tesla wollte zu viel zu schnell, bewarb die Software, die Fahrer beim Steuern unterstützen und entlasten sollte, als „Autopilot“ und weckte falsche Erwartungen – bis das System im Mai versagte und ein Fahrer bei einem Unfall starb.
Mobileye setzt auf VW und BMW statt Tesla
Die rote Karte der kleinen Softwarefirma ist ein herber Schlag für Tesla. Denn der nur 700 Köpfe starke Spezialist hat sich mit seiner Expertise rund ums autonome Fahren zu einem der entscheidenden globalen Know-how-Träger in der wichtigsten Zukunftstechnologie der Autowelt entwickelt.
Ohne die Israelis liefe aktuell in der Entwicklung des autonomen Fahrens weltweit nicht viel, oder es wäre sehr viel teurer und ginge sehr viel langsamer voran. Die Folge: Mit Ausnahme von Daimler und Toyota setzten fast alle Autoproduzenten weltweit auf die Monokameras mit den EyeQ-Chips von Mobileye.
„Die spielen auf Champions-League-Niveau“, sagt der Einkaufsvorstand eines Premiumautoherstellers, der seinerseits von den Israelis abhängt und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Denn nicht nur der technische Vorsprung sei beträchtlich, auch die Taktik stimmt.
Shashua setzt auf enge Kooperation mit den Autokonzernen und ihren Zulieferern, ohne aber auch nur einen Hauch zu viel vom eigenen Know-how zu verraten. Weiterenwicklungen, Zusatzfunktionen fürs autonome Fahren, das gibt es schnell und effizient nur in Kooperation mit den Softwerkern aus Jerusalem.
Mit welchen Assistenzsystemen haben Sie bereits Erfahrungen gemacht?
... sind bereits mit einem Tempomat gefahren.
Quelle: EY
...haben Erfahrungen mit einer Einparkhilfe gemacht.
... haben bereits eine Lichtautomatik genutzt.
... sind bereits ein Auto mit ESP (Elektronisches Stabilitätssystem) gefahren.
... haben bereits eine verkehrsangepasste Navigation genutzt.
... sind ein Auto mit Notbremssystem gefahren.
...haben bereits Erfahrungen mit einem Abstandsregler gemacht.
...sind bereits ein Auto mit einem Nachtsicht-Assistenten gefahren.
...kennen die Totwinkel-Überwachung.
... sind bereits ein Auto mit einem Staufolgeassistenten gefahren.
...haben bereits Erfahrungen mit einer Verkehrszeichenerkennung gesammelt.
... haben bereits einen Spurwechselassistent genutzt.
... sind ein Auto mit Müdigkeitserkennung gefahren.
Mobileye ist der Star der israelischen Techszene, die sich im Schatten des Silicon Valley zu einem zweiten Hotspot für IT-Experten entwickelt hat. Der Erfolg der Bildspezialisten basiert auf den Erfindungen von Technikchef Shashua, Professor für Informatik an der Hebräischen Universität Jerusalem. 1999 gründete er Mobileye, fand Partner und entwickelte ein intelligentes Bildverarbeitungssystem. Das arbeitet mit nur einer Kamera und ist damit günstiger als andere Systeme, die auf Stereooptiken setzen.
In vier Jahren den Umsatz verzehnfacht
Als das Unternehmen 2014 in New York an Wall Street startete, war es der größte Börsengang in der israelischen Softwarebranche, Und es wuchs rasant: Zwischen 2011 und 2015 verzehnfachte sich der Umsatz auf 240 Millionen Dollar. Aktuell steht die Aktie bei rund 44 Dollar. Analysten wie Alexander Potter von der US-Investmentbank Piper Jaffray trauen ihr 60 Dollar zu. Denn das Marktvolumen kamerabasierter Fahrassistenzsysteme soll stark wachsen. Potter rechnet damit, dass 40 Prozent aller 2020 produzierten Autos solche Systeme besitzen.
In diesem Wachstumsmarkt ist Mobileye ein umworbener Partner. VW-Marken-Chef Herbert Diess gab im Januar auf der Consumer Electronic Show in Las Vegas eine strategische Partnerschaft mit den Israelis bekannt. Gerade erst folgte der Bund mit BMW und und dem Chipriesen Intel. Gemeinsam wolle man eine offene Plattform für autonomes Fahren entwickeln, verkündeten die Partner Anfang Juli in München.
Wie eng die Zusammenarbeit am Ende ausfällt, muss sich allerdings noch zeigen. „Mobileye verteidigt seine Algorithmen mit Zähnen und Klauen“, sagt ein Ingenieurdienstleister mit guten Beziehungen in die Autobranche. Angesichts der bisherigen Zurückhaltung, Kernwissen zu teilen, ist er gespannt, „wie viel Einblick die Hersteller von ihrem ‚strategischen Partner‘ tatsächlich erhalten“.
Noch viele Hürden für selbstfahrende Autos
Autopiloten sind in Flugzeugen Standard. Auch in Schiffen übernimmt zumindest außerhalb der Häfen oft der Computer das Ruder. Am Ende geht es auch beim autonomen Fahren um einen Autopiloten, der das Fahrzeug steuert. Doch der Autoverkehr ist komplex. Auf der Autobahn können die Prototypen der Industrie bereits ohne größere Probleme ohne Eingriffe des Fahrers unterwegs sein. Im Stadtverkehr wird es schon schwieriger. Halbautomatische Funktionen sind allerdings inzwischen Alltag. Ob Tempomaten, Einparkhilfen, Stauassistenten oder Abstandsregler - viele Funktionen entlasten den Fahrer bereits. Auch etwa Mähdrescher können längst eigenständig über das Feld fahren.
Eins der wichtigsten Argumente ist die Sicherheit. Die meisten Unfälle gehen auf Fahrfehler zurück. Weit oben in der Statistik: zu hohe Geschwindigkeit, zu geringer Abstand oder Abbiegefehler. Automatisch gesteuerte Autos würden solche Fehler minimieren. Denn Risikofreude, Spaß an der Geschwindigkeit und Selbstüberschätzung kennt ein Computer nicht. Er bremst, wenn der Abstand zu gering wird und nimmt nicht aus Unachtsamkeit anderen die Vorfahrt.
Die Entwicklung ist recht weit fortgeschritten. BMW etwa testet seit Jahren automatisch fahrende Autos, auch auf deutschen Autobahnen. Die Fahrzeuge können auch eigenständig überholen. Solche Tests müssen sich die Hersteller aber von Behörden genehmigen lassen. Audi ließ jüngst zur US-Technikmesse CES einen Wagen „autonom“ rund 900 Kilometer aus dem Silicon Valley nach Las Vegas fahren. Auch Daimler präsentierte auf der CES seine Vision für ein selbstfahrendes Auto der Zukunft. Der silberne Mercedes-Prototyp fuhr autonom auf die Bühne nach einer Tour durch die Wüste und die Hotel-Meile der Glücksspiel-Stadt. Zumindest für die Autobahn können sich manche Hersteller pilotiertes Fahren bereits in fünf bis sieben Jahren vorstellen.
Hier beginnen die Schwierigkeiten jenseits der Technik. Die erste Hürde ist das „Wiener Übereinkommen für den Straßenverkehr“ von 1968, das die Basis für die meisten Verkehrsregelungen ist. Darin gibt es zwar Hinweise zu Zugtieren, aber von selbstfahrenden Autos ist nicht die Rede. Dafür aber davon, dass jedes Auto einen Fahrer braucht, der am Ende verantwortlich ist. Dass Autofahrer am Ende Verantwortung und Kontrolle völlig abgeben werden, gilt eher als unwahrscheinlich. Noch fehlen dafür aber Regeln und Gesetze. Bei den bisher fahrenden Prototypen auf normalen Strecken müssen in Deutschland die Fahrer darauf geschult sein.
Europas größter Versicherer, die Allianz, würde auch selbstfahrende Autos versichern. Allerdings würde sich die Risikoeinschätzung ändern, denn das Risiko verlagere sich vom menschlichen Fehler des Fahrers zum Entwickler der Autopiloten. Allerdings glauben die Versicherer nicht daran, dass es vollständig selbstfahrende Auto geben wird. Ein Fahrer werde auch künftig einen Führerschein brauchen, und das Gefährt im Notfall oder in Situationen wo es nötig ist, kontrollieren zu können.
Sicherlich auch, um Kunden mit immer ausgereifteren Extras zu locken. Doch daneben spielt auch die mögliche Konkurrenz durch andere Spieler eine Rolle. So arbeitet etwa auch der Internetkonzern Google seit einigen Jahren an selbstfahrenden Autos.
Das hängt auch davon ab, wie schnell es dem deutschen Mobileye-Konkurrenten Continental gelingt, insbesondere beim Preis der eigenen Stereokamera-Technologie mit den Israelis gleichzuziehen. Noch liegen Stereosysteme nach Branchenangaben etwa 25 Prozent darüber.
Technisch hat das Conti-System mit Daimler schon jetzt einen Unterstützer erster Güte. Die Stuttgarter setzen bei ihren Assistenzsystemen seit Jahren auf das Bildverarbeitungs-Know-how aus Deutschland. Vielleicht kommt ja demnächst ein zweiter Großkunde hinzu: Tesla braucht jetzt einen neuen Partner.