Nürburgring Mit Walter Röhrl durch die "Grüne Hölle"

Der zweimalige Rallye-Weltmeister Walter Röhrl spielt Taxi und rast im Porsche mit 530 PS über die Nordschleife, den legendären Teil der Rennstrecke Nürburgring.

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Porsche-Taxi

Sonntagmorgen, kurz nach acht Uhr, auf der Nordschleife des Nürburgrings. Ich bin nervös, habe nichts gefrühstückt und nur wenig getrunken. Ich will meinen Magen bei dem, was ihm bevorsteht, nicht überfordern. Mit einem Profi über eine Rennstrecke rasen, war schon immer ein Traum. Jetzt spielt der zweimalige Rallye-Weltmeister und Porsche-Testfahrer Walter Röhrl den Taxifahrer für den Wirtschaftswoche-Redakteur auf der wohl anspruchsvollsten Rennstrecke der Welt. Das Taxi: Ein maisgelber Porsche GT 2 mit 530 PS, Höchstgeschwindigkeit 329 Kilometer pro Stunde, von 0 auf 100 km/h in nur 3,7 Sekunden.

Auf dem Parkplatz parallel zur langen Geraden des Streckenabschnitts Döttinger Höhe tanzt der Bär. Vier Mautschranken regeln den Zugang zur Nordschleife. Wenn keine Rennveranstaltungen oder Testfahrten stattfinden, kann jeder, der einen Führerschein und ein Fahrzeug hat, hier sein Fahrkönnen testen. Deshalb ist es kein Wunder, dass wir an diesem sonnigen Tag nicht die Einzigen sind, die so früh auf den Beinen sind. Der Porsche-Club aus Norwegen, das feuerrote Motorrad der italienischen Marke MV Agusta aus Finnland, zwei Zürcher mit schon etwas betagteren Alfa Romeos, die innen komplett ausgeräumt und mit Rohren verstärkt sind: Alle haben es eilig und wollen schnell auf die Strecke, solange noch eine Chance auf die Ideallinie besteht. Die „Grüne Hölle", wie der frühere Formel-1-Rennfahrer Jackie Stewart die Nordschleife respektvoll nannte, lockt mit 20,832 Kilometern, 73 Kurven und Steigungen bis zu 18 Prozent. Weil die Strecke tückisch ist und viele Nachwuchs-Schumis sich überschätzen, endet der Ausflug oft damit, dass das Fahrzeug Schrott ist und der Fahrer im Krankenhaus liegt.

Dennoch wage ich es. Denn ich habe Vertrauen zu der 60-jährigen Rennfahrer-Legende. Groß, schlank, ein feines Lächeln: Röhrl ist in glänzender körperlicher Verfassung. Was mich irgendwie beruhigt. Er sagt, dass ihn nicht in erster Linie die Geschwindigkeit fasziniere, sondern der Wunsch, die perfekte Runde auf der Ideallinie zu fahren. Röhrl: „Ich liebe die technische Perfektion, ob beim Mountainbikefahren, beim Skifahren oder eben beim Autofahren." Erst wenn sich der Zeiger des Tachometers in Richtung 400 km/h bewegt, beeindruckt ihn das etwas. Aha. Ich schlucke. Röhrl lächelt. So schnell war ich noch nie unterwegs. Ich streife den Helm über, steige trotzdem in den gelben Porsche ein, schnalle mich mit den gelben Sicherheitsgurten fest. Beide Arme lege ich so über die Beine, dass es ganz locker aussieht. Nur keine Angst zeigen. Denn ich habe das Gefühl, er würde einen vor Angst bleichen und sprachlosen Journalisten genießen.

Es geht los. Wir fädeln uns in den Rundkurs ein.

Die 530 PS des Porsche fauchen zum ersten Mal und drängen vorwärts. Es drückt mich in das Renngestühl des Porsche, die brachiale Beschleunigung kann ich fühlen. Es gibt kein Entrinnen mehr. Kuppeln, schalten, Gas geben, bremsen: Bei Röhrl sind das flüssige unaufgeregte Bewegungen. Wir rasen über die Streckenabschnitte Hatzenbach, Flugplatz, Schwedenkreuz hinunter in die Fuchsröhre. Elf Prozent Gefälle plus Kurve. Röhrl schaltet in den sechsten Gang, der Zeiger des Tachometer klettert in Richtung 300 Kilometer. Genau kann ich das aber nicht sehen, denn wir sind verflixt schnell. Ich habe alle Mühe den Kopf ruhig zu halten. Schon erspähe ich die nächste Kurve. Ob er sie auch sieht? Warum bremst Röhrl nicht wenigstens ein bißchen? Mir zuliebe. Geben die Beifahrer bei Rallyes nicht wertvolle Tipps zum Streckenverlauf? Da könnte ja jemand fahren, der auch die Ideallinie sucht, aber nur 60 PS für die Suche zur Verfügung hat. Ich trau mich nicht. Endlich. Röhrl bremst erst, als es für meinen Geschmack viel zu spät ist. Und wie er bremst. Von gefühlten 300 Stundenkilometer (Röhrl sagt danach, dass es rund 280 km/h waren) auf vielleicht 50 km/h. Wahnsinn! Weiter geht’s durch uneinsehbare Kurven, über blinde und tückische Kuppen.

Ich widerstehe dem Drang, meinen Absatz ins Bodenblech zu drücken und mitzubremsen. Locker bleiben heißt die Devise. Aber die Innenseiten meiner Hände sind feucht. Wir rasen im Tiefflug auf viel langsamere Autos zu. Ich bin deren Fahrer dankbar, dass sie zur Seite fahren. Auch der Lenker des gar nicht langsamen Audi RS4 sei gelobt, dass er, offenbar beeindruckt von unserem Tempo, mehr oder weniger freiwillig die Ideallinie verlassen und uns Platz gemacht hat. Röhrl hebt auch jenseits von 200 km/h freundlich die Hand und bedankt sich.

Der Porsche klebt in der Kurve bei Tempo 160 km/h auch dann noch am Boden, wenn ich schon sicher bin, die Grenzen der Physik sind erreicht und wir heben gleich ab. Beim Bremsen frage ich mich, ob Gurte reißen können, in Kurven, wie lange Sitze die Querbeschleunigung aushalten. Nichts davon passiert. Wir rasen mit hoher Geschwindigkeit starke Gefälle hinunter, durchqueren Kurven mit starken Neigungen und fahren über wechselnde Fahrbahnbeläge..

Mit Leichtigkeit scheint der Boxermotor des Porsche den Anstieg zwischen Carracciola-Kurve und Hohe Acht zu bewältigen: Plötzlich preschen wir direkt nach der Kurve auf einen Abschleppwagen zu. Der zieht gerade einen dunkelblauen BMW M3 auf die Rampe. Ohne jede hektische Reaktion bremst Röhrl den Porsche zusammen. Der BMW-Fahrer hat die Gefährlichkeit der Strecke unterschätzt. Das Auto ist Schrott, der Fahrer glücklicherweise wohlauf. Wir fahren langsam vorbei, beschleunigen und sind schließlich auf dem langen geraden Stück, der Döttinger Höhe, auf der der Porsche die Höchstgeschwindigkeit von rund 300 km/h erreicht. Ein irres Gefühl. Das muss sie sein, die Angstlust. So nennen Psychologen es, wenn man sich freiwillig äußerer Gefahr aussetzt und einfach hofft, alles endet gut. Es endet wirklich gut. Es hat Spaß gemacht. Röhrl bedauert zwar, dass er durch den Abschleppwagen rund 20 Sekunden verloren hat. Mir waren 7:55 Minuten für die gut 20 Kilometer aber schnell genug.

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