Pia grüßt, sobald man sich in einen der Sessel fallen lässt. Sie sorgt dafür, dass der richtige Radiosender läuft, und weiß, welche Beleuchtung man mag, weil sie einen am Smartphone erkennt. Sie aktiviert die Massagefunktion, wenn der Nacken verspannt ist – und wer friert, dem empfiehlt sie die Sitzheizung. Pia ist die Stimme einer künstlichen Intelligenz, die den Aufenthalt im autonomen Auto so angenehm wie möglich gestalten soll. Zumindest, wenn es nach Audi-Chefdesigner Marc Lichte geht, der Pia konzipiert hat.
Bis auf den Straßen fahrerlose Fahrzeuge unterwegs sind, wird es nicht mehr lange dauern, BMW zum Beispiel will die ersten Selbstfahrer ab 2021 in Serie bauen. Und eines ist jetzt schon klar: Die Menschen in ihnen werden nicht mehr Fahrende, sondern Reisende sein – und die vier Jahre ihres Lebens, die sie in Mitteleuropa durchschnittlich hinter dem Steuer verbringen, völlig anders verbringen. Die Branche stellt das vor eine ihrer größten Herausforderungen: Wie muss das Auto der Zukunft ausgestattet sein? Welchen Ansprüchen soll es genügen?
Nach Schätzung der Unternehmensberatung PwC werden sich traditionelle Hersteller und Zulieferer, die derzeit noch 70 Prozent der Gewinne in der Branche einstreichen, bereits im Jahr 2030 mit nur noch der Hälfte dessen begnügen müssen, was sich mit Autos verdienen lässt. Grund dafür sind Anbieter vernetzter Technologien und digitaler Dienste, die sich zwischen Hersteller und Kunde schieben – so wie es der Chauffeursdienst Uber mit seiner Abholfunktion per Smartphone-Wisch vormacht. Nur wer es verstehen wird, die richtigen Akzente in puncto Technologie, Komfort und Design zu setzen, hat eine Chance, in diesem neuen Mobilitätsspiel als Sieger vom Platz zu gehen.
Worauf es in Zukunft ankommt, zeigt Marc Lichte mit dem Konzeptfahrzeug Audi Aicon. Das Fahrzeug wird mit künstlicher Intelligenz gesteuert und stellt sich, wie gesagt, mit weiblicher Stimme, als Pia vor. Und Pia kann viel. Es holt seine (Smartphone-) Nutzer vor der eigenen Haustür ab, leuchtet ihnen mit einer integrierten Drohne beim Ein- und Aussteigen – und ist ansonsten als eine Art intelligentes Wohnzimmer auf Rädern konzipiert, das sich den Vorlieben und Bedürfnissen der Reisenden anpasst. „Wir haben den Audi Aicon als Luxusfahrzeug der Zukunft entworfen, das vor allem für Reisen auf langen Strecken ausgelegt ist“, betont Lichte.
Vier Innenraum-Modi in einem Auto
Nicht nur Audi, so gut wie alle Autohersteller, arbeiten an der Frage, wie das Auto aussieht, wenn es eines Tages allein fährt. Volkswagen hat mit seinem VW Sedric einen autonom fahrenden Kleinbus entwickelt, der als Büro oder Meetingraum genutzt werden kann. Yanfeng Automotive Interiors, ein chinesisch-irischer Anbieter automobiler Innenausstattung, präsentierte kürzlich ein Konzeptfahrzeug, das zwischen den vier verschiedenen Modi Drive, Lounge, Family und Meeting wechseln kann – je nach Einstellung rücken die Sitze zueinander oder voneinander weg, und im Familienmodus schiebt sich ein Origami-Tisch in die Mitte.
Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens
Der Fahrer lenkt, bremst und beschleunigt selbständig. Einfache Systeme wie Abstandshalter unterstützen ihn.
Das elektronische System übernimmt bestimmte Funktionen wie etwa das automatische Einparken oder das Spurhalten. Der Fahrer bleibt aber weiter in der Verantwortung, die Hände bleiben am Lenkrad.
Das Fahrzeug fährt weitgehend autonom, der Fahrer muss nicht mehr alles dauerhaft überwachen. Er darf die Hände vom Lenkrad nehmen, muss aber in der Lage sein, nach Vorwarnung die Kontrolle wieder zu übernehmen.
Der Fahrer kann noch übernehmen, ist aber nicht mehr erforderlich, um das Auto zu steuern. Elektronische Systeme können alle Verkehrssituationen automatisch bewältigen.
Das Lenkrad entfällt, das Auto wird nur noch vom System gesteuert.
BMW hat bereits ein Auto gezeigt, das sich über ein Hologramm, also über in den Raum projizierte Bedienelemente, steuern lässt. Renault hat mit Symbioz eine loungeartige Luxuslimousine konzipiert: Die Sitze lassen sich wie in einem Wohnzimmer zueinanderdrehen; durch ein gläsernes Kuppeldach fällt Licht; Sitze aus grauem Stoff, kupferfarbene Armaturen und ein ausziehbarer Marmortisch verbreiten eine wohnliche Atmosphäre.
Rollende Büros, fahrende Luxussuiten oder Schlafkapseln auf Rädern: Alles ist möglich. Wenn Autos kein Lenkrad mehr brauchen, überdies so sicher sind, dass Anschnallgurte überflüssig werden, und mit der Elektromobilität auch noch der Platz für den Verbrennungsmotor wegfällt – dann kann der Innenraum so frei gestaltet werden wie noch nie. Für Autodesigner sind dies goldene, kreative Zeiten.
Auf die inneren Werte kommt's an
Lutz Fügener ist einer von ihnen. „Die Autobauer wollen jetzt das Bild der Zukunft festlegen, um dies nicht den großen Technologiekonzernen wie Google zu überlassen“, sagt der Designprofessor an der Hochschule Pforzheim. Heute hätten viele Menschen noch das putzig-unprätentiöse Google-Car im Kopf, wenn sie an fahrerlose Autos dächten. Dieses Bild müssten die Hersteller durch neue, buchstäblich einladendere Bilder ersetzen.
Bei diesen Bildern wird das Interieur der Fahrzeuge eine wichtige Rolle spielen. Denn wenn Fahrzeuge miteinander kommunizieren und sich auf Autobahnen in einem konstanten Tempo von etwa 130 Kilometern pro Stunde fortbewegen, werden Dinge, die heute noch maßgeblich den Wert eines Autos bestimmen – Beschleunigung, PS-Zahl, Motorengeräusch – belanglos.
„Heute sind die Hersteller noch sehr aufs Lenkrad fixiert und performancegetrieben“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. „Wenn das keine Rolle mehr spielt, müssen sie den Premiumbegriff anders definieren.“ Die Innenausstattung, so Dudenhöffer, werde das sein, woran sich Hersteller künftig messen lassen müssen: „Das Interieur und künstliche Intelligenz machen das Auto von morgen aus.“
Lutz Fügener wiederum prognostiziert, dass „Autos auch von außen anders aussehen werden“. Ohne Verbrennungsmotor, Lenkrad und feste Plätze für Fahrer und Mitfahrer ergeben sich auch bei der Gestaltung des Äußeren eines Autos größere Spielräume. Und auch diese, so glaubt der Designer, werden Hersteller nutzen, um sich von der Konkurrenz abzuheben. So seien beispielsweise Autos ohne Frontscheibe denkbar oder Autos mit extrem hohen Motorhauben – je nachdem, was die Reisenden im Inneren als komfortabel empfinden.
Für den Audi Aicon, in dem Pia assistiert, wurde erst das Interieur entwickelt, dann das dazu passende Exterieur. Im Gegensatz zu einem herkömmlichen Fahrzeug gibt es im Aicon deutlich mehr Beinfreiheit als in einem normalen Pkw.
Wie das selbstfahrende Auto die Wirtschaft jenseits der Fahrzeugbauer verändert
... verbringen zwei von drei deutschen Autofahrern pro Tag in ihrem Wagen. Viel Zeit, um im Internet zu surfen, wenn sie nicht mehr auf den Verkehr achten müssen. Für Boutiquen und Museen, Kinos und Fitnessstudios bedeutet dies: Sie müssen auch online präsent sein, weil sie kaum noch einer zufällig entdeckt, während er aus dem Fenster blickt.
... zusätzlichen Umsatz im Jahr könnte das selbstfahrende Auto Bars, Discos und Kneipen weltweit bringen. Denn Alkohol und Autofahren schließen sich nicht mehr aus. Derzeit trinken die Menschen weltweit Alkohol im Wert von 1,5 Billionen Dollar.
... haben deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr für Geschäftsreisen ausgegeben. In Zukunft lässt sich das selbstfahrende Auto als rollendes Bett nutzen. Man fährt abends los und ist am nächsten Morgen am Ziel. Hotels könnten dann allenfalls noch mit einem Angebot zur Morgentoilette punkten.
... des Münchner Stadtgebiets sind durch parkende Autos blockiert. Selbstfahrende Autos werden den Passagier am Ziel absetzen, zum nächsten Einsatz fahren – und so den Verkehr besser steuern. Parkplätze werden also kaum noch gebraucht. Schlecht für die Betreiber von Parkhäusern, die heute in Westeuropa jährlich 50 Milliarden Euro umsetzen.
... Verkehrsschilder und 1,5 Millionen Ampeln gibt es in Deutschland. Die verschwinden. Selbstfahrende Autos fahren auch bei hohem Tempo Stoßstange an Stoßstange, kreuzen und biegen ab – ohne zu stoppen. Selbst den Weg kennen sie.
... nimmt allein Hamburg jedes Jahr mit Knöllchen ein. Selbstfahrende Autos achten aufs Tempolimit und parken nur dort, wo sie auch parken dürfen. Städten gehen also Einnahmen verloren.
... unserer Lebensmittel werden wir in 30 Jahren geliefert bekommen – unabhängig von den Großbritannien und Japan sind die sich selbst steuernden Essenslieferanten testweise schon unterwegs.
... aller Versuche in Deutschland, ein Paket zuzustellen, sind vergeblich. Selbstfahrende Paketautos liefern eine Sendung, wenn der Empfänger sie zu sich ruft – auch nachts und am Wochenende.
... ihres US-Umsatzes macht die Fast-Food-Kette McDonald’s schon heute am Drive-in-Schalter. Im selbstfahrenden Auto können alle Passagiere essen – und nicht nur die auf der Rückbank. Und die Wagen können Fritten und Burger auch ganz allein am Drive-in-Schalter abholen und ausliefern.
Und ins Innere der autonomen Gefährte ziehen neue Angebote ein. Die Windschutzscheibe könnte sich in eine Art Leinwand für Filme und Nachrichten verwandeln. Auf dem Weg zur Arbeit könnte man ein paar Fitnessübungen absolvieren oder sich die Haare schneiden lassen. Designprofessor Fügener hält solche Dienstleistungen auf Rädern für denkbar. Welche davon es einmal geben werde, hänge stark von den Angeboten anderer Branchen ab – und von den Kunden. Was den Menschen nicht wirklich gefällt, wird sich ebenso wenig durchsetzen wie das, was ihnen zu teuer scheint.
Und weil nicht alle Menschen die gleichen Gewohnheiten und nicht den gleich prallen Geldbeutel haben, glaubt Tobias Phleps, Geschäftsführer der Designagentur Brand Union Germany, dass es Autos für verschiedene Zwecke geben wird, die sich je nach Preis in ihrer Ausstattung unterscheiden. Phleps berät Autobauer in Innovationsfragen und geht davon aus, dass sowohl kleine Schlafkapseln über den Asphalt rollen werden als auch große, wohnzimmerartige Luxusautos, in denen jede Fahrt zu einer Businessclass-Reise auf der Straße wird.