Stellen Sie sich vor, Sie steigen in ihren Wagen, schlagen die Tür zu, schnallen sich an, stecken den Schlüssel ins Schloss und lassen den Motor an. Und jetzt stellen Sie sich vor, das Ganze liefe geräuschlos ab. Kein satter Ton gibt zu verstehen, dass die Tür wirklich zu ist, kein Motorengeräusch brummt los und vermittelt das Gefühl von Fahrspaß, und kein Blinker tickt im Takt mit der Leuchtlampe. Wären Sie nicht konstant besorgt, dass mit dem Fahrzeug etwas nicht in Ordnung ist?
Etwa 400 Schallquellen gibt es heutzutage in Autos, die viel mehr Computern oder Fahrzeugen ähneln. Jeder Sound dieser Schallquellen muss bestimmt werden. Gleichzeitig machen neue Elektroantriebe und Hybridmotoren Wagen zum Teil leiser als für das Geschäft gut ist. Dabei brauchen Autofahrer ein akustisches Feedback von ihrem Wagen. Darüber wie BMW, VW, Mercedes, Toyota, Porsche und Co. klingen müssen, entscheiden hunderte Sounddesigner bei den großen deutschen Automobilherstellern. Sie sind wahre Klangarchitekten und komponieren Geräuschkulissen aus Blinkern, Türen, Motoren und anderen Quellen in den Fahrzeugen.
Bei Daimler leitet Tobias Beitz (40) ein Team, das sich ausschließlich mit dem Geräuschdesign und der Qualität bestehender Geräusche in Mercedes-Fahrzeugen beschäftigen. Elektrotechniker, Maschinenbauer, Musiker, Psychologen arbeiten hier mit ihm zusammen. „Eine konkrete Ausbildung für den Beruf gibt es nicht“, sagt Beitz. „Jeder bringt aus seinem Themenbereich Know-how mit, das entsprechend zum Einsatz kommt.“ Und das Zusammenspiel der einzelnen Experten ist entscheidend, denn die Sounddesigner sind von der ersten Konzeption bis zur Produktabnahme in jeden Produktionsschritt involviert.
Die Arbeit der Psychologen
So kennen die Psychologen die Kunden und wissen, welche Sounds am Markt ankommen. „Wir holen uns auch die Rückmeldung der Kunden, welche Sounds ihnen wie gut gefallen haben. Vor allem greifen wir aber auf jahrelange Tradition und entsprechende Erfahrungswerte zurück“, sagt Beitz.
Ganz ähnlich funktioniert das auch bei Porsche, wo Bernhard Pfäfflin (46) die 120 Mitarbeiter starke Abteilung für Schwingungstechnik und Akustik leitet. „Jede Baureihe bei Porsche hat ihren eigenen Sound, der auch zur Marke passt“, sagt er. „Man soll den Wagen am Motorengeräusch erkennen.“ Doch während der klassische Mercedes-Fahrer den leisen Fahrkomfort wünscht, setzt Porsche gemeinhin auf sportliche Sounds. „Der Sound soll auch Fahrfreude beim Kunden auslösen“, weiß Pfäfflin. Der Motor einer Limousine wie der C-Klasse klingt eben anders, als der eines Porsche 911.
Über das Brüllen des Löwen
Wie wichtig Geräusche für das menschliche Gehör sind, kann Ercan Altinsoy vom Lehrstuhl für Kommunikationsakustik an der TU Dresden erklären. „Wir können die Ohren nicht einfach schließen. Wir hören 24 Stunden am Tag. Entsprechend hoch ist die Bedeutung von Geräuschen für die Menschen“, sagt er. „Gewisse Geräusche lösen evolutionsbedingt ähnliche Gefühle aus. Mit dieser Erkenntnis arbeiten auch die Sounddesigner.“
Als konkretes Beispiel nennt er das Brüllen eines Löwen, das zwei Gefühlszustände auslöst: Macht und Angst. Eine Aufgabe von Sounddesignern ist es entsprechend den „Macht-Sound“ zu extrahieren und den „Angst-Sound“ herauszufiltern. So entstehen Töne, die bei den Kunden am Ende ein positives Gefühl auslösen.
Außerdem greifen die Menschen beim Kauf nahezu aller elektronischer Waren auf ihre ganz eigene Sound-Biografie zurück. „Bestimmte Geräusche erinnern den Kunden daran, dass er mit einem Produkt zufrieden war. Hört er das Geräusch wieder, greift er schneller erneut zu“, ist Altinsoy sicher.
Außerdem gibt es Sounds, die ein Gefühl von Qualität vermitteln. „Niemand möchte das Geräusch von schepperndem Metall hören, wenn die Tür ins Schloss fällt. Was die Kunden wollen, ist ein sattes Plopp“, sagt Bernhard Pfäfflin von Porsche. Und Ercan Altinsoy von der TU Dresden weiß: „Funktion und Qualität der Fahrzeugantrieben sind nicht visualisierbar, diese Lücke wird durch Sounddesign geschlossen – schon in Bruchteilen einer Sekunde ist Fahrzeugqualität auditiv bewertbar.“
Sicherheit geht vor
Doch die Geräuschkulisse im Auto dient nicht nur der durchaus wichtigen Industriepsychologie. Sie ist vor allem ein Sicherheitskriterium. Der Mensch reagiert auf Geräusche viel schneller als auf Bilder. Binnen einer Millisekunde ist der Fahrer in der Lage ein Geräusch aufzunehmen, die Verarbeitung von Bildern dauert aufgrund der höheren Datenmenge bis zu 25 Millisekunden. Entsprechend viele Audio-Informationen lassen sich im Auto gleichzeitig aufnehmen. Und das, ohne den Straßenverkehr aus den Augen zu lassen. Gleichzeitig kann der Mensch nur eine gewisse Menge an Informationen gleichzeitig im Gehirn verarbeiten.
Für die Sounddesigner ergeben sich daraus zwei Erkenntnisse: Zum einen müssen die Geräusche einen eindeutigen Zweck erfüllen, zum anderen dürfen sie nicht irritieren oder ablenken. „Zum Beispiel soll der Fahrer beim Schließen eines Fensters hören, dass der Vorgang richtig funktioniert hat und dass das Fenster richtig geschlossen ist“, sagt Tobias Beitz von Daimler. Nur so könne sich der Fahrer wieder voll auf die Fahrbahn konzentrieren. Doch damit das Gefühl der Sicherheit auch eintritt, muss das Geräusch entsprechend hochwertig klingen. Also haben die Designer ein Geräusch entworfen, das genau dieses Gefühl vermittelt. Dafür wurden die einzelnen Bauteile so gebaut, dass genau das Zielgeräusch entsteht, das die Soundentwickler im Vorfeld im Studio bestimmt haben.
Der Kreislauf der Geräusche
Ganz gleich welcher Sound entworfen wird, die Definition eines Zielsounds steht immer am Anfang des Prozesses. Und die wichtigste Komposition ist für alle Autobauer nach wie vor die des Motors. Wie kraftvoll, wie leistungsstark, aber auch wie gesund ein Antrieb ist, muss der Fahrer hören können. Den Grundton gibt die Drehzahl vor, an der sich die weiteren Töne orientieren. Jeder Schaltvorgang, jede Kurvenlage und jedes Beschleunigen soll am Ende deutlich zu hören sein – nicht zu laut, nicht zu leise, sondern genau richtig. Die Vision der Geräusche entsteht in einem Tonstudio. Hier werden bestehende Sounds neu komponiert und per Computertechnik verändert, bis der Wunschklang entstanden ist. „Noch bevor das Auto fertig ist, können wir es hören“, sagt Daimler-Soundmann Tobias Beitz.
Wie die Porsche-Motoren klingen
Erst dann geht die eigentliche Arbeit los. „Bei Porsche sind alle Geräusche authentisch erzeugt“, erklärt Bernhard Pfäfflin. Das heißt, dass keines der Motorengeräusche künstlich hergestellt wird. Was der Fahrer hört, kommt wirklich aus der Abgasanlage.
Am Rechner entstehen im ersten Schritt ungefähr 20 bis 30 Simulationen des neuen Motors sowie Ideen für die konkrete Umsetzung. Die besten fünf Modelle werden dann tatsächlich produziert: vom Krümmer über die Rohre, die Katalysatoren und Schalldämpfer. „Diese setzen wir dann um und bauen sie nach“, sagt Pfäfflin. Und dann beginnt das Finetuning, bis am Ende das Original so nah wie möglich an die Zielsounds herankommt.
Die Krux mit den Hybriden
Für Motorengeräusche finden Karossen-Fans viele Adjektive: bellend, singend, schnurrend, brüllend, brabbelnd – jeder hört das Auto anders und verbindet etwas mit dem Geräusch. Die Freude am Cruisen, die Lust das Gaspedal durchzudrücken aber auch den Gesundheitszustand der Maschine. Und das ist ein wichtiger Indikator für die Fahrer, um sich gegebenenfalls für einen Stopp in der Werkstatt zu entscheiden. „Komplett geräuschlose Autos will niemand“, sagt Tobias Beitz. „Eine akustische Rückmeldung muss sein.“
Wie wichtig das Motorengeräusch ist, ist unumstritten. Entsprechend haben sich Hersteller von Elektroautos und Hybridfahrzeugen immer mehr darauf verständigt, ihren relativ stummen Wagen, eine Soundkulisse zu verpassen, die per Lautsprecher in das Innere des Wagens gelangt. Gekoppelt wird diese wiederum an die Drehzahl des Wagens und die dahinter stehende Elektronik. „In den USA wird dazu aktuell sogar ein Gesetz verabschiedet, dass die entsprechende Geräuschkulisse regeln soll“, sagt Bernhard Pfäfflin.
Tiergeräusche verboten
Damit mit der Kreativität der Sounddesigner nicht die Pferde durchgehen können, ist man in Japan sogar so weit gegangen, eine Art offizielle Richtlinie zu verabschieden, die es den Autobauern verbietet beispielsweise Tiergeräusche einzusetzen. „Die Idee dabei ist, dass auch die künstlichen Geräusche so authentisch wie möglich klingen sollen, damit sie den Fahrer nicht irritieren oder ablenken“, sagt Pfäfflin. Genau aus diesem Grund ist er dagegen sich Sounds einfach von einer Datenbank herunter zu laden. „Der Ton muss zum Auto und zu der entsprechenden Fahrsituation passen. Und das macht Arbeit.“
Auch beim Blinker wurden im Nachhinein wieder Geräusche eingeführt. „Der Sound des Blinkers wurde früher durch ein Relais ausgelöst. Seitdem der mechanische Vorgang elektronisch gesteuert wird, gelangt es über einen kleinen Lautsprecher zum Fahrer“, erklärt Bernhard Pfäfflin. „Diese Änderung wurde als Reaktion auf das Kundenfeedback wieder eingeführt.“
Ähnlich war es bei der klassischen Mercedes-Feststellbremse, die anders als in anderen Fahrzeugen nicht mit der Hand, sondern mit dem Fuß betätigt wird. „Mit dem Fortschritt der Elektronik im Wagen fiel das klassische Einrastgeräusch weg. Die Kunden wussten nicht mehr, ob die Bremse wirklich fest saß oder nicht“, sagt Tobias Beitz. Also hat man das Einrasten künstlich wieder eingebaut, damit der Fahrer sich sicher sein kann, dass sein Wagen am Hang auch stehen bleibt.
„Wir kommunizieren täglich mit Produkten. Dabei ist ein auditives Feedback für uns wichtig, um die Geräte überhaupt bedienen zu können. Zumindest dann, wenn die Information, die wir dadurch erhalten, eine sinnvolle ist“, sagt Ercan Aktinsoy von der TU Dresden. Entsprechend müssen die Sounddesigner eben nicht nur entscheiden, was klingen, sondern auch was still bleiben soll. „Wind- und Rollgeräusche versucht man in der Regel so gering wie möglich zu halten“, sagt Tobias Beitz. Und auch einen Luftkompressor muss der Fahrer nicht hören, da er keinen Bezug zu dem Geräusch hat, die der Kompressor macht. Er löst die Funktionen nicht selber aus und kann so auch nicht verstehen, woher die Geräusche kommen.
Am Ende müssen die vielen Geräusche, die im Auto zum Einsatz kommen, miteinander harmonieren. „Dann wird überprüft, ob die Geräusche sich überlagern und sich so gegenseitig ausschalten“, erklärt Bernhard Pfeiffer. Jedes einzelne Zahnrad im Getriebe wird gecheckt, damit auch wirklich nur das zu hören ist, was gehört werden soll. Die Harmonien der Töne werden aufeinander abgestimmt, damit kein irritierender Ton entsteht, wo er nicht angemessen ist (wie zum Beispiel als Erinnerung für den Anschnallgurt oder die akustische Einparkhilfe). Und als wäre das nicht genug Arbeit, müssen auch noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden, die von Land zu Land verschieden sind.
Es ist das Finale einer langwierigen Projektarbeit an der zig Mitarbeiter in kleinen Teams über Monate und Jahre gearbeitet haben. Den wenigsten Fahrern dürfte klar sein, wie viel Mühe in das Orchester namens Fahrzeug fließt – damit der Fenster klingt als sei es zu und der Motor brummt, sobald der Fuß das Gaspedal durchtritt.