Technischer Hintergrund Was es mit dem „Thermofenster“ auf sich hat

Bauherren schätzen Thermofenster, weil sie die Wohnung warm und die Kälte draußen halten. Autofahrer kennen den Begriff mittlerweile auch. Als Reizwort für weitere Abgastricksereien – und zum Schutz der Dieseltechnik.

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Moderne Diesel können unter der Abgasreinigung leiden, daher arbeiten die Systeme nur innerhalb bestimmter Temperaturfenster. Ist das schon Betrug? Der Gesetzgeber sagt nein, fordert aber auch Nachbesserungen von vielen Herstellern. Quelle: dpa

Düsseldorf Die Frage, ob Daimler bei seinen Dieselfahrzeugen die Abgasreinigung in gesetzlich verbotenem Rahmen manipuliert hat, steht nicht erst seit heute im Raum. Neu ist allerdings, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit einem Großaufgebot ausrückt, um dem Verdacht nachzugehen, ob der Premium-Autobauer vielleicht über den gesetzlich erlaubten Rahmen hinaus gegangen ist und damit um Kunden geworben hat.

Bereits im März 2017 waren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bekanntgeworden, die sich gegen „bekannte und unbekannte Mitarbeiter der Daimler AG wegen des Verdachts des Betruges und der strafbaren Werbung im Zusammenhang mit möglicher Manipulation der Abgasnachbehandlung bei Diesel Pkw“ richteten. Bisher betont Daimler aber, sich bei der Abgasnachbereitung in Dieselfahrzeugen an geltendes Recht zu halten.

Streitpunkt ist das sogenannte „Thermofenster“, so nennen Sachverständige und Techniker den Temperaturbereich, in dem schädliche Stickoxide (NOX) am besten aus Abgasen herausgefiltert werden. Technisch steckt folgende Herausforderung dahinter: Je höher die Außentemperatur der angesaugten Luft vom Idealwert abweicht, desto schwerer erreichen die Systeme die perfekte Temperatur – im schlimmsten Fall könne der Motor sogar Schaden nehmen, argumentieren die Hersteller.

Denn moderne Dieselmotoren leiden unter einer Versottung, ein Begriff den manche Altbaubesitzer schon von ihrem Schornsteinfeger gehört haben: Beim chemischen Prozess, wenn Dieselabgase durch Harnstoff (wie Adblue) von Stickoxiden befreit werden, entsteht ein Schleim. Und diese Mischung aus Kohlenwasserstoff, Kondenswasser und Ruß schädigt Motorleitungen und Teile der Abgasreinigung.

Um das zu vermeiden, fährt die Motorelektronik die Abgasreinigung bei niedrigen Temperaturen herunter oder setzt sie sogar ganz aus. So bleiben zwar die sensiblen Bauteile unbeschädigt, aber andererseits bleiben eben auch die Stickoxide in den Abgasen.

Beim Opel Zafira soll beispielsweise die Abgasreinigung schlechter funktionieren, wenn die Außentemperatur unter 17 und über 33 Grad liegt. Bei Daimler soll die Abgasreinigung bei Temperaturen unter 10 Grad weniger Stickoxide aus den Abgasen filtern. In Deutschland, wo die Durchschnittstemperatur bei 8,5 Grad liegt, dürften die meisten Diesel damit deutlich schmutziger sein als auf dem Papier angegeben.

Und doch handelt es sich damit nicht automatisch um einen klaren Betrug, wie man ihn Volkswagen seit Herbst 2015 bei der Softwaremanipulation zur Erzielung besserer Prüfstandswerte nachgewiesen hat. Denn eine Verordnung der Europäischen Kommission erlaubt es ausdrücklich, die Abgasreinigung vorübergehend abzuschalten. Tatsächlich funktioniert die Abgasreinigung der meisten Dieselmodelle bislang offenbar nur bei perfekten (Temperatur-)Bedingungen.


Knapp über Zimmertemperatur

Dass die Hersteller ihre Systeme auf Bedingungen knapp über Zimmertemperatur optimiert haben, dürfte kein Zufall sein. Der gesetzliche Standardtest NEFZ findet im Labor bei 23 Grad Außentemperatur statt. Und unter diesen Temperaturen liefern alle getesteten Modelle bessere Werte ab.

Nach der Argumentation vieler Hersteller wird dieses Verfahren genutzt, um Bauteile im Motor zu schützen. Außerdem müssten auch die Abgasreinigungssysteme erst auf Temperatur gebracht werden, heißt es. Doch wie weit die Hersteller diese Lücke, die der Gesetzgeber ihnen einräumt, ausnutzen dürfen, ist durchaus umstritten. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags halten das Vorgehen der Hersteller für illegal, und teilen damit die Haltung einiger Umweltverbände. Und auch das Verkehrsministerium will die Problem mit den „Thermofenstern“ auf europäischer Ebene schließen.

Daimler hatte sich – wie andere auch – aber mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) schon darauf geeinigt, 247.000 Fahrzeuge zurückzurufen, um diese Technik anzupassen. Porsche hat beispielsweise den Macan mit 3.0l V6-Diesel umgerüstet.

Bei 10.500 betroffenen Fahrzeugen hatte die Untersuchungskommission von Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) und Verkehrsministerium Zweifel, ob die gewählten so genannten „Thermofenster“ in vollem Umfang durch den Motorschutz gerechtfertigt sind. Die betroffenen Hersteller wurden aufgefordert, das Temperaturfenster auf das tatsächlich notwenige Maß zu begrenzen. Beim Macan wurde das Thermofenster etwa von 17 auf fünf Grad Außentemperatur geändert.

Auf eine Klage der Deutschen Umwelthilfe, Verbraucher seien mit Werbung über saubere Dieselmotoren in die Irre geführt worden (Az: 35 O 76/13 KfH), hatte Daimler kürzlich mit einer Unterlassungserklärung reagiert. Broschüren mit der Aussage, dass bei der neuen C-Klasse die Stickoxid-Emissionen durch die Abgas-Nachbehandlung um bis zu 90 Prozent reduziert werden könnten, wurden zurückgerufen.

Das Ende der Fahnenstange ist das für Daimler aber nicht. In den USA haben Autobesitzer eine Sammelklage angestrengt und dem Hersteller manipulierte Werte des Schadstoffs Stickoxid und irreführende Werbung vorgeworfen. Und das Justizministerium in Washington hatte den Hersteller aufgefordert, das Zustandekommen der offiziellen Abgaswerte in den USA intern und unter Einbeziehung der Aufseher zu prüfen. Mit der Untersuchung beauftragte Daimler externe Anwälte, die seit gut einem Jahr im Haus unterwegs sind. Geleitet wird die Prüfung aber von der internen Revision des Autobauers. Daimler hält sich mit Aussagen zu den Verfahren zurück.

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