Die Folge der neuen Vorgaben sind für Autokäufer und -hersteller gleichermaßen tief greifend. Denn weil die erforderliche Technik zur Abgasreinigung die Dieselmotoren erheblich verteuert, wird sich nicht nur das Verhältnis von Benziner- zu Diesel-Pkws verschieben. Zugleich schrumpft der Kostennachteil von Elektromobilen deutlich. Und Pkws mit Hybridantrieb werden sogar schon bald preiswerter im Unterhalt als die bei europäischen Kunden so beliebten Dieselautos.
Das ist das Ergebnis einer Hochrechnung der Unternehmensberatung Accenture im Auftrag der WirtschaftsWoche. Das ökonomische Aus für den Diesel droht nicht bloß bei Kleinwagen, bei denen Dieselmotoren angesichts des Mehrpreises und der geringen Laufleistungen schon bisher kaum rentabel zu fahren waren. Die schärferen Grenzwerte und Messmethoden verteuern den Diesel selbst in größeren Fahrzeugen so massiv, dass der Selbstzünder auch in der beliebtesten deutschen Fahrzeugklasse, Kompaktwagen wie dem VW Golf, dem Opel Astra oder dem Ford Focus, kaum Überlebenschancen hat.
Die Accenture-Berechnungen zeigen, dass der Hybridantrieb über die gesamte Lebensdauer um fast 5000 Euro billiger ist, der Benziner um mehr als 3000 Euro. Sogar der reine Elektroantrieb wächst zum Konkurrenten des Diesel heran, weil er nur noch 1500 Euro teurer ist als der Diesel. Die vollständigen Ergebnisse der Berechnungen für die Golf-Klasse finden Sie hier.
Selbst in der Mittelklasse, also bei Modellen wie dem Ford Mondeo, dem VW Passat oder Opels Insignia, ist der Diesel stark gefährdet.
Und wenn stimmt, was die US-Umweltbehörde vermutet, der Volkswagen-Konzern aber vehement bestreitet, dass selbst große Drei-Liter-Diesel in einigen Audi- und Porsche-Modellen nur mit technischen Tricks die Prüfvorgaben einhalten konnten, droht sogar den Oberklassewagen noch ein erheblicher Kostenschub durch Reinigungstechnik.
Denn die neuen Abgastests bestehen Wagen mit Dieselantrieb nur, wenn die Hersteller aufwendigere und damit deutlich teurere Abgasreinigungsanlagen einbauen. Fachleute rechnen mit Mehrkosten von mindestens 1000 Euro pro Fahrzeug. Die neue Technik wiederum benötigt, um die gefährlichen Stickoxide mithilfe von Katalysatoren in unschädlichen Stickstoff und Wasser umzuwandeln, jede Menge Harnstoff – an der Tankstelle euphemistisch AdBlue genannt.
Je nach Anbieter kostet die ammoniakhaltige Flüssigkeit aktuell um drei Euro pro Liter, und entsprechend ausgerüstete Motoren benötigen je nach Fahrweise vier bis sechs Prozent des Dieselverbrauchs, um die Abgase zu entgiften. Doch nicht nur das treibt die Kosten. Auch der erforderliche Zusatztank sowie Dosier- und Einspritztechnik verteuern den Selbstzünder, und dazu kommt noch der für eine sauberere Verbrennung des Treibstoffs erforderliche Mehrverbrauch. Um rund ein Fünftel mehr Sprit könnte dann in den Zylindern verbrennen.
Schock für Schock
Und als reiche das nicht schon als Kostentreiber, will die EU-Kommission nicht nur RDE-Tests einführen. Zudem soll ein neuer alltagsnäherer Testablauf im Labor den bisherigen, für seine Realitätsferne gescholtenen Prüfzyklus ersetzen. Jedes neue Modell durchläuft damit künftig mindestens zwei Prüfverfahren, bevor die Hersteller es verkaufen können. Er kommt mit der nächsten Abgasnorm, Euro 6c, die ab September 2017 für alle neuen Automodelle und ab 2019 auch für Neuzulassungen älterer, bereits genehmigter Fahrzeugtypen gilt. Weil die Wagen dabei schneller und länger fahren, rechnet etwa der Verband der Automobilindustrie (VDA) damit, dass die neue Messmethode den offiziellen Verbrauchswert nochmals um bis zu 20 Prozent hebt.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Entsprechend harsch fallen die Reaktionen auf die jüngsten Beschlüsse etwa bei Matthias Wissmann aus. Der VDA-Präsident, der vehement für eine deutlich größere Spanne zwischen Labor- und Realverbrauch geworben hatte, spricht von „großen technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen für Hersteller und Zulieferer“. Jürgen Resch hingegen, Chef der Deutschen Umwelthilfe und derzeit schärfster Widersacher der Automobilindustrie, beklagt, dass Brüssel auch künftig einen vier Mal so hohen Stickoxidausstoß erlaubt wie die USA. Volker Noeske, Leiter des Dekra Automobil Test-Centers im brandenburgischen Klettwitz, trifft vermutlich die Mitte: Er hält die Grenzwerte für „sportlich, aber gangbar: Es hätte für die Autobauer schlimmer kommen können.“