Wenn es klare Gewinner des Abgasskandals bei Volkswagen gibt, dann sind das der Elektronikspezialist Maha AIP aus dem bayrischen Örtchen Haldenwang und sein österreichischer Konkurrent AVL List aus Graz. Denn die Mittelständler produzieren jene mindestens 80.000 Euro teuren Messgeräte, mit denen Umweltbehörden, TÜV, Dekra, ADAC und Autohersteller künftig prüfen wollen, welche Abgase Autos in die Umwelt blasen, wenn sie nicht im Labor, sondern im Alltag unterwegs sind.
Die knallgelben Kisten, die auf der Anhängerkupplung montiert werden, sind begehrter denn je – die Hersteller können nicht so schnell liefern, wie die Tester ordern. „Wir warten sehnsüchtig auf unser Exemplar“, sagt etwa Reinhard Kolke, der Leiter des ADAC-Technikzentrums Landsberg.
Bis der Betrug um manipulierte Abgaswerte bei VWs Dieselmodellen aufflog, reichte es, wenn die Hersteller Spritverbrauch und Schadstoffausstoß unter Laborbedingungen nachwiesen. Nun aber verschärft die Europäische Union die Rahmenbedingungen, unter denen Verbrauchs- und Abgaswerte von Neuwagen gemessen werden – und da kommen die Messkoffer ins Spiel.
Statt reiner Labormessungen werden Probefahrten auf Autobahnen, Landstraßen und in Städten Pflicht. Ab 2017 soll der neue Realismus in der Autoindustrie Einzug halten. Diesen Real Driving Emissions (RDE) genannten Abgastest haben die EU-Staaten Ende Oktober beschlossen. Dieselmotoren aber werden so künftig nicht nur genauer vermessen – sie dürften auch deutlich teurer und im Vergleich zu Benzin- und Elektromotoren unwirtschaftlich werden. Bis hoch zur Mittelklasse ist gar das Aus des für die deutsche Autobranche so wichtigen Dieselmotors denkbar.
Neue Tests treiben den Spritverbrauch
Der Einstieg in die realen Fahrtests bedeutet nicht nur einen radikalen Umbruch bei den Messkonzepten. Er ist vor allem eine Niederlage für die Autohersteller. Die hatten sich jahrelang gegen RDE-Tests gewehrt: Die Prüffahrten im Alltagsverkehr, monierten sie, lieferten kaum vergleichbare Werte, weil vielfältigste Einflüsse – von Staus bis zur Lufttemperatur – die Messungen beeinflussten. Vor allem aber liefern sie teils massiv höhere Verbrauchs- und Abgaswerte als bisher unter den klinischen Bedingungen der Prüfstände.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Das gilt nicht bloß für Fälle wie jene VW-Dieselmotoren, die Ende September bei der US-Umweltbehörde EPA durch softwaregesteuerte Tricksereien auffielen. Offenbar zählen dazu auch die jüngsten Schummeleien mit falschen CO2-Werten und damit zu niedrigen Verbrauchsangaben bei bis zu 800.000 Autos im VW-Konzern.
Schon vor zwei Jahren hatten Tests ergeben, dass besonders Dieselmotoren im Alltagsbetrieb bis zu 15 Mal mehr gesundheitsschädliche Stickoxide ausstoßen, als der Euro-6-Laborgrenzwert eigentlich vorsieht.
Mit derlei Diskrepanzen soll künftig Schluss sein. Ab 2017, so die EU-Beschlüsse von Ende Oktober, sollen neue Dieselautos beispielsweise nur noch maximal gut doppelt so viele Stickoxide beim Fahren ausstoßen dürfen, wie die geltende Euro-6-Norm bis jetzt auf dem Prüfstand erlaubt. 2020 sinkt dieser Wert auf 50 Prozent. Gegenwärtig ist es ein Vielfaches: Die Ingenieure von ADAC-Mann Kolke etwa haben bei realen Testfahrten regulärer VW-, BMW- und Mazda-Modelle für die baden-württembergischen und bayrischen Umweltbehörden bis zu achteinhalbfach erhöhte Schadstoffwerte gegenüber den Labortests ermittelt.
Teure Abgastechnik raubt dem Diesel seinen Preisvorteil
Die Folge der neuen Vorgaben sind für Autokäufer und -hersteller gleichermaßen tief greifend. Denn weil die erforderliche Technik zur Abgasreinigung die Dieselmotoren erheblich verteuert, wird sich nicht nur das Verhältnis von Benziner- zu Diesel-Pkws verschieben. Zugleich schrumpft der Kostennachteil von Elektromobilen deutlich. Und Pkws mit Hybridantrieb werden sogar schon bald preiswerter im Unterhalt als die bei europäischen Kunden so beliebten Dieselautos.
Das ist das Ergebnis einer Hochrechnung der Unternehmensberatung Accenture im Auftrag der WirtschaftsWoche. Das ökonomische Aus für den Diesel droht nicht bloß bei Kleinwagen, bei denen Dieselmotoren angesichts des Mehrpreises und der geringen Laufleistungen schon bisher kaum rentabel zu fahren waren. Die schärferen Grenzwerte und Messmethoden verteuern den Diesel selbst in größeren Fahrzeugen so massiv, dass der Selbstzünder auch in der beliebtesten deutschen Fahrzeugklasse, Kompaktwagen wie dem VW Golf, dem Opel Astra oder dem Ford Focus, kaum Überlebenschancen hat.
Die Accenture-Berechnungen zeigen, dass der Hybridantrieb über die gesamte Lebensdauer um fast 5000 Euro billiger ist, der Benziner um mehr als 3000 Euro. Sogar der reine Elektroantrieb wächst zum Konkurrenten des Diesel heran, weil er nur noch 1500 Euro teurer ist als der Diesel. Die vollständigen Ergebnisse der Berechnungen für die Golf-Klasse finden Sie hier.
Selbst in der Mittelklasse, also bei Modellen wie dem Ford Mondeo, dem VW Passat oder Opels Insignia, ist der Diesel stark gefährdet.
Und wenn stimmt, was die US-Umweltbehörde vermutet, der Volkswagen-Konzern aber vehement bestreitet, dass selbst große Drei-Liter-Diesel in einigen Audi- und Porsche-Modellen nur mit technischen Tricks die Prüfvorgaben einhalten konnten, droht sogar den Oberklassewagen noch ein erheblicher Kostenschub durch Reinigungstechnik.
Denn die neuen Abgastests bestehen Wagen mit Dieselantrieb nur, wenn die Hersteller aufwendigere und damit deutlich teurere Abgasreinigungsanlagen einbauen. Fachleute rechnen mit Mehrkosten von mindestens 1000 Euro pro Fahrzeug. Die neue Technik wiederum benötigt, um die gefährlichen Stickoxide mithilfe von Katalysatoren in unschädlichen Stickstoff und Wasser umzuwandeln, jede Menge Harnstoff – an der Tankstelle euphemistisch AdBlue genannt.
Je nach Anbieter kostet die ammoniakhaltige Flüssigkeit aktuell um drei Euro pro Liter, und entsprechend ausgerüstete Motoren benötigen je nach Fahrweise vier bis sechs Prozent des Dieselverbrauchs, um die Abgase zu entgiften. Doch nicht nur das treibt die Kosten. Auch der erforderliche Zusatztank sowie Dosier- und Einspritztechnik verteuern den Selbstzünder, und dazu kommt noch der für eine sauberere Verbrennung des Treibstoffs erforderliche Mehrverbrauch. Um rund ein Fünftel mehr Sprit könnte dann in den Zylindern verbrennen.
Schock für Schock
Und als reiche das nicht schon als Kostentreiber, will die EU-Kommission nicht nur RDE-Tests einführen. Zudem soll ein neuer alltagsnäherer Testablauf im Labor den bisherigen, für seine Realitätsferne gescholtenen Prüfzyklus ersetzen. Jedes neue Modell durchläuft damit künftig mindestens zwei Prüfverfahren, bevor die Hersteller es verkaufen können. Er kommt mit der nächsten Abgasnorm, Euro 6c, die ab September 2017 für alle neuen Automodelle und ab 2019 auch für Neuzulassungen älterer, bereits genehmigter Fahrzeugtypen gilt. Weil die Wagen dabei schneller und länger fahren, rechnet etwa der Verband der Automobilindustrie (VDA) damit, dass die neue Messmethode den offiziellen Verbrauchswert nochmals um bis zu 20 Prozent hebt.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Entsprechend harsch fallen die Reaktionen auf die jüngsten Beschlüsse etwa bei Matthias Wissmann aus. Der VDA-Präsident, der vehement für eine deutlich größere Spanne zwischen Labor- und Realverbrauch geworben hatte, spricht von „großen technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen für Hersteller und Zulieferer“. Jürgen Resch hingegen, Chef der Deutschen Umwelthilfe und derzeit schärfster Widersacher der Automobilindustrie, beklagt, dass Brüssel auch künftig einen vier Mal so hohen Stickoxidausstoß erlaubt wie die USA. Volker Noeske, Leiter des Dekra Automobil Test-Centers im brandenburgischen Klettwitz, trifft vermutlich die Mitte: Er hält die Grenzwerte für „sportlich, aber gangbar: Es hätte für die Autobauer schlimmer kommen können.“
Entwarnung für Audi, BMW und Daimler
So tief greifend die neuen Regelungen die Autobranche verändern werden – die verschiedenen Hersteller werden sie ganz unterschiedlich treffen. Zumindest die deutschen Premiumanbieter etwa scheinen trotz hoher Dieselverkäufe vergleichsweise glimpflich davonzukommen „BMW, Audi, Mercedes-Benz treffen die zusätzlichen Kosten kaum. Deren Margen sind so hoch, dass ein paar Hundert Euro mehr nicht ins Gewicht fallen“, sagt Greg Archer von der nicht staatlichen Umweltorganisation Transport & Environment mit Sitz in Brüssel. „Schwieriger wird es für die Hersteller mit preissensiblen Kunden und Modellen etwa in der Golf-Klasse.“
So könnte VW die "Dieselgate"-Kosten schultern
Der Abgas-Skandal kratzt nicht nur am Image des Volkswagen-Konzerns - er dürfte vor allem sehr teuer werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Kosten des Skandals und wie VW sie stemmen könnte.
Quelle: dpa
Darüber rätseln Beobachter derzeit. Bislang bekannt ist: Volkswagen hat 6,5 Milliarden Euro für Kosten aus dem Abgas-Skandal zurückgelegt. Das Geld ist aber wohl in erster Linie für eine technische Umrüstung der Autos mit Manipulations-Software bestimmt, wie Finanzchef Hans Dieter Pötsch laut dem Fachblatt „Automobilwoche“ kürzlich vor VW-Managern erklärte. Unklar ist, welche Strafzahlungen auf VW zukommen. Dazu dürften noch mindestens drei andere mögliche Kostenblöcke kommen: Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen, Anwaltskosten. Wie hoch diese Ausgaben sein werden, lässt sich derzeit nur grob schätzen. Die Landesbank Baden-Württemberg rechnet derzeit mit einem Schaden von 47 Milliarden Euro für den Konzern. Ein möglicher Imageverlust und damit verbunden ein Rückgang der Autoverkäufe ist dabei noch nicht eingerechnet. Allerdings werden die Kosten wohl nicht auf einmal anfallen, sondern sich über Jahre verteilen.
Vergleichsweise viel. VW hat sich in den vergangenen Jahren ein stattliches Kapitalpolster zugelegt. Zur Jahresmitte hatte der Konzern rund 18 Milliarden Euro Bargeld auf dem Konto. Das ist mehr als ganze Dax-Konzerne wie Adidas oder Lufthansa einzeln an der Börse wert sind. „Über den Daumen gepeilt kann VW davon die Hälfte verwenden, um mögliche Kosten zu begleichen“, sagt Nord-LB-Analyst Frank Schwope. Dazu kommen bei VW noch schnell veräußerbare Wertpapiere über 15 Milliarden Euro und Schätzungen zufolge mindestens 5 Milliarden Euro aus dem Verkauf der Beteiligungen am ehemaligen Partner Suzuki und an einer niederländischen Leasingfirma.
Das ist sehr unwahrscheinlich. VW könnte sich über Anleihen und Kredite Geld leihen, auch wenn einige Ratingagenturen ihre Bewertungen der Kreditwürdigkeit des Konzerns zuletzt angepasst hatten. Wenn es irgendwann hart auf hart käme, könnte Volkswagen immer noch sein Tafelsilber verkaufen. Am einfachsten ließen sich wohl die Luxusmarken Bentley, Bugatti und Lamborghini aus dem Konzern herausnehmen. Nord-LB-Analyst Schwope schätzt den möglichen Verkaufserlös für die drei Marken und den Motorradhersteller Ducati auf 5 bis 10 Milliarden Euro. Durch einen Verkauf der Lastwagenbauer MAN und Scania ließen sich nach seinen Berechnungen sogar 30 bis 35 Milliarden Euro erzielen. Das wertvollste Juwel in der Sammlung, den Sportwagenbauer Porsche, dürften die VW-Anteilseigner kaum abgeben wollen.
Nur begrenzt. Eine Kapitalerhöhung - also die Ausgabe neuer Aktien - ist bei VW nicht so leicht wie in anderen Konzernen. Damit die Familien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen als Anteilseigner ihre Macht im Konzern nicht verlieren, darf sich deren jeweiliger Anteil an den Stammaktien nicht stark verringern. Vor allem Niedersachsen dürfte aber derzeit kaum ein Interesse daran haben, weitere Stammaktien zu kaufen und Geld in den VW-Konzern zu stecken. VW könnte deshalb wohl höchstens neue Vorzugsaktien ausgeben, das sind Aktien ohne Stimmrecht auf der Hauptversammlung des Konzerns. Laut Aktiengesetz darf die Zahl dieser Vorzugsaktien die Zahl der Stammaktien allerdings nicht übersteigen. VW könnte deshalb höchstens rund 114 Millionen neue Aktien ausgeben und damit auf Basis derzeitiger Kurse rund 11 Milliarden Euro einsammeln.
In der Regel setzen Sparmaßnahmen bei großen Konzernen zuerst bei den Mitarbeitern an: Weniger Gehalt, Einstellungsstopps, bis hin zu Stellenstreichungen und Entlassungen. Bei Volkswagen wäre das allerdings nicht so einfach. Die Arbeitnehmervertreter haben in Wolfsburg deutlich mehr Macht als in anderen Konzernen. Einfacher wäre die Kürzung geplanter Investitionen. Hier hatte Volkswagen angepeilt, bis 2019 eine Summe von mehr als 100 Milliarden Euro in Standorte, Modelle und Technologien zu stecken. Laut Experte Schwope könnte VW hier den Rotstift ansetzen und so 2 Milliarden Euro jährlich sparen, vor allem bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Nur: Dann besteht die Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig - die Autoindustrie steht durch Digitalisierung und Elektroantriebe vor einem Umbruch.
Dazu kommt, dass Renault etwa Harnstoffkatalysatoren bisher nur in den Nutzfahrzeugen Trafic und Master einbaut, nicht aber in den in Deutschland meistverkauften Kompaktwagen Mégane und Scénic. Die Aufrüstung wird teuer.
Ford liefert die Hälfte seines Bestsellers, des Golf-Rivalen Focus, als Selbstzünder aus. Der US-Hersteller rechnet mit erheblichen Mehrkosten. Das ohnehin defizitäre Europageschäft – im dritten Quartal verlor Ford dort umgerechnet rund 166 Millionen Euro vor Steuern – würde durch schrumpfende Verkäufe beim Focus noch unattraktiver.
Bei Opel war 2014 jedes dritte in Europa verkaufte Fahrzeug ein Diesel. Unter der Haube steckt zwar bei allen Wagen bereits ein Harnstoffsystem. Trotzdem könnten zusätzliche Entwicklungskosten etwa für größere Harnstofftanks nötig werden.
Die PSA-Marken Peugeot und Citroën hingegen, die Hersteller mit dem höchsten Dieselanteil nach der deutschen Edelriege, bauen bereits seit 2013 selbst in kleinsten Motorisierungen Katalysator, Partikelfilter und eine Anlage zur Verringerung von Stickoxiden mit einer Harnstofflösung ein. „Eine Extrabelastung sehen wir nicht“, erklärt ein Sprecher des französischen PSA-Konzerns denn auch folgerichtig.
Ganz anders sieht das beim Volkswagen-Konzern aus, der die ebenso kurzfristige wie drastische Verschärfung der Abgasvorschriften durch seine Tricksereien beschleunigt hat. VW verkauft bisher gut 55 Prozent aller Fahrzeuge in Europa mit Dieselantrieb und würde durch höhere Preise unter Druck geraten.
Noch ist ungeklärt, welche unmittelbare Verantwortung der geschasste Vorstandschef Martin Winterkorn tatsächlich an Dieselgate trägt. Eine seiner noch vor Bekanntwerden des Skandals verkündete Entscheidung aber könnte sich für VW auszahlen. Bis 2020, so kündigte Winterkorn an, werde sein Unternehmen 20 neue reine Elektromodelle oder Wagen mit Hybridantrieb aus Verbrennungs- und Elektromotor auf den Markt bringen.
Trotz aller erforderlichen Sparmaßnahmen im Konzern, um Strafzahlungen, Rückrufmaßnahmen und Nachrüstkosten für die Schummeldiesel zu finanzieren – an Winterkorns E-Initiative wird in Wolfsburg niemand rütteln. „Inzwischen haben alle verstanden, dass Zögern bei diesem Thema ein Selbstmord aus Angst vor dem Tod wäre“, so ein VW-Manager.