Bildung und Forschung Von China lernen, heißt siegen lernen

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Diese zwiespältige Entwicklung erlebt Christopher Gruhn aus nächster Nähe. Gruhn ist Personalverantwortlicher des Automobilzulieferers ZF für den asiatischen Raum, vor einem halben Jahr hat der Konzern ein neues Entwicklungszentrum in Shanghai eröffnet. „Der Erfolgshunger asiatischer Mitarbeiter beeindruckt mich ständig aufs Neue“, sagt Gruhn. Zwar träten deutsche Mitarbeiter oft mit einem deutlich höheren Ausbildungsstand ins Unternehmen ein, die extrem hohe Lernbereitschaft führe jedoch dazu, dass chinesische Arbeitskräfte diesen Vorsprung schon nach kurzer Zeit aufgeholt hätten, so Gruhn. Doch oft werde diese Lernbereitschaft für Unternehmen zum Problem. „Weiterbildung wird vor allem als Steigerung des Wertes der eigenen Arbeitskraft betrachtet“, so Gruhn. Zusammen mit wachsendem nationalem Bewusstsein bedeutet das unter Umständen: Nachdem ein europäisches Unternehmen die Ausbildung besorgt hat, wechselt der Mitarbeiter zu einem einheimischen Konzern.

Geringere Chancengleichheit in Deutschland

Eine gewisse Verunsicherung ob des wachsenden Drucks im internationalen Bildungswettbewerb ist inzwischen offenbar auch in den Köpfen deutscher und amerikanischer Eltern und Politiker angekommen. Auf beiden Seiten des Atlantiks sorgten die Erziehungsratschläge der als „Tiger-Mum“ bekannt gewordenen chinesischen Yale-Professorin Amy Chua für Wirbel. Die Auseinandersetzungen nahmen dabei jedoch schnell die falsche Grundfrage ins Visier, wenn danach gesucht wurde, wie viel Disziplin man Schülern oder Kindern abverlangen dürfe. Denn diese ethisch-kulturelle Problematisierung missachtet die eigentliche Aufgabenstellung: Was ist zu tun, um den relativen Bildungsverfall endlich zu stoppen?

Der erste Schritt auf diesem Weg ist: Scheuklappen ablegen. Chuas zugespitzte Thesen über Drill als oberste Erziehungsmaxime wurden mit dem Verweis auf mangelnde Entfaltungsmöglichkeiten für kreative Geister abgetan, als Folge wurde auf die hohe Selbstmordrate in China verwiesen. Übersehen wird dabei beispielsweise, dass die deutsche Mit- und Wohlfühlerziehung nicht nur deutlich weniger Spitzenwissenschaftler, sondern auch ein geringeres Maß an Chancengleichheit hervorbringt als das chinesische Schulsystem.

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