Industrie 4.0 Gebt den Maschinen das Kommando

Maschinen, die Ersatzteile selbst ordern, einen Techniker bestellen, oder Roboter in anderen Fabriken um Hilfe bitten, wenn sie Engpässe allein nicht bewältigen können. Was heute schon das Zeug zur Industrie 4.0-Technologie hat.

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Wo die Vernetzung die Welt erobert
Mini-Computer erobern die WeltWenn es nach dem Willen der Telekomkonzerne geht, wird es in absehbarer Zukunft nur einen Schlüssel für unser modernes Leben geben: das Smartphone und oder das Tablet. Die Mini-Computer für die Akten- oder Westentasche erfreuen sich immer größerer Popularität - vier von fünf Kunden entscheiden sich derzeit beim Kauf eines neuen Handys für die internetfähige Variante, im abgelaufenen Jahr gingen allein in Deutschland über 20 Millionen Stück über den Ladentisch. Quelle: dapd
Die massenhafte Verbreitung ermöglicht ganz neue Geschäftsbereiche: Künftig sollen etwa Mietwagenkunden mithilfe von Smartphones den Weg zu ihrem Fahrzeug finden und dieses damit öffnen. Auch beim Bezahlen an der Supermarktkasse und beim Öffnen der Haustür (wie etwa bei Sharekey) sollen zunehmend mobile Computer zum Einsatz kommen. Textdokumente, aber auch Musik und private Fotos werden in externen Rechenzentren (Cloud) abgelegt und können dort mittels stationierter Software bearbeitet und jederzeit von jedem Ort abgerufen werden. Quelle: Presse
Um die technischen Voraussetzungen zu schaffen, investieren Telekom & Co. derzeit Milliarden in den Ausbau der Cloud und der mobilen Breitbandnetze. Schließlich müssen die explosionsartig wachsenden Datenmengen transportiert werden. Die Bedrohung dieser schönen neuen Welt kommt aus dem Netz selbst: Ein Hackerangriff gilt als Horrorszenario. Quelle: dpa
Am Puls des Baggers Mit der Kraft mehrerer Hundert PS wühlt sich der riesige Schaufelbagger durch das Gelände des Tagebaubergwerks irgendwo in Südamerika. Tonnen von Geröll werden stündlich bewegt - Schwerstarbeit für die Maschine. Während der Bagger Lkw um Lkw belädt, funken Sensoren Dutzende Messdaten über Öl- und Wasserdruck, Motorleistung und Verbrauch in ein über tausend Kilometer entfernt gelegenes Rechenzentrum. Quelle: REUTERS
Dort werden die Daten gesammelt, aufbereitet, mit anderen Leistungskennziffern abgeglichen und an den Hersteller des Baggers weitergeleitet. Der kann nun rechtzeitig erkennen, wann es wieder Zeit ist für eine Wartung oder wann ein Verschleißteil ausgewechselt werden muss. Der Servicetechniker vor Ort wird rechtzeitig in Marsch gesetzt, notfalls gleich mit dem passenden Ersatzteil. Das spart Zeit und Kosten, weil das schwere Gerät nur für kurze Zeit unproduktiv im Gelände steht. Quelle: obs
Die Fernüberwachung von Maschinen, Transportunternehmen und Gütern ist unter anderem für den britischen Mobilfunkanbieter Vodafone Teil der Strategie bei der Maschinenkommunikation. Ähnlich wie beim vernetzten Auto wird für die Einsätze ein speziell für die M2M-Kommunikation entwickelter Chip eingesetzt. Er ist kleiner als die, die in jedem üblichen Mobilfunkgerät stecken, aber deutlich robuster: Der SIM-Chip entspricht Industrieanforderungen, ist fest verlötet, korrosionsbeständig, verfügt über eine längere Lebensdauer und übersteht auch hohe Temperaturschwankungen. Er funktioniert auf vielen Netzen weltweit und wird daher auch für die Überwachung von Containern eingesetzt, die rund um den Globus schippern. Quelle: dpa
Das vernetzte Heim Die Vision hat was Bestechendes: Bequem vom Sofa aus öffnet der Hausbesitzer mit Hilfe eines kleinen Flachbildschirms das Fenster im Kinderzimmer, stellt die Heizung auf moderate 22 Grad und kontrolliert, ob der Herd wirklich ausgeschaltet ist. All das und viel mehr ist heute schon möglich - und doch funktioniert diese moderne Welt des vernetzten Heims nur in Ausnahmefällen. Quelle: dapd

Wenn Klaus Bauer von seiner Vision einer Fabrik in der Industrie 4.0 spricht, gerät er ins Schwärmen. "Wann sie Realität wird, weiß ich nicht, aber ich bin mir sicher, dass wir für die Probleme, die wir heute noch haben, Lösungen finden werden. "Wenn," schränkt er ein, "der Nutzen, den wir daraus ziehen nur groß genug ist."

Dass dieser Nutzen immens sein wird, daran hat der Leiter der Entwicklung Basistechnologie beim schwäbischen Maschinenbauer Trumpf, keinen Zweifel. Doch worin soll der Mehrwert liegen? Die Grundidee von Industrie 4.0: Maschinen sollen via Internet Informationen untereinander austauschen, so die Arbeit besser koordinieren, effizienter und flexibler arbeiten und damit weniger Ressourcen verbrauchen. Die Kosten sinken, so dass die Produktivität steigt.

Die deutsche Akademie der Technikwissenschaften "ac atech" schätzt, dass Unternehmen mittels Industrie 4.0 ihre Produktivität um 30 Prozent steigern können. Wie realistisch diese Werte sind, kann heute noch niemand sagen.

Stufen der industriellen Entwicklung

Intelligente Linsen - Fernwartung per Cloud

Auch Bauer tut sich schwer, den Nutzen der ersten Trumpf-Produkte, die ein Hauch von Industrie 4.0 umweht, in Zahlen auszudrücken. Die Schwaben haben nämlich eine erste "intelligente" Maschine im Einsatz. Die Linsen in ihren Laserschneidemaschinen zur Blechbearbeitung tragen seit neuestem einen RFID-Chip. Die schlaue Linse meldet der Zustandsüberwachungssensorik, wann sie schmutzig ist und sauber gemacht werden muss. Unnötige Reinigungen entfallen, die Verfügbarkeit der Maschine steigt, die Kosten sinken. Beziffern lässt sich der Gewinn dieser Technologie noch nicht. Dafür sind die Linsen noch nicht lange genug im Einsatz.

Das zweite 4.0-Projekt der Schwaben ist das cloudbasierte Telepräsenzportal. Über diesen Internetdienst kann eine Maschine in China Kontakt mit einem Experten bei Trumpf in Ditzingen aufnehmen. Der kann aus der Ferne des Status der Maschine einsehen und sogar in den Produktionsprozesse eingreifen. "Mehrere tausend Maschinen sind heute über diese Plattform mit Trumpf intelligent vernetzt", freut sich Bauer. Hier gibt es auch Zahlen: Bereits 60 bis 70 Prozent der Probleme der Kunden werden schon online gelöst. Aber ist das schon Industrie 4.0? "Nein", sagt Bauer, "die Industrie-4.0-Maschine gibt es noch nicht. Was wir haben, sind einzelne erste Bausteine."

In der schönen neuen Welt sollen die Maschinen nämlich das Kommando übernehmen. Nicht der Mitarbeiter drückt den Knopf, damit die Maschine den Kontakt zum Hersteller aufnimmt. In der Ära 4.0 ist es die Maschine selbst - wenn sie es für nötig hält. "Sie könnte sich etwa Software-Updates oder passende Datensätze für ein bestimmtes Material, das sie zum ersten Mal bearbeitet von einem Datenmarktplatz herunterladen", zählt Visionär Bauer auf. Die Maschine könnte über einen Prepaid-Account verfügen, den der Besitzer von Zeit zu Zeit auflädt. Welche Daten oder Dienste die Maschine dafür kauft, bleibt ihr selbst überlassen. Bis zum Jahr 2020 so eine Schätzung von Branchenverbänden könnten bereits 50 Milliarden solch intelligenter Maschinen weltweit miteinander vernetzt sein.

Ist nicht Skepsis angebracht, vor einer Welt, in der eine Armada von Maschinen selbständig Entscheidungen trifft? "Was machen wir denn heute an den Börsen", entgegnet Bauer, "da entscheiden Computer in Millisekunden über Kauf oder Verkauf von Milliardenwerten. Auf deren Urteilsvermögen vertrauen wir schließlich auch."

Die intelligente Fabrik

Die

Kaum einer weiß so gut wie Bauer, vor welcher Herkulesaufgabe die deutsche IT-Branche, Elektrotechniker und den Maschinenbauern stehen. Sie müssen so eng wie nie zuvor zusammenarbeiten, soll Industrie 4.0 Realität werden. Im Zentrum der Idee der Industrie 4.0 steht das Konzept der "Smart Factory" - der intelligente Fabrik.

Was bedeutet Smart Factory?

"Intelligente" Maschinen - das klingt nach Robotern wie in Science-Fiction-Streifen iRobot oder Terminator. Nach Maschinen, die die Fähigkeit erlangt haben, Entscheidungen selbständig zu treffen. Doch das, was im menschlichen Gehirn in Millisekunden abläuft und sich aufgrund von Wissen, jahrelanger Erfahrung oder auch Intuition zu einem Gedanken und einer Entscheidung formt, ist im Reich der Maschinen das Ergebnis einer unfassbar großen Rechenaufgabe. Das vorerst größte Problem sind daher die unglaublichen Datenmengen, die die Maschinen verarbeiten müssen, damit sie entscheiden können, was zu tun ist.

Was heißt schon "große Datenmenge"?

Tausende Sensoren und Chips nehmen Messwerte auf, für tausende unterschiedlicher Teile. Denn auch das ist eine Vision von Industrie 4.0: Kleinserien oder sogar Einzelstücke werden in die Produktion eingebracht wie Massenware. Jedes Bauteil trägt einen Chip, der sagt, was aus ihm werden soll und zu welcher Maschine es dafür zuerst muss. All diese Informationen müssen in Echtzeit verarbeitet und bewertet werden, nur dann funktioniert das Konzert der Maschinen reibungslos. Stefan Heng, Autor der Studie "Industrie 4.0" von Deutsche Bank Research ist skeptisch: "Das stellt eine erhebliche Anforderung an die IT-Systeme dar." Das gesamte Konzept der Industrie 4.0 stehe und falle damit, ob man der Datenauswertung (Big Data) Herr werde. Bauer ist zuversichtlich. Die Frage müsse schließlich heißen: Was ist groß? "Vor zwanzig Jahren war ein Megabit riesig – heute passen zig Gigabyte auf ein Smartphone. Ich glaube, dass das, was wir heute als ‚große Datenmengen‘ bezeichnen, in wenigen Jahren Kinderkram ist.“

Eine Weltsprache für Maschinen

Das zweite große Problem: Alle Maschinen müssen dieselbe "Sprache" sprechen. Bosch-Rexroth arbeitet an einer solchen gemeinsamen Sprache für Maschinen. Gelingt es nicht, sich Industrie-weit auf eine oder zumindest wenige Standards zu einigen, könnte die komplette Vision der intelligenten Produktion in einem Turm-Bau-zu-Babel-Szenario verpuffen.

Rexroth liefert mit dem Softwareportfolio Open Core Engineering und dessen Schnittstellentechnologie Open Core Interface (OCI) einen ersten Ansatz um verschiedene Programmiersprachen zusammenzubringen. Ein Beispiel: Als Software für Messe- und Prüfmaschinen, die dafür sorgen, dass Bauteile auch genau den geforderten Belastungen standhalten, hat sich weltweit das Programm LabView durchgesetzt. Der einzige Nachteil bislang: Die Maschinenhersteller mussten zusätzlich zu LabView auch immer die Maschinensteuerung programmieren und die beiden Programme miteinander koordinieren. Dafür gibt es keine Standardschnittstellen. LabView- und SPS-Spezialisten mussten sich abstimmen, dann ihre jeweiligen Programme schreiben und sie abschließend darauf testen, ob sie auch wirklich Hand in Hand funktionieren.

Sicherheitsfragen noch weitgehend ungeklärt

"OCI hat die Arbeit der Programmierer erheblich vereinfacht", meint Lukas Wintjes, Geschäftsleiter Vertrieb und Branchenmanagement Fabrikautomation von Bosch Rexroth. "Ein Programmierer erstellt jetzt über LabView die Software für die Prüfgaben und die Bewegungsabläufe der Maschine ohne eine Zeile SPS-Code zu benötigen." Maschinenhersteller Kraus Automatisierungstechnik aus dem fränkischen Hassfurt nutzt OCI bereits. Mit gleicher Mannschaft kann das Unternehmen jetzt doppelt so viele Maschinen programmieren.

Mensch soll die Kontrolle behalten

Trumpf und Bosch-Rexroth bieten beide bereits Maschinenbedienung und Diagnose mittels iPad und Apps an. Ganz wie beim privaten Smartphone, soll der Bediener die Maschine mit einem Fingerwisch in Betrieb nehmen können. Trumpf-Manager Bauer: "Obwohl die Systeme komplexer werden, sollen die Mitarbeiter in der Fertigung das nicht merken. Wir wollen nicht nur Experten. Der Mensch soll dirigieren und entscheiden, sich aber nicht mit der Komplexität der Steuerung beschäftigen müssen." Vor zehn Jahren habe eine Maschine eine Steuerung gehabt, heute seien es zehn. Man solle aber nicht Ingenieur sein müssen, um die Maschine im Griff zu haben.

Bei allem Potenzial, das in "intelligenten" Maschinen steckt, der Mensch soll in der Vision von Industrie 4.0 immer noch das letzte Wort haben. "Trotzt ausgeklügelten Automatismen behält der Mensch jederzeit die Kontrolle über die Produktion", betont Bauer.

Ein wesentlicher Punkt, um die Kontrolle zu bewahren ist das Thema Sicherheit. Der intensive Datenaustausch, der mit Industrie 4.0-Anwendungen einhergeht, macht Unternehmen und Fabriken zum attraktiven Ziel für Hacker. Datendiebstahl oder Sabotage der Produktion - beides ist möglich. Hier gibt es noch keinerlei Standards. Ganz abgesehen davon, dass etwa in den USA völlig andere Datenschutzbestimmungen gelten als in der EU. Wie hier unterschiedliche Rechtsräume miteinander verschmelzen sollen ist eine weitere riesige Baustelle.

Bei allen Problemen und aller Skepsis: Deutsche Unternehmen setzen riesige Hoffnungen in das Konzept Industrie 4.0. In Arbeitskreisen wie dem der Bundesregierung und Plattformen der Branchenverbände VDMA, ZVEI und Bitkom wird diskutiert, getüftelt und an Standards gearbeitet. Denn eines ist klar: es gibt keine bessere Wiege für den Sprung in ein neues industrielles Zeitalter. Deutsche Unternehmen erwirtschaften ein Drittel der industriellen Wertschöpfung der gesamten EU, hier sitzen die Weltmarktführer im Mittelstand, hier brummt der Maschinenbau. "Industrie 4.0 kann allein im engen Austausch zwischen Elektrotechnik, Maschinenbau und IT vorankommen", meint Heng. Und dafür sind die Voraussetzungen nirgends so gut wie in Deutschland dem "Fabrikausrüster der Welt".

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