Philipp Humm ist im Moment des Triumphes normalerweise eher ein stiller Genießer. Gefühlsausbrüche sind dem neuen Europa-Chef von Vodafone fremd, meist huscht nur ein dezentes Schmunzeln über seine Mundwinkel. Wenn der 54-Jährige allerdings so viel Freude ausstrahlt wie am 13. Februar, dann muss es schon ein außergewöhnlich erfolgreicher Tag in seinem bewegten Managerleben sein.
Pünktlich um 10 Uhr steht Humm an diesem Mittwochmorgen im großen Ballsaal des Westin Grand Hotels in München genau dort, wo er schon immer hinwollte: ganz oben. Als neuer Aufsichtsratsvorsitzender von Vodafones neuer Festnetztochter Kabel Deutschland (KDG) fällt ihm die ehrenvolle Aufgabe zu, die Hauptversammlung zu leiten. Eigentlich geht es nur um einen formalen Akt. Der britische Mobilfunkriese bekommt die vollständige Kontrolle über seine jüngste Neuerwerbung, den für mehr als zehn Milliarden Euro geschluckten Konkurrenten Kabel Deutschland.
Aber Vodafones höchsten Repräsentanten in Europa geht es an diesem Tag um mehr: als starker Zampano wieder im Rampenlicht zu stehen und nach Jahren der Verbannung als Chef von T-Mobile in den USA ein Comeback auf der deutschen Telekommunikationsbühne zu feiern. Davon hat Humm jahrelang geträumt.
Dass ihm dies auf der Hauptversammlung mühelos gelingt, dafür sorgt schon die Sitzordnung. Abseits, an den äußersten rechten Rand der zweiten Sitzreihe gedrängt, verfolgt der neue Deutschland-Chef von Vodafone, Jens Schulte-Bockum, mit stoischem Gesichtsausdruck den Auftritt seines direkten Vorgesetzten. Gemeinsam traten die beiden am 1. Oktober 2012 ihre Chefposten an, doch seitdem hat sich das Machtgefüge verschoben. Humm, der intern den Spitznamen „Der kleine Gemeine“ trägt, will heute zeigen, wer das Sagen hat.
Aktuelle Geschäftsentwicklung von Vodafone Deutschland
Kalenderjahr 2012: 9,7 Mrd. Euro
Kalenderjahr 2013: 9,1 Mrd. Euro
Defizit: -6,4%
Quelle: Unternehmensangaben
Zahlen gerundet, Abweichungen möglich
Kalenderjahr 2012: 6,9Mrd. Euro
Kalenderjahr 2013: 6,5 Mrd. Euro
Defizit: -6,0%
Quelle: Unternehmensangaben
Zahlen gerundet, Abweichungen möglich
Kalenderjahr 2012: 33,9 Mio.
Kalenderjahr 2013: 32,3 Mio.
Defizit: -4,8%
Quelle: Unternehmensangaben
Zahlen gerundet, Abweichungen möglich
Kalenderjahr 2012: 3,2 Mio.
Kalenderjahr 2013: 3,0 Mio
Defizit: -7,2%
Quelle: Unternehmensangaben
Zahlen gerundet, Abweichungen möglich
1. Halbjahr 2012: 1,7 Mrd. Euro
1. Halbjahr 2013: 1,5 Mrd. Euro
Defizit: -12,6%
Quelle: Unternehmensangaben
Zahlen gerundet, Abweichungen möglich
Oktober 2012: 19%
Februar 2014: 12%
Defizit: -36,2%
Quelle: Unternehmensangaben
Zahlen gerundet, Abweichungen möglich
Kalenderjahr 2012: 29%
Kalenderjahr 2013: 12%
Defizit: -58,6%
Quelle: Yougov
Zahlen gerundet, Abweichungen möglich
Kalenderjahr 2012: 397 Punkte
Kalenderjahr 2013: 383 Punkte
Defizit: -3,5%
Netztest der Fachzeitschrift "Connect" (in Punkten von 500 möglichen)
Quelle: Unternehmensangaben
Zahlen gerundet, Abweichungen möglich
Eigentlich müssten die beiden Top-Manager eng zusammenrücken und eine Notgemeinschaft bilden. Offiziell beteuert der 47-jährige Schulte-Bockum bei jeder Gelegenheit, wie eng er sich mit der Zentrale in London abstimmt und wie gut die Zusammenarbeit mit Humm funktioniert. Doch der Druck auf den ehemaligen Unternehmensberater, der von McKinsey zu Vodafone gekommen war und zuvor die niederländische Vodafone-Tochter leitete, war noch nie so groß. Seitdem er an der Spitze steht, hängt der Haussegen im neuen Vodafone-Campus im Düsseldorfer Stadtteil Heerdt schief. Starker Chef, schlagkräftiges Managementteam, hoch motivierte Mitarbeiter und zufriedene Kunden – all die Tugenden, die die bis vor Kurzem so heile wie erfolgreiche Vodafone-Welt auszeichneten, gibt es nicht mehr.
Vodafone steckt in der schwersten Krise seit der Gründung der Deutschland-Tochter vor mehr als 20 Jahren. Ausgerechnet das Unternehmen, das seit der Übernahme des D2-Netzes von Mannesmann Mobilfunk wie kein anderes den Wettbewerb auf dem deutschen Telekommarkt belebt und als bisher einziger Konkurrent den Ex-Monopolisten mit dem besseren Netz, der cooleren Marke und dem kundenfreundlicheren Service vom Thron stoßen konnte, ist meilenweit von seiner Bestform entfernt. Das Netz läuft instabil, der Service ist überlastet, und viele Mitarbeiter sind derart demotiviert und frustriert, dass selbst treue Stammkunden zur Konkurrenz überlaufen oder nur durch heftige Preisnachlässe gehalten werden können (siehe Kurztexte).
Der Konzern wird gegen die Wand gefahren
Fast alle Planvorgaben der Konzernzentrale wurden deshalb verfehlt. Schulte-Bockum musste bei der Vorlage der jüngsten Quartalszahlen einen Rekordverlust von 1,6 Millionen Kunden gegenüber dem Vorjahr melden. In diesem Sog rutschten auch Umsatz und operativer Gewinn stark ab, erste Umsatzplanungen für das nächste Geschäftsjahr gehen von einem weiteren Minus von bis zu 500 Millionen Euro aus. Erstmals in seiner Geschichte sieht sich Vodafone gezwungen, ein „Freiwilligenprogramm“ aufzulegen: 600 vorwiegend ältere Mitarbeiter sollen gegen Zahlung einer Abfindung ausscheiden.
Dem Sparzwang fiel sogar die bei den Mitarbeitern so beliebte Weihnachtsfeier in Düsseldorf zum Opfer – ein Fehler, wie Schulte-Bockum heute einräumt. Denn wenige Tage später schauten die Mitarbeiter verständnislos nach London. Dort feuerte Vodafone zum Jahreswechsel als Hauptsponsor das erste multisensorische Feuerwerk über der Themse ab, das auch den Geruchssinn ansprechen sollte. Die Silvesterraketen hüllten die Stadt nicht nur in Lichterglanz, sondern auch in eine Erdbeer-Wolke. Umgerechnete zwei Millionen Euro soll das Spektakel gekostet haben.
Hinter den Kulissen in der neuen Düsseldorfer Schaltzentrale brodelt es nicht nur bei der Belegschaft. „Im Aufsichtsrat sind einige sehr laut geworden und haben gefordert, dass die Kundenverluste gestoppt werden müssen“, verrät ein Mitglied des Kontrollgremiums. Die Forderung an Schulte-Bockum: Der Rückstand zur Telekom darf nicht noch größer werden.
Hochrangige Manager äußern sich noch deutlicher. „Humm und Schulte-Bockum fahren das Unternehmen gegen die Wand“, schimpft einer, der schon viele stürmische Zeiten erlebt hat, aber jetzt mit großer Sorge auf den desolaten Zustand des Unternehmens blickt.
Auf den Fluren des Düsseldorfer Campus wird längst darüber spekuliert, wie lange Schulte-Bockum noch bleibt. „Sein Stuhl wackelt“, sagt ein langjähriger Mobilfunkmanager, der nicht genannt werden möchte. „Wenn es in den kommenden Monaten keine Trendwende gibt, ist Schulte-Bockum nicht mehr zu halten.“
In welche Fallen Deutschland-Chef Schulte-Bockum tappte
Einige gehen freiwillig, andere müssen gehen. Bis auf zwei Manager werden alle Top-Positionen neu besetzt
Den neuen Top-Managern fehlt der Stallgeruch. Die meisten kommen von außen, auch vom Erzrivalen Deutsche Telekom
Nur noch jeder Dritte vertraut den Entscheidungen der Führungsriege. Sparprogramme untergraben die Motivation
Die Mitarbeiter zeigen dem Top-Management bereits die rote Karte. Nur noch 27 Prozent der Beschäftigen vertrauen den Entscheidungen der obersten Führungsriege, 21 Prozentpunkte weniger als bei der letzten Mitarbeiterbefragung kurz nach Schulte-Bockums Amtsantritt vor einem Jahr. Lediglich die direkten Vorgesetzten bekommen weiterhin großen Zuspruch. Solch ein mieses Abstimmungsergebnis hat es noch nie für die Chefs auf der 18. Etage gegeben.
Was sind die Gründe für die plötzliche Revolte von Kunden und Mitarbeitern? Welche Stellschrauben in dem früher grandios laufenden Mobilfunkgeschäft hat das Top-Management falsch gedreht, damit es zu solch einem Absturz des einstigen Champions kommen konnte. Die WirtschaftsWoche warf einen Blick hinter die Kulissen, sprach mit Mitarbeitern, Führungskräften und Arbeitnehmervertretern. Die vielen Puzzlesteine ergeben das Bild eines zerrütteten Unternehmens, dessen Mitarbeiter der Geschäftsführung eine schnelle Kehrtwende kaum noch zutrauen.
Fehler eins: Fast alle Köpfe im Management rollen lassen
„Never change a winning team“ – die Grundregel für eine erfolgreiche Unternehmensführung gilt plötzlich nicht mehr.
So schnell ist noch kein Mobilfunkbetreiber in Deutschland so tief gefallen. Am 1. Oktober 2012, als Friedrich Joussen an die Spitze des Touristikkonzerns TUI wechselt und den Chefposten an Schulte-Bockum übergibt, steht Vodafone noch blendend da. Zum Abschied hat „Fritz“, wie Joussen liebevoll genannt wird, den ewigen Konkurrenten Deutsche Telekom mit glänzenden Zahlen düpiert. Bei wichtigen Kennziffern wie Umsatz, Kundenzahl und Kundenzufriedenheit hat sich Vodafone die Marktführerschaft zurückgeholt.
Wen man auch fragt, beinahe jeder geht davon aus, dass sich Schulte-Bockum in ein gemachtes Bett legt und diese Erfolgsstory nahtlos fortsetzt. „Das Haus ist bestellt und in bester Verfassung“ – mit diesen Worten übergibt Joussen den Chefsessel an seinen Nachfolger.
Was dann passiert, ist eine Rarität in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Ohne Not wird die bis dahin so starke, achtköpfige Geschäftsführung in kürzester Zeit zerschlagen: Humm und Schulte-Bockum tauschen fast die gesamte Top-Truppe aus.
Finanzchef Sebastian Ebel und Kommunikationschef Thomas Ellerbeck folgen Joussen zum Touristikkonzern TUI. Andere Vertraute des ehemaligen Chefs wie der für den Service zuständige Achim Weusthoff werden intern auf andere Positionen versetzt oder verlassen wie Technikchef Hartmut Kremling, Vertriebschef Erik Friemuth oder die für die Shops zuständige Susan Hennersdorf das Unternehmen ganz.
Für Vodafone ist das ein tiefer Einschnitt, der am Selbstbewusstsein kratzt. Die Deutschen setzten bisher stärker als andere Landesgesellschaften darauf, die Führungsmannschaft mit aufstrebenden Managern aus eigenen Reihen zu besetzen. Kontinuität mit wenigen Wechseln in der Geschäftsführung – unter den früheren Chefs Jürgen von Kuczkowski und Joussen als wichtiges Führungskriterium vorgelebt – spielt keine Rolle mehr. So deuten jedenfalls viele Manager den Kehraus in der alten Führungsriege.
Neue Mitglieder der deutschen Geschäftsführung wie Philip Lacor und Frank Krause kommen aus anderen Landesgesellschaften wie den Niederlanden und der Türkei und müssen sich erst noch mit den Eigenarten des deutschen Marktes vertraut machen. Oder sie werden bei Konkurrenten abgeworben wie Marcello Maggioni (vom Pay-TV-Sender Sky), Robert Hackl (von T-Mobile USA) und Eric Kuisch (vom niederländischen Ex-Monopolisten KPN). „Die Geschäftsführung ist plötzlich eine Durchgangsstation“, fürchtet ein Aufsichtsrat. „Wer Karriere im Vodafone-Konzern machen will, muss alle fünf Jahre zu einer anderen Landesgesellschaft wechseln.“
Wie Manager Unternehmen durch Fehlentscheidungen in die Krise steuerten
Die zweitgrößte deutsche Fluglinie hat sich mit zu vielen Zukäufen verhoben. Machte der Kauf der DBA 2006 noch Sinn, galt das für die LTU-Übernahme 2007 nicht mehr. Dort war Air-Berlin-Chef Joachim Hunold seinerzeit im Unfrieden weggegangen und wollte wohl zeigen, wie der Ferienflieger zu retten ist. Die Billigflieger von TUIfly zu mieten ging dann erst recht schief. Denn Hunold versäumte es, alle Einheiten zu einer Airline zu verschmelzen, und arbeitete weiter mit separaten Organisationen und Tarifverträgen. Ohne den Einstieg der Golf-Airline Etihad wären die Berliner wahrscheinlich pleite.
Der Pharma- und Chemiekonzern lebte jahrelang gut vom Verkauf des Magenmittels Pantoprazol. Konzernchef Nikolaus Schweickardt schaffte es jedoch nicht, ein ähnlich lukratives Nachfolgepräparat aufzubauen und vernachlässigte die Forschung. Nachdem eine Kooperation mit dem US-Pharmariesen Pfizer scheiterte, geriet der Dax-Konzern mit Sitz in Bad Homburg bei Frankfurt immer mehr in die Bredouille. Mehrheitseignerin Susanne Klatten verkaufte das Pharmageschäft 2007 an das dänische Unternehmen Nycomed, das einen Großteil der Stellen abbaute. Seit 2011 gehört Nycomed zu Takeda; die Japaner strichen bei Altana Pharma noch einmal 700 Jobs. Übrig ist nur noch das Chemiegeschäft.
Nur elf Monate, von Oktober 2010 bis September 2011, währte die Regentschaft des deutschen CEOs Léo Apotheker bei dem kalifornischen IT-Giganten. Doch die Zeit reichte für diverse Fehlentscheidungen. Apotheker peitschte den mit elf Milliarden Dollar weit überteuerten Kauf des britischen Softwareanbieters Autonomy durch. Nachfolgerin Meg Whitman musste fast die gesamte Summe abschreiben; inzwischen hat sich erwiesen, dass Autonomy seine Zahlen massiv geschönt hatte. Ebenfalls auf Apothekers Betreiben diskutierte HP Pläne zur Abspaltung des PC-Geschäfts. Diese sickerten an die Presse durch, worauf der Konzern eilig zurückruderte – und Apotheker seinen Hut nehmen musste. Der Aktienkurs hatte sich unter seiner Ägide halbiert.
Der Vorstand des Baumarktkonzerns aus Kirkel im Saarland setzte jahrelang nur auf eine einzige Strategie: Rabatte. Doch nach kurzer Zeit gewöhnten sich die Kunden an die werbewirksam vermarkteten „20 Prozent auf alles“-Aktionen und verschoben ihre regulären Einkäufe auf Rotstifttage. Das fraß Marge, die Verluste stiegen. Trotzdem steuerte das Management erst um, als es schon zu spät war. 2013 meldete Praktiker Insolvenz an.
Der damalige ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz entschied 2002 auf dem Höhepunkt der weltweiten Stahlkonjunktur, in Brasilien ein Stahlwerk zu bauen, 2005 kam die Investitionsentscheidung für ein Walzwerk in Alabama (USA) hinzu. Die Baukosten waren schlampig kalkuliert: Aus 3,5 wurden 12 Milliarden Euro. Dann stürzte der Weltstahlmarkt ab. Das Fehlinvestment trieb den Essener Konzern an den Rand des Ruins.
Zwischen 2005 und 2010 stand Olli-Pekka Kallasvuo an der Spitze des Handyriesen Nokia. Damit war Kallasvuo maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Finnen einen der wichtigsten Trends in der Mobilfunkindustrie verschliefen: den Trend weg von Tastatur-Handys hin zu Smartphones mit Berührungssteuerung am Display, wie es Apple mit dem iPhone seit 2007 vorgemacht hat. Das Ergebnis war ein Absturz, von dem sich der Konzern nie erholte: 2012 stürzte Nokia vom Thron des Handyweltmarktführers. Im September 2013 kaufte Microsoft Nokias Handysparte für 5,4 Milliarden Euro.
Für zusätzliche Irritationen in der Belegschaft sorgt, dass bei Schulte-Bockum keine klare Linie erkennbar ist. So wurden Friemuth und Hennersdorf wenige Monate vor ihrem Ausscheiden – als Zeichen der Kontinuität – sogar noch zu ordentlichen Geschäftsführern befördert.
Solche Manöver irritieren auch das mittlere Management. Viele schütteln nur noch frustriert mit dem Kopf und schalten auf Dienst nach Vorschrift zurück. Die bei Vodafone extrem stark ausgeprägte Bereitschaft, vollen Einsatz mit vielen Überstunden zu zeigen, ist kaum noch vorhanden. Viele sind verbittert. Wer – wie der Autor – Mitarbeiter und Manager anruft und um Interna bittet, bekommt bereitwillig alle noch so vertraulichen Fakten auf den Tisch.
Früher standen dieselben Mitarbeiter geschlossen hinter Vodafone und beschimpften jeden Anrufer als „Nestbeschmutzer“. Heute sind solche Indiskretionen Teil des Intrigenspiels über Bande. Denn die meisten sind überzeugt, dass diese Geschäftsführung und erst recht nicht Schulte-Bockum das Ruder herumreißen und Vodafone aus der Krise führen kann.
Fehler zwei: Zu viel Einfluss der Konzernzentrale
„Think global, act local“ – Vodafone baute wie kein anderer Mobilfunkkonzern eine Weltmarke auf, bewahrte aber die nationalen Eigenarten. Dieses Erfolgsrezept gilt plötzlich nicht mehr.
Bisher strotzte die Deutschland-Tochter nur so vor Kraft. Von Kuczkowski und Joussen steuerten den Mobilfunkbetreiber so autonom, dass die Konzernzentrale in London kaum hineinregieren konnte. Der Erfolg gab ihnen recht: Beide Deutschland-Chefs schafften es, T-Mobile zumindest zeitweise zu überholen.
Doch diese Wagenburg-Zeiten sind vorbei. Immer stärker regiert die „Group“, wie die Konzernzentrale intern genannt wird, in den vor gut einem Jahr bezogenen und weit über Düsseldorf hinaus sichtbaren Vodafone-Campus hinein. Das Hochhaus mit seinen 18 Stockwerken sollte eigentlich zum Symbol für Angriffslust und Marktmacht werden. 5000 der gut 10.500 Vodafone-Mitarbeiter in Deutschland arbeiten hier.
Wer in diesen Tagen durch offene Teamräume ohne fest zugeordnete Arbeitsplätze streift, bekommt einen Satz immer wieder zu hören: „Das wird noch mit der Group heftig diskutiert.“ Bei fast allen Entscheidungsprozessen mischt sich London ein.
Das umständliche Abstimmungsprozedere zerrt am Nervenkostüm und untergräbt das Selbstbewusstsein der bisher so autonom agierenden Deutschen – vor allem, wenn die dafür Verantwortlichen vom Erzrivalen Telekom kommen. „Wir werden an der kurzen Leine stranguliert“, schimpft ein Mitarbeiter.
Denn Humm, der zwischen 2005 und 2008 Deutschland-Chef von T-Mobile war, füllt seine Rolle als Europa-Chef von Vodafone stärker aus als seine Vorgänger und greift aktiv ins operative Geschäft ein. Sein enger Vertrauter Karsten Pradel, der 2013 ebenfalls von der Telekom kam, wird noch öfter als Humm im Düsseldorfer Campus gesichtet. Er leitete sogar eine der vielen Projektgruppen, die nach Auswegen aus der Krise suchen. Auch dem Aufsichtsrat von Kabel Deutschland gehört er an.
In welche Fallen Europa-Chef Humm tappte
Greift als Europa-Chef stärker als seine Vorgänger ins operative Geschäft ein
Demonstriert bei öffentlichen Auftritten Deutschland-Chef Schulte-Bockum, wer das Sagen hat
Humm und Pradel trieben schon bei der Telekom „die Organisation gemeinsam in den Wahnsinn“, berichtet ein Telekom-Manager, der nicht genannt werden will. Offiziell war Pradel von 2006 bis 2008 Strategiechef von Humm bei T-Mobile. Doch de facto war er dessen persönlicher Assistent. Zu seinen besonderen Aufgaben gehörte es, all die von Humm im Zwei-Wochen-Takt auf dem Reißbrett entworfenen Konzepte in Bereichsleitungen und Vertriebsabteilungen zu tragen. „Die alten Konzepte waren noch nicht umgesetzt, da lagen die nächsten auch schon auf Tisch“, erinnert sich der Telekom-Manager mit Grausen.
In der Vorstandsriege bei den damals für das Mobilfunkgeschäft verantwortlichen René Obermann und Timotheus Höttges kam Humms Hyperaktivität gut an. Doch am Ende sprang dabei selten etwas heraus.
Im Gegenteil: Das von Humm maßgeblich mit aufgebaute pyramidenartige Vertriebssystem mit vielen externen Partnern und noch mehr Subunternehmern schuf so viele unkontrollierte Zugänge zu internen Kundendatenbanken, dass sich auch Kriminelle einloggten. Sie konnten ungehindert die dort hinterlegten persönlichen Daten von Millionen Kunden herausziehen.
Fehler drei: Wichtige Technik vernachlässigen
Wer als Premiumanbieter Erfolge auf dem deutschen Mobilfunkmarkt feiern will, braucht eigentlich nur zwei Dinge: ein starkes Netz und einen freundlichen Kundenservice. Dann akzeptieren viele Kunden auch höhere Preise. Vodafone hat eins dieser Versprechen – die hohe Netzqualität – leichtfertig aufs Spiel gesetzt und bekommt jetzt die Quittung.
Der Qualitätseinbruch im Vodafone-Netz hängt eng mit einer Fehlentscheidung zusammen, die Konzernchef Vittorio Colao zu verantworten hat. Bereits im Herbst 2010, kurz vor dem Börsengang von Kabel Deutschland, hatte Joussen die Übernahme der größten deutschen Kabel-TV-Gesellschaft unterschriftsreif ausgehandelt. Für fünf Milliarden Euro hätte sich Vodafone Kabel Deutschland damals einverleiben können.
Doch Colao machte in letzter Sekunde einen Rückzieher. Er konnte seine Aufsichtsräte nicht überzeugen, wie wichtig solch ein Deal zum Aufbau einer eigenen superschnellen Internet-Infrastruktur ist. Erst beim zweiten Anlauf, im Sommer 2013, gab es grünes Licht. Eine späte Einsicht: Da hatte sich der Wert von Kabel Deutschland auf mehr als zehn Milliarden Euro inklusive Schulden verdoppelt.
Welche weitreichenden Konsequenzen das Scheitern des ersten Übernahmeversuchs hatte, zeigt sich heute. Denn danach entschied Vodafone, das gesamte Investitionsbudget von rund einer Milliarde Euro in den möglichst schnellen Ausbau eines superschnellen Mobilfunknetzes zu stecken. Das schnellere LTE-Netz (Long Term Evolution) mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 150 Megabit pro Sekunde sollte als Alternative zum herkömmlichen DSL-Anschluss vermarktet werden.
Eine Überreaktion, wie sich heute zeigt. Vodafone besitzt zwar jetzt ein gut ausgebautes LTE-Netz, das rund 70 Prozent der Bevölkerung erreicht. Doch der Wettlauf um den schnellsten LTE-Rollout zahlt sich bisher für das Unternehmen nicht aus. Der Grund: Das auf eine Milliarde Euro begrenzte Investitionsbudget für Deutschland reichte nicht aus, um zugleich auch die viel älteren Handynetze mit GSM- und UMTS-Standard zu modernisieren. „Joussen wollte beim LTE-Ausbau unbedingt die Nummer eins sein“, heißt es aus Schulte-Bockums Umfeld, somit habe auch Joussen einen Teil der Misere mit zu verantworten.
Die Quittung bekommen die Vodafone-Kunden. Die alten GSM- und UMTS-Netze sind so überlastet, dass die Beschwerden über Gesprächsabbrüche in die Höhe schnellen. Inzwischen sieht auch Colao ein, dass dies ein Fehler war. Vier Milliarden Euro darf Schulte-Bockum bis Ende 2015 in die Netzmodernisierung stecken, um alle Engpässe zu beseitigen.
Doch auch dies hat seine Tücken: Damit die Techniker die 23.000 im ganzen Land verstreuten Funkstationen umrüsten können, müssen die Anlagen für ein paar Stunden vom Netz. Wenn technische Probleme auftreten, kann solch ein Umbau auch schon mal zwei Tage dauern. Bei dem dann klaffenden Funkloch wäre ein Beschwerdesturm sicher.
Schulte-Bockum ist aber zuversichtlich, dass seine Mannschaft den Netzumbau meistert: In zwei Jahren werde das Vodafone-Netz wieder Top-Qualität liefern, prophezeit er. Dann werde Vodafone wieder „auf Augenhöhe“ mit der Deutschen Telekom um die Marktführerschaft im Mobilfunk kämpfen.
Dass er dann noch als Deutschland-Chef an Bord ist, glauben allerdings die wenigsten im Düsseldorfer Campus. „Schulte-Bockum wird noch die erforderlichen Aufräumarbeiten einleiten“, prophezeit ein Manager. „Die Erfolge wird sich dann ein Nachfolger an sein Revers heften.“