Chemie Klimakiller für den Hausgebrauch

Kohlendioxid schadet dem Klima. Doch mithilfe innovativer Technologien wird das Gas zu Schaumstoff, Benzin und sogar DVDs.

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Niederaußem Quelle: dpa

Ohne den Kunststoff Polyurethan wäre unser Alltag nur halb so komfortabel. Denn PU, wie Chemiker das Material abkürzen, ist nicht nur Grundlage für Armaturen-bretter und Lenkräder, sondern auch für Schaumstoffmatratzen, Sofas und Sessel. Je nach Zusammensetzung ist der Stoff weich wie ein Schwamm oder stabil wie die Armstützen im ICE. Eines aber gilt für alle PU-Materialien: Sie werden aus Erdöl hergestellt – bisher.

Seit Kurzem betreibt der Chemiekonzern Bayer in Leverkusen eine Pilotanlage für die PU-Produktion, in der ein Teil des Erdöls durch Kohlendioxid (CO2) ersetzt wird. Das klimaschädliche Gas wird aus den Rauchgasen des Kohlekraftwerks Niederaußem bei Köln herausgewaschen, verflüssigt und nach Leverkusen transportiert. Dort wird es dann zu Schaumstoff weiterverarbeitet. Bis 2015 will Bayer hier eine Großanlage zur Herstellung von PU-Schaum in Betrieb nehmen und größere Mengen Klimagas in Kunststoff verwandeln.

Unerschöpfliche Quelle

Während die einen noch streiten, ob man das klimaschädliche CO2 unterirdisch lagern soll, verwendet eine wachsende Zahl von Unternehmen das Gas als Rohstoff. Aus CO2 besteht zum Beispiel Trockeneis zum Kühlen. In Kügelchenform wird es zum reinigenden Beschuss verschmutzter Oberflächen genutzt, und im Theater erzeugt es Bodennebel. Auch Harnstoff, Vorprodukt von nahezu allen Düngemitteln, basiert auf CO2, und selbst in Treibhäusern ist das Klimagas willkommen: Es beschleunigt das Wachstum von Gurken, Radieschen und Eisbergsalat. Bislang verbrennen Bauern dafür Erdgas.

Noch aber wird weltweit nicht einmal eine Milliarde Tonnen CO2 im Jahr verwertet – weniger als fünf Prozent der von Menschen verursachten Emissionen. Basierend auf heutigen Technologien, sind zusätzlich zum aktuellen Verbrauch rund 180 Millionen Tonnen pro Jahr als Chemierohstoff nutzbar, schätzt die Frankfurter Dechema Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie.

Leistungsfähige Katalysatoren sind der Schlüssel

Langfristig, glaubt Georg Menges, emeritierter Professor am Institut für Kunststoffverarbeitung an der RWTH Aachen, kann Kohlendioxid aber eine nahezu unerschöpfliche Quelle für Kohlenstoff werden – als Ersatz für Kohle, Erdöl und Erdgas. Und Deutschland ist bei dieser Entwicklung führend.

Den Leverkusener CO2-Schaumstoff machte die Forschungsarbeit des Catalytic Center in Aachen möglich, das gemeinsam von der RWTH und Bayer betrieben wird. Das Forschungszentrum hat einen Katalysator entwickelt, der das reaktionsträge Kohlendioxid ohne Einsatz größerer Energiemengen dazu bringt, sich mit anderen Molekülen zu verbinden, sodass neue Wertstoffe entstehen. Leistungsfähige Katalysatoren sind daher der Schlüssel, um CO2 als Chemierohstoff und Energielieferant zu nutzen.

Damit beschäftigen sich fast alle Chemiekonzerne. Viele versuchen, Basischemikalien wie Synthesegas, Methanol, Ameisensäure und Bernsteinsäure aus CO2 herzustellen. Aus denen lassen sich dann Kunststoffe, Düngemittel und die meisten anderen Endprodukte der Chemieindustrie herstellen. Gefördert vom Bundesforschungsministerium, arbeiten neben Bayer beispielsweise RWE und Siemens an Techniken, um unregelmäßig anfallenden, überschüssigen Strom etwa aus Windkraftanlagen zur Wasserstoffherstellung zu nutzen. Vermischt mit CO2, stellen sie daraus den Chemierohstoff Synthesegas her.

Der Ludwigshafener Chemieriese BASF und Forscher der Technischen Universität München gehen einen anderen Weg. Sie setzen auf die direkte Produktion des Kunststoffs Polycarbonat, aus dem anschließend etwa CDs und DVDs mit Musik und Filmen gepresst werden.

Schwamm für Klimagas

Während Kraftwerkhersteller und -betreiber darauf setzen, CO2 aus Abgasen abzuzweigen, schwört Climeworks, ein Ableger der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, auf die dezentrale -Gewinnung, etwa in Raffinerien, in denen es weiterverarbeitet werden kann. Dort stünde das Klimagas ständig zur Verfügung, während es in Kraftwerken nur entsteht, wenn sie laufen.

Zur Gewinnung von CO2 erhitzen die Schweizer Luft mit Solarenergie auf bis zu 100 Grad Celsius und leiten sie in einen Reaktor. Darin befindet sich ein Material, das Kohlendioxid aufsaugt wie ein Schwamm. Ist der Schwamm voll, wird er gewissermaßen ausgedrückt, sodass das CO2 frei wird und in Wertstoffe umgewandelt werden kann.

Coal & Water to liquid Fuel

Das ginge beispielsweise mit einem Verfahren namens Coal & Water to liquid Fuel, das Experten des Katalysatorherstellers Emitec in Lohmar entwickelt haben. Aus CO2 und Wasserstoff entsteht mithilfe eines handelsüblichen Katalysators Methan, das in einem zweiten Schritt in Benzin umgewandelt wird. Den Literpreis hat Emitec-Chef Wolfgang Maus mit 61 Cent errechnet, rund 20 Cent mehr als der heutige Abgabepreis von Raffinerien. Da dieser Sprit CO2-frei hergestellt wird, hält Maus den Mehrpreis für gerechtfertigt. Würde das gesamte Kraftwerks-CO2 in Deutschland genutzt, könnten 70 Prozent des Benzinbedarfs gedeckt werden, so Maus.

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