Die beste Fabrik Effizienz-Revolution in deutschen Fabriken

Mit einer Effizienz-Revolution parieren Deutschlands beste Fabriken den Angriff der Billiglohn-Konkurrenten. Eine Exklusivstudie zeigt, wie sehr sich die Industrie wandelt.

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1. Platz Roto; Vorstand Rosenkranz (Mitte), Siegerteam: Mit neuen Produkten auf der Überholspur Quelle: Oliver Rüther für WirtschaftsWoche

Ausgerechnet rote Karten. Im Bad Mergentheimer Werk des Dachfensterherstellers Roto bei Würzburg ist der Schrecken eines jeden Fußballers ein Ausdruck von Souveränität und Offensivgeist: Mit den roten Karten signalisieren die Beschäftigten in der Entwicklung, dass sie Unterstützung brauchen, etwa bei der Konstruktion eines neuen Fenstertyps. „Es hilft ja nichts, Probleme zu verstecken. Wir wollen sie so schnell wie möglich lösen“, nennt Geschäftsführer Hannes Katzschner ein Grundprinzip des mittelständischen Unternehmens.

Eine andere Maxime ist, jeden Winkel des Werks täglich nach Verbesserungsmöglichkeiten zu durchleuchten. Hier wird ein Arbeitsschritt eingespart, dort ein billigerer Glasreiniger eingesetzt. Die unzähligen Initiativen schaffen Spielraum für Investitionen. Während andere Firmen Tausende Mitarbeiter entließen, konnten die Bad Mergentheimer ihren Umsatz mitten in der Wirtschaftskrise 2009 um mehr als fünf Prozent steigern.

Erfolgreich gegen Attacken von Billiglohn-Anbietern wehren

Mitdenken, Schwachstellen erkennen, Ideen entwickeln. Das verlangt Roto-Vorstand Erich Rosenkranz von jedem Mitarbeiter, egal, ob Manager oder Mechaniker. „Nur dann entsteht das notwendige Veränderungstempo.“ Nichts fürchtet Rosenkranz mehr als Mittelmaß. „Das ist die Todeszone. Unser Anspruch ist, besser als alle anderen zu sein.“

Bewertung Roto

Das spornt die Mannschaft an: Mehr als 1300 Vorschläge haben die Kollegen 2009 eingereicht, gut 500 mehr als noch 2005. Der Enthusiasmus, mit dem die fränkischen Dachfensterbauer die Maxime leben, hat auch die Juroren der Managementschulen Insead in Fontainebleau und der WHU-Otto Beisheim School of Management in Vallendar überzeugt. Im WirtschaftsWoche-Wettbewerb „Die Beste Fabrik“ kürten sie Roto unter sieben Finalisten zum deutschen Gesamtsieger. Der Wettbewerb, der zeitgleich in Frankreich und Spanien ausgetragen wird, ist Europas anspruchsvollster Leistungsvergleich für produzierende Betriebe.

In den Augen der Fabrikexperten steht das Siegerwerk zudem beispielhaft für eine Generation von deutschen Produktionsstätten, die sich erfolgreich gegen die Attacken der Billiglohn-Anbieter aus Osteuropa und Asien wehren. „Die Abwanderung von Fabriken nach Rumänien oder China ist kein unabänderliches Schicksal“, sagt WHU-Professor Arnd Huchzermeier. „Mit dem richtigen Vorgehen gewinnt der Standort sogar neue Stärke.“

Im Klartext: Die deutsche Industrie erlebt eine Effizienz-Revolution, die nahezu jeden Winkel erfasst: von neuen, intelligenten Arbeitsformen, in dem die Werker nicht mehr bloße Handlanger sind, sondern die komplette Verantwortung für ein Produkt tragen, über ressourcenschonende Verfahren bis hin zum Einsatz neuester Technologien. Eine schlanke Produktion ohne Lager, für die Material in passender Menge direkt an der Montagelinie bereitgestellt wird, reicht nicht mehr zur Weltklasse. „Das ist Pflicht, um überhaupt mitzuhalten“, sagt Huchzermeier. „Zur Kür gehört heute weit mehr.“

Das wichtigste Element dabei ist eine klare Wachstumsstrategie. Roto hat sie. Um den schier übermächtigen Platzhirschen und Fensterspezialisten Velux anzugreifen, der den deutschen Markt zu 75 Prozent beherrscht, setzen die Franken ganz auf Premiumprodukte. Das Unternehmen verkauft seine Fenster nur über den Fachhandel und nicht mehr im Baumarkt, sagt Vorstand Rosenkranz: „Zehn Prozent auf alles außer Tiernahrung – das ist nicht mehr unsere Welt.“

Grafik: Produktivitätshebel in der Zukunft

Stattdessen bauen sie jetzt als einziger Hersteller auch maßgefertigte Dachfenster und liefern sie innerhalb von acht Tagen. Der Dachdecker erhält die Fenster mit vormontiertem Wärmedämmrahmen und kann sie so zügiger einbauen. Und zu den Dachfenstern kann auch ein Sonnenkollektor oder eine Fotovoltaikanlage aus Roto-Produktion bestellt werden. Das neue Geschäftsfeld, da ist Rosenkranz zuversichtlich, werde für rege Nachfrage sorgen: Der Umsatz mit der Solartechnik soll in fünf Jahren von 40 auf 200 Millionen Euro steigen.

„Erst die vielen parallelen Innovationen und Aktionen erzeugen jene Dynamik, die in kräftige Produktivitätsgewinne und Umsatzsprünge mündet“, lobt Insead-Juror Christoph Loch. Der Lohn: Bestnoten für die Franken in fast allen Kategorien, die über die Güte einer Fabrik entscheiden – vom Geschäftsmodell über die strategische Umsetzung bis hin zur engen Einbindung von Kunden und Beschäftigten.

Produktionskompetenz ist kein Hemmschuh

Die gleiche breit gefächerte Exzellenz fand die Jury auch bei den anderen diesjährigen Preisträgern: dem Industriekran-Hersteller Demag Cranes & Components aus Wetter an der Ruhr, dem französischen Unternehmen Technip, Armor und Alstom, den spanischen Siegern Ficosa und Vestas sowie dem Züricher ABB-Werk für Hochspannungssysteme. Die Schweizer fielen in die deutsche Wertung, weil es bei den Eidgenossen bisher keinen eigenen Wettbewerb gibt. Ihre Leistung wurde ebenfalls mit Platz eins belohnt.

Grafik: Wachstumstreiber Old Economy

„Die Beteiligung selbst aus solchen Ländern unterstreicht, wie elementar industrielle Produktion für Europa nach wie vor ist“, sagt Insead-Professor Loch. Das gilt ganz besonders für Deutschland. In keiner anderen hochentwickelten Volkswirtschaft ist industrielle Kompetenz so entscheidend für Wohlstand und Beschäftigung. Mehr als 23 Prozent der Bruttowertschöpfung entfiel hier 2008 auf die Industrie. In den USA waren es 13,3 Prozent, in Großbritannien und Frankreich noch weniger. Die Industrie stellt mit 14,4 Millionen Arbeitsplätzen rund 36 Prozent aller Jobs. Ihre Güter dominieren mit 87 Prozent den Export; 90 Prozent aller Ausgaben der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung investiert die Industrie.

Alles nur Zeichen für den unterbliebenen und längst überfälligen Strukturwandel hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft, wie manche Kritiker behaupten? WHU-Experte Huchzermeier bezeichnet das als Unsinn: „Jedes Land müsse seine komparativen Vorteile ausspielen. Die hier aufgebaute Produktionskompetenz ist kein Hemmschuh, sondern Ausgangspunkt für künftiges Wachstum.“

Huchzermeier stützt sich bei dieser Einschätzung auf eine ausführliche Studie, die an seinem Lehrstuhl mit Teilnehmern des Fabrik-Wettbewerbs in Deutschland erstellt wurde. Während sie jedes Jahr im Durchschnitt um 8,4 Prozent produktiver wurden, legte die Gesamtwirtschaft nur um 1,5 Prozent zu.

1. Platz ABB; Siegerteam um Top-Manager Maritz (Mitte): Die Umsätze um jährlich 20 Prozent gesteigert Quelle: Sabine Biedermann für WirtschaftsWoche

Die Studie enthüllt aber vor allem, mit welchen Maßnahmen Deutschlands Produktionselite ihre Führungsposition verteidigen will. Wichtigster Faktor sind dabei Investitionen in die Qualität, indem etwa Produkte nach jedem Arbeitsschritt auf Fehler überprüft werden und nicht erst das Endprodukt. Fast ebenso wichtig ist laut der Studie, das Wissen der Beschäftigten abzuschöpfen. Für Huchzermeier keine Überraschung: „Ihre Initiativen tragen in den Spitzenwerken oft die Hälfte und mehr zum jährlichen Produktivitätsgewinn bei.“

Stark rückläufig ist dagegen die Vergabe von Aufgaben an fremde Unternehmen oder Dienstleister, das sogenannte Outsourcing, oder gar die Verlagerung ganzer Betriebsstätten ins Ausland (siehe Grafik). Beides galt lange als Allheilmittel, um Kosten zu senken und sich auf Kernkompetenzen zu konzentrieren.

„Jetzt treten immer deutlicher die Kehrseiten zutage“, sagt Huchzermeier. So geht die Verlagerung ins Ausland oft einher mit Qualitätseinbußen, unerwartet hohen Transportkosten sowie dem Verlust schneller Lieferfähigkeit. Hinzu kommt, dass die Löhne an klassischen Outsourcing-Standorten oft weit schneller steigen als die Qualifikation der Mitarbeiter.

Zahl der Rückkehrer steigt

Mit der Zahl der Globalisierungsflops steigt auch die Zahl der Rückkehrer. Das bestätigt eine Studie des Karlsruher Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI): Jedes zweite Unternehmen kommt infolge solcher Probleme aus Osteuropa zurück. Die Quote der Produktionsverlagerungen ins Ausland ist mit neun Prozent auf den tiefsten Stand seit 15 Jahren gesunken. „Der Produktionsstandort Deutschland ist derzeit höchst attraktiv“, sagt ISI-Experte Steffen Kinkel.

Bewertung ABB

Und so kehrt sich die Entwicklung um: Nicht mehr die Deutschen gehen ins Ausland, sondern asiatische und russische Unternehmen kommen hierher. Michael Pfeiffer, Geschäftsführer der deutschen Außenwirtschaftsförderung Germany Trade & Invest spricht bereits von einer gewachsenen Wertschätzung: „Ausländische Investoren schätzen Deutschland als Standort für Produktion, Forschung und Entwicklung.“ Vor allem indische und chinesische Investoren sind laut Pfeiffer verstärkt auf der Suche nach deutschem Produktionswissen.

Dennoch ist es für Insead-Juror Loch zwingend, dass deutsche Unternehmen mit Teilen ihrer Herstellung nach Asien gehen. Nicht zuerst, um vom dortigen niedrigen Lohnniveau zu profitieren, sondern, um mit angepassten Produkten nah an den bedeutendsten Wachstumsmärkten zu sein. „Dort kommen Jahr für Jahr Millionen neuer Konsumenten dazu.“ Seine Mahnung: „Wer langfristig nicht einfach gekauft und dann wegrationalisiert werden will, muss auch außerhalb Europas wachsen.“

Die Demag-Cranes-Manager, deren Seilzüge und Kräne tonnenschwere  Flugzeugrümpfe und Lastwagenmotoren hieven, haben die Erkenntnis bereits in eine intelligente Doppelstrategie übersetzt: In China und Indien entwickeln sie mit einheimischen Ingenieuren und Technikern lokalen Bedürfnissen entsprechende Produkte und fertigen sie zum Teil auch vor Ort. „Das sichert uns den Zugang zu diesem schnell wachsenden Geschäft“, sagt Werkleiter Rainer Harkort.

2. Platz Demag Cranes; Werksleiter Harkort (Mitte), Mitstreiter: Überlegene Produkte und bester Service Quelle: Frank Reinhold für WirtschaftsWoche

In den reifen Märkten Nordamerikas und Europas setzt der Manager dagegen ganz auf die bisherige Erfolgsformel: Dort versucht er, die Konkurrenz mit Technik, Qualität und Service abzuhängen. Zugleich trimmt er sämtliche Prozesse so auf Effizienz, dass genügend Geld für Aktionäre, Investitionen und gute Gehälter abfällt.

Service bedeutet für Harkort auch, nicht nur Produkte zu verkaufen. Sein Unternehmen entwickelt Lösungen, die den Kunden selbst wettbewerbsfähiger machen, zum Beispiel weil ein einfacheres Material-Handling ihn schneller macht. Voraussetzung dafür ist, dass Ingenieure, Fertigungsexperten und Verkäufer genauestens mit den jeweiligen Produktionsbedingungen der Kunden vertraut sind. „Wir müssen deren Geschäft verstehen“, sagt Harkort. Genau auf die Bedürfnisse der Käufer zugeschnittene Produkte sind nicht der einzige Vorteil europäischer Fabriken. Seit Jahren trainieren sie ihre Beschäftigten zudem auf das Eliminieren von Fehlern und Verschwendung. „Da arbeiten zumeist wahre Hochleistungs-Belegschaften“, sagt Insead-Professor Loch.

Das beständige Streben nach mehr Effizienz schlägt sich in einer enorm hohen Produktivität der Beschäftigten nieder. Peter Maritz, Chef der Züricher ABB-Produktgruppe Hochspannungs- und Starkstromsysteme, hat das für sein Unternehmen genau ausgerechnet. „Die Wertschöpfung eines Schweizer Arbeiters liegt bei jährlich zwei Millionen Euro. Ein Inder schafft 100 000 Euro.“

Auf Technologievorsprung setzen

Doch trotz dieser gewaltigen Differenz müssen auch die Schweizer täglich besser werden, um ihre dominante Weltmarktposition mit einem Anteil von 70 Prozent zu behaupten. Ihre bis zu einer Million Euro teuren Hochleistungs-Schalter trennen Kraftwerksgeneratoren zum Beispiel bei einem Kurzschluss blitzschnell vom Stromnetz. „Das muss in Bruchteilen einer Sekunde geschehen, sonst ist das Maschinenhaus zerstört und das Kraftwerk liegt zwei Jahre still“, erläutert Maritz.

Bewertung Demag Cranes

Die Züricher setzen vor allem auf ihren Technologievorsprung und ihre Schnelligkeit. 2012 wollen sie für die geplanten neuen atomaren Superkraftwerksblöcke mit Leistungen bis zu einem Gigawatt als Erste einen Schalter einführen, der Stromstärken von 250 Kiloampere (kA) verkraftet. Schon dieses Jahr kommt ein von 270 auf 70 Teile abgespeckter kleiner Schalter für kleinere Kraftwerke auf den Markt.

Zugleich drückt der Manager aufs Tempo. „Damit steigt die Qualität, und die Kosten sinken.“ Den auf den ersten Blick überraschenden Zusammenhang erklärt Maritz so: „Kurze Produktionszeiten setzen klar strukturierte Abläufe, eine starke Standardisierung und die Eliminierung jedweder Verschwendung voraus.“ Insgesamt 200 Aktionen wurden in kurzer Zeit eingeleitet.

Eine der wichtigsten Maßnahmen: Die riesigen Schalter werden nicht mehr an einem Platz zusammengebaut, sondern wandern bei der Montage, ähnlich wie Autos am Fließband, von Arbeitsstation zu Arbeitsstation.

Seither vergehen vom Auftragseingang bis zur Auslieferung der Schalter nur noch rund 4 statt 25 Wochen. Die Materialkosten sanken um 14 und die Arbeitskosten um 30 Prozent. Der Lohn: ein langjähriges durchschnittliches Umsatzwachstum von 20 Prozent. Was die Top-Fabriken so stark macht? Die Besten fürchten nichts so sehr wie Stillstand. Auch der deutsche Sieger Roto plant schon den nächsten Coup: einen Hybridkollektor, der außer Wärme auch Strom erzeugt. In spätestens zwei Jahren will Vorstand Rosenkranz die revolutionäre Technik anbieten.

Noch stolzer ist er darauf, seine Leute nicht mehr zur Veränderung antreiben zu müssen. „Die größere Verantwortung und der Spaß an der eigenen Leistung reicht inzwischen als Motivation.“

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