ABB-Chef Peter Terwiesch "Wir müssen eine Stromautobahn mit vielen Anschlussstellen schaffen"

ABB hat den ersten Not-Aus-Schalter für Gleichstrom-Leitungen entwickelt. Damit ist der Weg frei für den Aufbau eines Turbonetzes. Denn noch greift Deutschland-Chef Peter Terwiesch der geplante Netzausbau zu kurz.

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Hochspannung im Schlick Verlegung eines Windpark-Gleichstrom-Kabels vor Norderney Quelle: Presse

WirtschaftsWoche: Herr Terwiesch, wann haben Sie mit der Kanzlerin zuletzt über die Energiewende gesprochen?

Peter Terwiesch: Das war bei ihrem jüngsten China-Besuch. Allerdings haben wir primär über die chinesische Energiewende diskutiert, an der ABB nicht ganz unbeteiligt ist. Wir haben für die Chinesen die mit 6400 Megawatt weltweit leistungsstärkste Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) gebaut. Die Anlage transportiert Strom aus dem Xiangjiaba-Wasserkraftwerk im Landesinneren über 2000 Kilometer nach Shanghai. Trotz der Distanz geht unterwegs kaum Energie verloren. Das ist das Besondere an dieser Technik.

Und die kann auch die deutsche Energiewende voranbringen?

Davon bin ich überzeugt. Ohne Gleichstrom-Netze wird die Umstellung auf eine vorwiegend regenerative Stromerzeugung nicht funktionieren.

Das müssen Sie erklären.

Bisher stehen unsere Großkraftwerke nahe der Verbrauchszentren. Die Leitungsverluste der herkömmlichen Wechselstrom-Übertragung fielen daher kaum ins Gewicht. Künftig werden große Strommengen per Windkraft weit draußen in Nord- und Ostsee produziert. Sie müssen 600 Kilometer und weiter nach Süd- und Westdeutschland transportiert werden, wo die großen Verbraucher sind. Diese Distanzen lassen sich verlustarm nur mit HGÜ überbrücken...

...die bislang nur zwei Orte miteinander verbinden können.

Und das ist das Problem. Mittelfristig aber darf es nicht bei einer Ein- und einer Ausfahrt für diese Langstrecken bleiben. Dann würde das Potenzial dieser Technologie nicht ausgeschöpft.

Kuriose Folgen der Energiewende
Schwierige Löschung von Windrad-BrändenDie schmalen, hohen Windmasten sind bei einem Brand kaum zu löschen. Deshalb lassen Feuerwehrleute sie meist kontrolliert ausbrennen – wie im April in Neukirchen bei Heiligenhafen (Schleswig-Holstein). Quelle: dpa
Tiefflughöhe steigtDie Bundeswehr hat die Höhe bei nächtlichen Tiefflügen angepasst. Wegen Windradmasten kann die Tiefflughöhe bei Bedarf um 100 Meter angehoben werden. Der Bundesverband Windenergie (BWE) begrüßt, dass dadurch Bauhöhen von bis zu 220 Meter realisiert werden können. Die Höhe des derzeit höchsten Windradtyps liegt bei etwa 200 Metern. Quelle: dpa
Dieselverbrauch durch WindräderViele neue Windkraftanlagen entstehen – ohne ans Netz angeschlossen zu sein. Solange der Netzausbau hinterherhinkt, erzeugen die Windräder keine Energie, sondern verbrauchen welche. Um die sensible Technik am Laufen zu halten, müssen Windräder bis zu ihrem Netzanschluss mit Diesel betrieben werden. Das plant etwa RWE bei seinem im noch im Bau befindlichen Offshore-Windpark „Nordsee Ost“. Quelle: AP
Stromschläge für FeuerwehrleuteSolarzellen lassen sich meist nicht komplett ausschalten. Solange Licht auf sie fällt, produzieren sie auch Strom. Bei einem Brand droht Feuerwehrleuten ein Stromschlag, wenn sie ihren Wasserstrahl auf beschädigte Solarzellen oder Kabel halten. Diese Gefahr droht nicht, wenn die Feuerwehrleute aus sicherer Entfernung den Wasserstrahl auf ein Haus richten – aber, wenn sie dabei ins Haus oder aufs Dach gehen. Stromschlagsgefahr gibt es ebenso für Feuerwehrleute, wenn sie nach einem Straßenunfall Personen aus einem beschädigten Elektroauto bergen müssen. Quelle: AP
Störende SchattenWindräder werfen Schatten – manche Anwohner sehen darin eine „unzumutbare optische Bedrängung“, wie es das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ausdrückte. Es gab einer Klage recht, die gegen ein Windrad in Bochum gerichtet war. Im Februar wies das Bundesverwaltungsgericht die Revision des Investors ab. Das Windrad wird nun gesprengt. Quelle: dpa
Gestörte NavigationAuf hoher See wird es voll. Windparks steigern nicht nur das Kollisionsrisiko mit Schiffen. Die Rotoren stören auch das Radarsystem. Der Deutsche Nautische Verein schlägt daher vor, dass Windparks nur genehmigt werden, wenn die Betreiber auch neue Radaranlagen an den Masten installieren. Quelle: dapd
Windrad-LärmWindräder drehen sich nicht nur, dabei machen sie auch Geräusche. Je stärker der Wind, desto lauter das Windrad – und das wollen viele Bürgerinitiativen nicht hinnehmen. Ein Beschwerdeführer aus dem westfälischen Warendorf erreichte im September 2011 vorm Verwaltungsgericht Münster zumindest, dass eine Windkraftanlage nachts zwischen 22 und 6 Uhr abgeschaltet wird. Quelle: dpa

Wie wollen Sie mehr aus der Technik rausholen?

Wir müssen eine Art Stromautobahn mit vielen Anschlussstellen und Autobahnkreuzen schaffen. Dadurch wird die Stromübertragung flexibler – mehr Verbraucher würden davon profitieren. Warum sollten nur Bayern oder Baden-Württemberg am Ende der Leitungen den Windstrom abnehmen können und nicht zwischendurch auch etwa Nordrhein-Westfalen? Das Bundesland müsste dann nicht nur eine Trasse durch sein Einzugsgebiet genehmigen, sondern würde auch von dem Angebot profitieren. Ich denke, das würde auch die Akzeptanz bei den Bürgern erhöhen.

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