Frau Nahles, auch die Politik unterliegt dem digitalen Wandel. Wie hat sich durch Internet und Smartphone Ihre Arbeit verändert?
Sie ist schneller geworden, viel hektischer. Abwägungen, Reaktionen, Entscheidungen, alles muss heute zügiger gehen. Deshalb bin ich froh, dass ich Politik noch unter analogen Bedingungen gelernt habe, bevor diese Geschwindigkeit auch mich erfasst hat. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, in denen ich Einladungen mit der Schreibmaschine geschrieben habe. Immerhin war es eine mit Korrekturfunktion, man konnte sich also das Tipp-Ex sparen.
Bleibt keine Zeit mehr zum Innehalten?
Wenig, manchmal zu wenig. Allerdings habe ich dies lange Zeit gar nicht als Mangel wahrgenommen. Mittlerweile schaffe ich mir Inseln der Ruhe, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Das versuchen wir hier auch im Ministerium. Wir schaufeln abends Zeit frei, um über der Hektik des Tages nicht die Fragen von morgen aus dem Blick zu verlieren.
Zur Person
Andrea Nahles, 44, ist seit Regierungsantritt der großen Koalition im Dezember 2013 Bundesarbeitsministerin. Zuvor war sie vier Jahre lang SPD-Generalsekretärin.
Hassen Sie Smartphone und Tablet eigentlich manchmal?
Nein. Man wird mit diesen Dingern erwachsen. Zu Beginn können wir nicht davon lassen und übertreiben es, wie beim Fernsehen. Manche bleiben dann Junkies. Ich habe mittlerweile kein Problem mehr damit, die Geräte am Wochenende oder im Urlaub wegzulegen. Aber es gab Phasen, da wäre dies nicht möglich gewesen, ohne dass ich mich unwohl gefühlt hätte. Allerdings habe ich nur ein einziges Mal in meinem Leben ein Handy wirklich von Herzen vermisst: als ich in jungen Jahren in der schwedischen Pampa einen schweren Autounfall hatte.
Dafür haben Sie heute aber eine Direktleitung zur Familie in der Eifel.
Ja, skypen mit meiner Tochter gehört fest zu meinem Leben. Das muntert mich auf, macht mich manchmal aber auch wehmütig, denn es führt mir vor Augen, dass ich nicht zu Hause bin, sondern weit weg.
Was bedeutet diese neue Dominanz der Technik? Muss man heute digital fit sein?
In täglich zunehmendem Maße, ja.
Und was wird aus denen, die sich nicht qualifizieren wollen oder können?
Strukturwandel hat es immer gegeben. Deutschland war in der Vergangenheit stark darin, so viele wie irgend möglich mitzunehmen im Wandel. Bildung und Qualifizierung sind der Schlüssel – von der Schule über die Ausbildung und über das Arbeitsleben hinweg.
In der Debatte über diesen Umbruch gibt es zwei Lager. Das der Untergangspropheten und jenes der Optimisten, die sagen: Wandel brachte immer Wohlstand und neue Arbeit. Wozu neigen Sie?
Wir stecken mitten in einer Evolution, die sich gerade ungeheuer beschleunigt. Wir werden mehr Selbstständige haben, mehr automatisierte Produktion, mehr Crowdworker. Arbeit und Leben verändern sich. Die entscheidenden Fragen sind doch: Wird es gute Arbeit sein, wird es soziale Sicherheit geben, Chancengerechtigkeit und Aufstiegsmöglichkeiten? Werden wir in Wohlstand und Frieden leben, in einer weltoffenen und toleranten Gesellschaft? Ich habe nicht vor, als Arbeitsministerin nur die Entwicklung abzuwarten, mit dem Krankenwagen hinterherzufahren und die Verletzten aufzu- lesen. Die Zukunft ist offen, lasst uns die Ärmel hochkrempeln und sie gestalten!
"Die Arbeit wird uns nicht ausgehen, sie wird sich verändern"
Forscher prognostizieren allerdings, dass der digitale Wandel menschliche Arbeit in ungeahntem Maße verdrängen wird.
Das habe ich früher schon gehört, und manche Apokalyptiker höre ich jetzt ein zweites Mal. Dabei bin ich erst 44. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen, sie wird sich verändern. Die hergebrachte Ordnung mit Betrieben, Angestellten und Tarifverträgen wird weniger prägend sein. Aber ist das zwingend der Untergang? Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Crowdworker ihren Job im Grundsatz gerne machen. Wir sollten uns das genau anschauen und die Menschen fragen, wie sie arbeiten und leben wollen. Erst dann kann man die richtigen Schlüsse aus der Veränderung ziehen.
Aber es wird mehr Jobs geben, die Computer viel besser erledigen als Menschen.
Gerade deshalb ist es so wichtig, jeden Arbeitnehmer, jeden Betrieb für Bildung und Weiterbildung zu sensibilisieren. Bei Unternehmensbesuchen höre ich derzeit leider sehr häufig folgenden Satz: Wir würden unsere Belegschaft ja gerne für die Herausforderungen der digitalen Industrie weiterbilden, aber wir haben keine Zeit. Die Auftragsbücher sind zu voll! Wenn ich das höre, kann ich nur sagen: Ich möchte nicht auf die nächste Rezession warten, damit Fachkräfte fortgebildet werden. Das muss parallel laufen, sonst gehören wir nicht mehr zu den Gewinnern, sondern zu den Verlierern des digitalen Wandels.
Und welchen Einfluss hat die Politik?
Wir können soziale Absicherung so umbauen und anpassen, dass sie dem Wandel folgt und ihre Funktion behält. Ein Beispiel: Ich spreche mit der Bundesagentur für Arbeit über die Idee, die Arbeitslosenversicherung um Elemente zu ergänzen, die einen Anspruch auf Qualifikations- und Weiterbildungsberatung für Arbeitnehmer schaffen. Die Kunst wird darin bestehen, im Wandel alle an Bord zu behalten. Die beste Arbeitslosenversicherung ist die, die Arbeitslosigkeit von vorneherein verhindert.
Ist das nicht zu sehr noch vom Modell des Angestellten her gedacht?
Es gibt immer mehr Menschen, die in Jobs arbeiten, in denen mal für ein paar Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt wird. Wenn die arbeitslos werden, haben sie trotz ihrer Beiträge keinen Schutz, weil sie nicht lange genug eingezahlt haben. Inzwischen geht das nicht nur Schauspielern so, sondern Kabelträgern, Beleuchtern, TV-Redakteuren oder Serienautoren. Da müssen wir mit der Zeit gehen, die Absicherung auf die neuen Gegebenheiten einstellen. Im Moment müssen in den letzten zwei Jahren vor Eintritt der Arbeitslosigkeit zwölf Monate mit Beschäftigung liegen. Ich meine, wir sollten diese Rahmenfrist auf drei Jahre verlängern. Wir brauchen für die neuen, unsteteren Arbeitswelten flexiblere Regeln.
Serie "Wirtschaftswelten 2025"
Nichts wird bleiben, wie es ist. Das Internet verändert unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft, das ganze Leben. Datenanalyse ersetzt Bauchgefühl (Big Data), Brillen sprechen mit Autos (Internet der Dinge). Unternehmen müssen sich neu erfinden, Märkte bilden sich neu (informationsökonomische Revolution). Was bedeutet das für Arbeit, Mobilität, Geld, medizinische Versorgung? Und was wird aus uns? In der Kurztextgalerie finden Sie alle im Rahmen der Serie erschienenen Artikel.
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Viele Menschen fürchten, im Zuge der Digitalisierung von Maschinen ersetzt zu werden. Doch diese Angst trübt den Blick für die Vorteile neuer Technologien, schreibt
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Künstliche Intelligenz zu verbieten, ist sinnlos. Doch wenn sie nicht eingeschränkt wird, wird sie uns nicht nur gewaltige Vorteile bringen - sondern auch gewaltige Nachteile, schreibt Gary Marcus.
Intelligente Maschinen werden die Arbeitswelt verändern. Es könnte zu Revolten kommen. Aber nicht durch die Maschinen - sondern durch jene Menschen, die von den Maschinen ersetzt wurden, warnt Patrick Ehlen.
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Wie wäre es mit Versicherungszwang?
Ich kenne keine politische Mehrheit für diesen Vorschlag. Wir sollten dort ansetzen, wo wir das heute schon tun: bei Steuern auf Wertschöpfung, Erträge und Konsum. Steuern als Finanzquelle des Sozialstaats werden ohnehin eine größere Bedeutung gegenüber den Sozialbeiträgen einnehmen, wenn sich Arbeitnehmerschaft künftig anders definiert.
Sie klingen allerdings nicht, als würden Sie diese Zukunft euphorisch erwarten.
Das täuscht. Aber ich versuche auch, Chancen und Risiken realistisch zu sehen. Nehmen Sie Uber, die Online-Vermittlung für Taxifahrten. Uber zahlt überall in Europa so wenig Steuern wie möglich. Die Firma kümmert sich nicht darum, ob und wie ihre Arbeitnehmer sich sozial absichern. Das mag für das Unternehmen kurzfristig profitabel sein, für eine soziale Marktwirtschaft ist es das aber nicht. Es verzerrt den Wettbewerb und bürdet die Lasten der sozialen Sicherung der Allgemeinheit auf. Das können wir nicht dauerhaft akzeptieren. Darum muss die Politik nach Lösungen suchen, die fairen Wettbewerb und gute Arbeit sichern.
"Kontrolle der Maschinen wird der Beruf der Zukunft sein"
Solche virtuellen Marktplätze schaffen es, eine Dienstleistung günstiger, vielleicht auch besser anzubieten.
Ich wünsche mir, dass gerade auch Mittelständler neue Geschäftsmodelle entwickeln und wir ihnen helfen, dabei die neue Flexibilität mit sozialer Sicherung zu verbinden. Wir sollten den digitalen Wandel nicht den Ubers dieser Welt überlassen.
Es sind die Konsumenten selbst, die diese neuen Anbieter groß machen.
Exakt. Aber was heißt das denn im Umkehrschluss? Jeder ist Konsument und kann die neue Welt mit seinen Klicks gestalten. Auch ich habe schon bei den neuen großen Online-Händlern bestellt, obwohl deren Bezahlung zu oft zu wünschen übrig lässt. Wir selbst sind also Motoren von Entwicklungen, deren Folgen wir bisweilen schlecht finden. Wir können als Kunden gemeinsam aber auch viel beeinflussen. Dieser Tatsache muss man sich nur bewusst sein.
Vielleicht wird Ihre Tochter schon kein Englisch mehr pauken, weil das Handy bald das Dolmetschen übernimmt...
Und wie lernen Kinder dann bitte denken? Wir müssen uns auch in Zukunft etwas aneignen und uns konzentrieren können. Ich glaube keinesfalls, dass die Herrschaft der Maschinen zur Volksverdummung führen wird. Nur: Eines darf bei allem Fortschritt nie unterentwickelt bleiben, und das sind wir Menschen selbst. Da bin ich konservativ. Kontrolle der Maschinen wird der Beruf der Zukunft sein, dafür brauchen wir äußerst helle Köpfe.
Könnten Sie sich vorstellen, einmal von Maschinen unterstützt zu werden?
(lacht) Wenn die bei mir zu Hause den Rasen mähen – sehr gerne!
Und sich von Robotern pflegen zu lassen?
Ich will nicht ins Altenheim, sondern zu Hause leben, bis ich sterbe. Wenn eine Assistenz mir bei diesem Wunsch hilft, warum nicht? Der Gedanke macht mir keine Angst. Ich wäre aber sehr froh darüber, wenn dann immer noch Menschen um mich herum sind, mit denen ich einen Kaffee trinken kann.