Es ist eng. Sehr eng sogar. Andreas Gaugers Büro ist schon für zwei Arbeitsplätze knapp geschnitten. Doch jetzt stehen gar drei Schreibtische drin, sodass der 47-Jährige kaum zwischen Wandregal und Stühlen zum Fenster kommt.
Warum zum Teufel sitzt der Mann in einem Büro im besseren Schuhschachtelformat? In einem Hinterhof am Berliner Prenzlauer Berg, im zweiten Stock eines alten Gewerbebaus? Einer wie er hätte das doch nicht nötig. Immerhin ist Gauger, der mit 16 Jahren seine erste Softwarefirma gegründet und mit 28 die erste deutsche Suchmaschine ins Netz gehoben hat, einer der Gründungsväter der deutschen Online-Wirtschaft.
Er hat Web-Auftritte für Unternehmen zum Massenprodukt gemacht, hat als Vorstandschef des Online-Dienstleisters 1&1 im United-Internet-Konzern von Ralph Dommermuth Milliarden von Euro umgesetzt und selbst Millionen verdient. Wie sein Ex-Chef ist auch Gauger einer der wenigen auf Dauer erfolgreichen Gründer aus Deutschlands erstem Internet-Boom.
Welche Firmen Internet-Pionier Andreas Gauger gegründet oder geleitet hat.
Als 16-jähriger Schüler startet er einen Softwareversand für Atari-Computer.
Während Abitur und Zivildienst arbeitet er freiberuflich als Programmierer.
Gauger steigt mit geliehenem Geld beim Datensystemhaus Hildenbrand ein.
Er gründet in Karlsruhe das Unternehmen Gauger, Hamm + Partner. Es entwickelt Software.
Mit Schlund+Partner macht Gauger Web-Auftritte für Geschäftskunden zum Massenprodukt.
Ab 1998 ist der Internet-Dienstleister 1&1 beteiligt.
Bei der 1&1 Internet AG übernimmt Gauger den Posten des Vorstandssprechers. 2008 verlässt er den Konzern.
Mit alten Weggefährten gründet er Androidpit, ein Web-Portal rund um Apps für das Handybetriebssystem. Gauger wird Aufsichtsrat.
Es folgt Profitbricks, ein Anbieter fürs Cloud Computing. Gauger wird Marketing-Geschäftsführer.
Denn während viele Helden der New Economy raketengleich nach oben schossen, um rasch am Börsenhimmel zu verglühen, prägt er, der 2008 bei 1&1 ausstieg, das digitale Deutschland bis heute. Im Silicon Valley säße so jemand in einem schicken Loft, managte seine Beteiligungen und träfe sich mit Freunden zum Golfen.
Gauger dagegen hockt in einem winzigen Drei-Personen-Büro. Warum? „Warum nicht“, fragt er breit grinsend und weist mit ausholender Armbewegung um sich herum. „Hier herrscht Start-up-Feeling, bei uns ist’s doch megacool“, sagt er. Das klingt alles andere als aufgesetzt. Im Gegenteil, Gauger macht – wieder einmal – das, was er am liebsten macht: gründen.
Günstiger als Amazon und Google
Dafür ist er von Karlsruhe nach Berlin gezogen, hat seinen Ferrari und den BMW Z8 verkauft („die kannst du hier eh nicht wirklich brauchen“) und ist aufs Carsharing umgestiegen. Um gelegentlich aus der Stadt zu kommen, tut’s ein gebrauchter Mittelklasse-SUV. „Juckt mich wirklich mal der Gasfuß, besuche ich Freunde mit einem potenten Zweitwagen“, sagt der rationale Sportmobilist lachend.
Hier in der dynamischen Internet-Szene der Hauptstadt tummeln sich viele Stars wie das Cyberkaufhaus Zalando, die Musikplattform SoundCloud oder das Werbenetzwerk Zanox. Sie alle verdienen ihr Geld mit dem Verkauf realer Produkte oder digitaler Dienste. Ganz anders Profitbricks. Der Dienstleister ist dabei, die Technik zu revolutionieren, die all die elektronischen Geschäfte erst ermöglicht.
Die Berliner haben das Modell des Cloud Computing – Kunden kaufen nicht mehr Software, sondern greifen übers Netz auf sie zu und zahlen nur für die Nutzung – auf die Hardware übertragen. Infrastruktur als Dienstleistung nennt sich das, Infrastructure as a Service (IaaS) im IT-Jargon.
Damit können Unternehmen übers Netz konfigurieren, welche Rechenleistung sie wann brauchen. Vorteil: Sie müssen nicht mehr viel Geld in Rechenzentren investieren. „Eigentlich unflexible Hardware wird so flexibel wie Dimmer-gesteuertes Licht aus der Deckenleuchte“, verspricht Gauger.
Angriff auf Amazon, Google und Microsoft
Das ist ein rasant wachsender Markt, der nach Berechnungen der IT-Beratung Gartner 2014 weltweit von 9 auf rund 13 Milliarden Dollar wuchs und im nächsten Jahr bereits knapp 25 Milliarden Dollar schwer sein soll. Noch dominieren die US-Riesen wie Amazon, Google, Microsoft oder auch IBM das IaaS-Geschäft.
Doch Gauger will das ändern. Als Marketingchef bei Profitbricks ist sein Job das Verkaufen. Gemeinsam mit Achim Weiß, seinem Kumpel und Geschäftspartner aus frühen Karlsruher Tagen, hat er die Firma 2010 gegründet. Weiß ist CEO und steckt als Technikchef hinter der neu entwickelten Plattform des Start-ups. Als genialer Informatiker hat er schon bei 1&1 als Vorstand die IT auf Effizienz getrimmt.
Keine Luft für Luxus
„So flexibel, schnell und – vor allem – so kostengünstig wie wir ist im IaaS-Geschäft sonst keiner“, behauptet Gauger keck. Und versprich: „Wir wollen doppelt so schnell sein wie Amazon und nur halb so teuer.“
Vor- und Nachteile des Cloud Computing
Wenn ein Unternehmen seine Kundendatenbank nicht im eigenen Rechenzentrum pflegt, sondern einen Online-Dienst wie Salesforce.com nutzt, spart es sich Investitionen in die Infrastruktur. Die Abrechnung erfolgt außerdem zumeist gestaffelt, zum Beispiel nach Nutzerzahl oder Speicherverbrauch. Geschäftskunden erhoffen sich dadurch deutliche Kosteneinsparungen.
Wer Speicherplatz im Netz mietet, kann flexibel auf die Nachfrage reagieren und den Bedarf unkompliziert und schnell erhöhen oder versenken. Wenn beispielsweise ein Startup rasant wächst, fährt es einfach die Kapazitäten hoch. Somit fallen auch niedrige Fixkosten an.
Die Installation auf den eigenen Rechnern entfällt. Damit lässt sich ein neues System äußerst schnell einführen. Auch die Updates bereiten keine Probleme mehr, somit sinkt der Administrationsaufwand. Allerdings lassen sich die Cloud-Dienste in der Regel auch nicht so individuell konfigurieren.
Zur Nutzung der Cloud-Dienste benötigen Mitarbeiter lediglich einen Internetanschluss – unabhängig von ihrem Aufenthaltsort und dem Gerät, das sie nutzen.
Die Daten-Dienstleister werben damit, dass sie sich intensiver mit der IT-Sicherheit beschäftigen als einzelne Nutzer oder Unternehmen. Allerdings sind die Rechenzentren der Cloud-Anbieter aufgrund der großen Datenmenge auch ein attraktives Ziel für Angriffe von Hackern. Zudem ist von außen schwer nachzuvollziehen, ob der Anbieter die Daten ausreichend vor den eigenen Mitarbeitern schützt. Die Auslagerung bedeutet somit einen Kontrollverlust.
Viele Unternehmen sind von ihrem Dienstleister abhängig, weil sie nicht ohne weiteres zu einem anderen Anbieter wechseln können. Das liegt etwa daran, dass sie ihre Systeme aufwendig an die Schnittstellen anpassen müssen. Auch Nutzer haben oft Schwierigkeit, wenn sie mit ihren Daten den Anbieter wechseln wollen. Eine weitere Frage: Was ist, wenn der Betreiber eines Dienstes pleite geht? Erst wenn es Standards gibt, die den Wechsel von einem zum anderen Dienstleister ermöglichen, sinkt die Abhängigkeit.
Das ist, wohlgemerkt, angesichts der komplexen Preisgestaltung im Cloud Computing erst einmal nur ein Versprechen. Luft für Luxus ist da nicht. Daher haben sich die Online-Revolutionäre im Osten Berlins in einem alten Gewerbebau eingemietet. Vier Stockwerke belegt Profitbricks schon. Am Eingang weist ein handgeschriebener Zettel weiteren Bewerbern den Weg zu den Vorstellungsgesprächen.
Da heißt es zusammenrücken. Auch für die Gründer Gauger und Weiß, die sich ihr winziges Büro mit Strategiechefin Petra-Maria Grohs teilen, einst Top-Managerin bei den Computerherstellern Compaq, Oracle und Sun. Wenn Gauger etwas an seinem Arbeitsplatz stört, dann allenfalls, keinen Platz zu haben für seine zweite Leidenschaft. Er ist passionierter Fan der Kultserien „Star Wars“ und „Star Trek“. Wenn er von seinem Faible erzählt, blitzt der große Junge durch. Mit seinem raspelkurzen Haar, dem verschmitzten Blick und der Dynamik, mit der er Gänge und Treppenhäuser des Hinterhofbaus durcheilt, wirkt der Vater von zwei fast erwachsenen Kindern ohnehin jünger, als er ist.
Im Januar erst hat er fast ein Wochenende damit verbracht mit seiner Freundin ein Lego-Modell des Star-Wars-Roboters R2-D2 zusammenzubauen. Nicht so ein kleines Set, meint er – gespielt entrüstet –, „sondern ein ganz seltener Bausatz – ungefähr kniehoch und ziemlich kompliziert“. Der ist zu groß fürs Büro. Immerhin hängt an der Wand noch eine riesige Grafik eines Sternenkriegers.
Sieht sich Gauger mit seiner kleinen Mannschaft als Jedi-Ritter gegen die wenn nicht dunklen, so doch unschlagbar scheinenden Mächte im Netz? Den Vergleich findet er doch zu martialisch. Aber zumindest die Größenverhältnisse passten.
Raubbau an sich selbst
Mehr als 1000 Kunden haben die Berliner für ihre virtuellen Maschinen gewonnen, 2014 „einige Millionen Euro“ umgesetzt, bleibt der Seriengründer vage. 2015 soll sich der Umsatz mehr als verdoppeln.
Was Gauger und Weiß da treiben, erinnert an ihr erstes großes Ding. Damals in den Neunzigerjahren legte der Karlsruher mit Freunden von seiner Heimatstadt aus den Grundstein für den wirtschaftlichen Erfolg des Internets in Deutschland.
Zuvor war das Datennetz vor allem ein Kommunikationsmittel für Wissenschaftler. Doch dann machen Gauger, Weiss sowie die Mitgründer Alexander Rösner und Rainer Schlund mit ihrer Firma Schlund+Partner kommerzielle Web-Auftritte zum Massenprodukt. Hosting heißt das Geschäft, bei dem sie in ihrem Rechenzentrum Unternehmen Speicherplatz für deren Internet-Angebote bereitstellen.
Wie die Karrierewege digitaler Talente aussehen
... aller Führungskräfte sind männlich
... haben bereits ein Digital-Startup aufgebaut
... haben keine längere Auslandserfahrung
... haben schon mehrere Digitalunternehmen gegründet
... haben bei Managementberatungen gearbeitet
... haben mehr als 15 Jahre Berufserfahrung
Der zuvor schon finanziell beteiligte Dommermuth übernimmt 2000 das Unternehmen komplett. Statt Kasse zu machen, bleibt der damals 32-jährige Gauger, steigt auf und wird schließlich Chef des Geschäftsbereichs 1&1.
Die Internet-Gründer ergänzen sich in ihren Rollen geradezu perfekt. Dommermuth, so Ex-Mitarbeiter, ist zwar ein großartiger Unternehmer mit feinem Gespür für Geschäftschancen. Doch der Mann für technische Finessen ist er nicht – ebenso wenig wie ein großer Kommunikator. Die Infrastruktur trimmt Weiß auf Effizienz. Gauger übernimmt die Rolle des Motivators. Und verschleißt sich dabei fast. „Ich habe ziemlich Raubbau an meiner Gesundheit betrieben“, sagt er. Inzwischen ernährt er sich anders („möglichst wenig Kohlenhydrate“) und hat sich den angefutterten Stressspeck wieder abtrainiert („13 Kilo in einem Jahr“). „Heute delegiere ich.“
Wie gut er und Dommermuth über Jahre harmonieren – dessen Führungsstil hochrangige Manager bei United Internet „als ziemlich autokratisch“ bezeichnen –, erstaunt viele im Unternehmen. Die Beziehung hält noch heute. Dommermuth ist einer der größten Geldgeber für Profitbricks, United Internet mit 30 Prozent am Unternehmen beteiligt. Gauger umgekehrt hält große Stücke auf den Westerwälder: „Das ist ein grandioser Unternehmertyp. Ich habe enorm viel von ihm gelernt.“
Gründer und Macher
Sich die wichtigen Dinge bei den richtigen Leuten abzuschauen ist gerade für Gauger extrem wichtig. Denn der Seriengründer hat zwar Abitur, aber nie studiert und keinerlei Berufsabschluss. Mit dem Ersparten aus den Softwaregeschäften in der Schulzeit sowie geliehenem Geld von Vater und Großmutter kauft er sich stattdessen bei einem Karlsruher Systemhaus ein, dessen Eigentümer den patenten Programmierer und begabten Verkäufer auf diese Weise an seine Firma bindet. Das Unternehmertum rechnet sich. Aus den 20 000 Mark, die er beim Verkauf des ersten Unternehmens erlöst, werden später Hunderttausende. Als er schließlich an der 1&1-Spitze steht, geht Gaugers Vermögen einschließlich der Beteiligung am Unternehmen in die Euro-Millionen.
„Um erfolgreicher Unternehmer zu werden, brauchst du keinen tollen Abschluss“, sagt Gauger, „sondern Gefühl für Gelegenheiten, die richtige Idee, die zu deinen Begabungen passt, und die Bereitschaft, hart zu arbeiten.“ Und er war bereit zu lernen. „Welche Zahlen wichtig sind, wie du richtig verkaufst oder verhandelst – so was erfährst du nur von Leuten, die das wissen und können.“
Offenbar trifft er einige davon. Denn als er an der Spitze der 1&1 Internet AG steht, entwickelt sich das Unternehmen zu Europas größtem Web-Hoster und zum wichtigsten Geschäftsfeld von Dommermuths Konzern – mit rund einer Milliarde Euro Umsatz und an die 3000 Beschäftigten.
Durchstarten ins Weltall
Doch so erfolgreich das Geschäft läuft – auf Dauer ist Gauger nicht glücklich. Er ist Gründer, Macher, einer, der wissen will, was läuft. Ein Leben im Konzern, „in Hierarchien den Kontakt zum Geschäft verlieren, sich in Meetings aufreiben“ – all das ist ihm ein Graus. Und der Grund, warum er 2008 bei 1&1 aussteigt. „Nicht im Streit“, betont er immer wieder. Aber irgendwann passt es nicht mehr. „Als ich dann auch noch im Vorstand merkte, dass ein Kollege falsches Spiel mit mir treibt, um sich selbst zu schützen, hat das auch nicht geholfen.“
Gauger geht und beginnt wieder mit dem, was er (vielleicht abgesehen vom Basteln von Star-Wars-Modellen) am liebsten tut: gründen.
Gemeinsam mit Dauer-Buddy Weiß und Oliver Lauer, Gründer des Kommunikationsnetzwerks MobileMonday, konzipiert er Androidpit.com – ein Internet-Portal, das Smartphone-Apps für Googles Handybetriebssystem testet und vermarktet. Ums Tagesgeschäft kümmern sich Fabien Röhlinger, den Gauger von früher kennt, und später Philipp Dommermuth, der Sohn des United-Internet-Gründers.
Für vier Jahre verpflichtet
Als die Seite 2009 online geht, gibt es gerade ein Android-Modell in Deutschland. Die Wette geht auf. Heute läuft auf fast neun von zehn neu verkauften Smartphones Googles Software. Das Portal ist mit mehr als rund 17 Millionen Besuchern monatlich sowie fünf Millionen registrierten Nutzern die weltweit erfolgreichste Seite rund um Android-Apps.
Der Umsatz, vor allem aus Werbung und Verkaufsprovisionen, liegt bei etwa drei Millionen Euro im Monat, soll sich im laufenden Jahr mehr als verdoppeln und liefere, so Gauger, „seit ein paar Monaten ein positives Ergebnis“.
Soweit ist Profitbricks, in das Gründer und Investoren schon an die 40 Millionen Euro gesteckt haben, noch nicht. Die Plattform stabil und leistungsstark zu machen „ist teurer geworden und hat länger gedauert als gedacht“, erklärt Gauger. „Unser Ziel ist, erfolgreich zu werden. Wenn das klappt, findet sich auch immer ein Käufer, zu dem wir gut passen.“ Erst einmal aber haben sich die Gründer noch mal für vier Jahre auf Profitbricks verpflichtet. Das Geld reiche bis zum Break-even. Und dann?
Dann wäre der Star-Trek-Fan Anfang 50. Und die ersten privaten Weltraumflüge wären womöglich gerade startbereit.
Würde er einen buchen? Von der Enge im Berliner Hinterhof sozusagen mit der Sternenflotte direkt ins All durchstarten? „Ach, ich warte wohl noch etwas“, sagt er lachend. „Wenn’s schiefgeht, ist es wohl besser, noch nicht drin zu sitzen, und wenn’s funktioniert, wird es sicher schnell billiger.“