App "Achtung Pleite" Ein Online-Pranger für Pleitegeier

Nicht nur die neue Pokémon-App erregt dieser Tage Aufsehen. In Sekundenschnelle zeigt die App „Achtung Pleite“, ob der Nachbar Geldprobleme hat. Das ist rechtlich zwar erlaubt, öffnet dem Voyeurismus aber Tür und Tor.

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Ist mein Nachbar insolvent? Eine App macht die Abfrage kinderleicht. Quelle: dpa

Das Smartphone wird zum Pleitegeier-Finder: Dank Suchfunktion und Kartenansicht können Nutzer ihr privates Umfeld jetzt ganz bequem nach insolventen Personen und Firmen durchsuchen. Die App „Achtung Pleite“ macht es möglich. Doch ist das rechtlich einwandfrei? Hilft die App, bösen Überraschungen beim Geschäftemachen vorzubeugen oder ist das nur ein Onlinepranger für Voyeuristen und allzu Neugierige?

Für den Download der Software mit dem Geier im Logo werden einmalig 2,99 Euro fällig. Für den Preis gibt es nicht nur die Suchfunktion, sondern umfassende Informationen zum Pleitier: Aktenzeichen, Gerichtsdokumente und den Grund für den Bankrott.

Was kann die App?

Mehr als eine Million Gerichtsverfahren wegen Insolvenz sind nach Angaben des Herstellers in der App (erhältlich für Android und iOS) gelistet. Das entspricht 98 Prozent aller Schuldner in Deutschland. Gibt der Nutzer den Namen einer Person ein und existiert ihr ein Eintrag, wird sofort die vollständige Adresse angezeigt. Gesucht werden kann aber auch über die Postleitzahl, den Stadtteil oder ganz einfach über eine Kartenansicht.

Die Entwickler versprechen, dass die angezeigten Informationen immer auf dem neuesten Stand sind. Mehrmals täglich sollen aktualisierte Daten neuer Schuldner hinzukommen. Den Betroffenen dürfte diese öffentliche Bloßstellung nicht gefallen.

Zahlen, Daten und Fakten zu Insolvenzen in Deutschland

Wer braucht diesen Service?

Der Anbieter „DerKeiler“ beruft sich auf redliche Interessen. Geschäftsleute könnten mithilfe der Anwendung prüfen, ob der potenzielle Kunde zahlungsfähig ist. Wenn gleich klar ist, dass das Gegenüber kein Geld hat, kann man sich die Zeit für einen Kostenvoranschlag sparen. Auch Vermieter, Bauherren oder Onlinehändler könnten so unangenehme Überraschungen vermeiden. 

Woher kommen die Daten? 

Alle Daten, die die App zeigt, werden von den zuständigen Insolvenzgerichten veröffentlicht. In der Regel sind das die Amtsgerichte der jeweiligen Gemeinden. Wird ein sogenanntes „Regelinsolvenzverfahren“ gegen eine Person oder ein Unternehmen eingeleitet, werden die Informationen gleich öffentlich gemacht. Über die Website insolvenzbekanntmachungen.de sind die Pleite-Informationen ohnehin online einsehbar. „Achtung Pleite“ macht es den Interessierten einfacher, die Daten abzurufen. Außerdem bereitet die Software sie bekömmlicher auf.

Ist das nicht eine Verletzung der Privatsphäre? 

Die Privatsphäre der Schuldner wird durch die App nicht verletzt, sagt Rechtsanwalt David Oberbeck, Fachmann für Datenschutzrecht: „Das Bundesdatenschutzgesetz erlaubt es, solche bereits veröffentlichten Daten zu sammeln und zugänglich zu machen. Wie die Daten aufbereitet werden, ist dem Anbieter überlassen.“

Fraglich sei, ob die Suchenden ein berechtigtes Interesse an der Auskunft haben. Paragraf 29  des Bundesdatenschutzgesetzes regelt die geschäftsmäßige Datenerhebung und -speicherung. „Derjenige, der die Informationen abruft, musst ein berechtigtes Interesse an den Daten glaubhaft darlegen“, sagt Jurist Oberbeck. Auch der Betreiber der App müsse diesen Nachweis führen. Dagegen vorzugehen sei kaum möglich, da die Hürden für das geforderte Interesse recht gering sind.

 

Verbraucherschutz fürchtet Online-Pranger

Was sagen Verbraucherschützer? 

Laut Pamela Wellmann von der Verbraucherzentrale NRW besteht die Gefahr, dass Betrüger aus der Not der Schuldner Profit ziehen. „Die App ist das ideale Einfallstor für betrügerische Pseudo-Helfer“, warnt sie. Damit sind dubiose Anbieter gemeint, die gegen Gebühren vermeintliche Hilfe anbieten - etwa eine Löschung der Einträge. 

„Es gibt viele, die gezielt Menschen in prekären Situationen mit falschen Versprechen locken. Am Ende steht dann nicht die erhoffte Verbesserung, sondern die Opfer werden nur um noch mehr Geld erleichtert“, sagt die Verbraucherschützerin Wellmann. 

Auch den Pranger-Charakter der App kritisiert die Verbraucherzentrale. Die öffentliche Entblößung treffe dort schließlich nur die, die bereits den Weg in eine Beratung und in die geordnete Insolvenz gefunden haben. „Alle die, die verschuldet sind und noch nicht in der Beratung sind, werden ja gar nicht erfasst“, sagt Wellmann. „Da wird die falsche Gruppe in die Öffentlichkeit gerückt.“ 

Wie lange werden die Daten gespeichert? 

„In der Insolvenzverordnung steht, dass die Veröffentlichung von Daten sechs Monate nach Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens gelöscht werden müssen“, sagt Anwalt Oberbeck. Das gilt, sobald dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt wurde. Ob das auch für Drittanbieter wie den App-Herausgeber gilt, ist aber nicht klar. „Das Oberlandesgericht Frankfurt hat sich vor kurzem mit der zulässigen Speicherfrist einer Restschuldbefreiung befasst. Das Urteil lautete, dass die Sechsmonatsfrist für Drittanbieter nicht gilt und die speichernde Stelle die Daten für drei Jahre zum Zwecke der Auskunftserteilung speichern durfte“, so Oberbeck. Nach eigener Auskunft werden in der „Achtung Pleite“-App Informationen zu Privatinsolvenzen erst am Ende des dritten Kalenderjahres nach Abschluss des Verfahrens gelöscht.

Die uneingeschränkte Suche nach neuen Insolvenzbekanntmachungen sei hingegen nur innerhalb von zwei Wochen nach Veröffentlichung möglich. Das habe aber laut Entscheidung des Gerichts keinen Einfluss auf die Speicherdauer eines Drittanbieters, sagt Anwalt Oberbeck.

Die spektakulärsten Privatinsolvenzen
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Augenarzt, Detlef Uthoff Quelle: Fotolia

Gibt es dafür nicht schon die Schufa? 

Die Schufa hat ein eigenes Ranking und ermittelt anhand verschiedener Faktoren die Wahrscheinlichkeit der Rückzahlung von Schulden. Ihren Vertragspartnern bietet die Schufa auch einen Score-Wert an. Das ist ein Wert von 1 bis 100, der dem jeweiligen Verbraucher zugeordnet wird und einen Schätzwert für die Wahrscheinlichkeit angibt, dass ein Kredit bedient wird. Je niedriger der Wert, desto größer schätzt die Schufa die Ausfallwahrscheinlichkeit ein. 

Laut Angaben der Schufa sei der Score-Wert abhängig vom Zweck, für den er angefragt wird. So erhalten beispielsweise Versicherungen andere Scorewerte als Mobilfunkanbieter. In die Score-Werte gehen unter anderem die Anzahl der Wohnungswechsel und die Anzahl der Bankkonten ein. Das genaue Scoring-Verfahren ist unter Verschluss. 

Fazit 

Wer Geschäfte mit Fremden machen möchte, kann deren Solvenz meist nicht einschätzen. Auch wenn rechtlich nichts gegen das Angebot einzuwenden ist: Sinn und Zweck dürfen in Frage gestellt werden. Die offiziellen Bekanntmachungen der Gerichte sind schon lange für alle verfügbar. Ein laufendes Insolvenzverfahren sagt aber nicht zwingend etwas über die aktuelle Zahlungsfähigkeit des Betroffenen aus. 

Was die App erleichtert ist, nach Lust und Laune seine Nachbarschaft zu durchforsten, und anlasslos Pleitekandidaten aufspüren. Hier verläuft die Grenze zum Voyeurismus.

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