Buchrezension Liebe im digitalen Zeitalter

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Emotionale Intimität bestimmt das Liebesglück

Soziologin Eva Illouz landete mit dem Titel

Was das konkret heißt, zeigt im Kontrast der Rückblick auf die Welt des frühen 19. Jahrhunderts, als das Balzverhalten von Männern wie Frauen einer streng abgezirkelten Choreografie folgte. Anhand von Jane Austens Romanen beschreibt Eva Illouz, wie das Modell einer durch Herkunft und "offizielle wie inoffizielle Regeln" zusammengehaltene Liebesordnung funktionierte. Das ist deshalb so interessant, weil sich bei Austen standesgemäße Ehe und freie Wahl verschränken. Eingespielte Rituale weisen den Gefühlen den Weg, gemeinsame Interessen geben ihnen Halt und Richtung.

Das gilt vor allem für das männliche Liebeswerben. Heiratswillige Männer machen der Dame ihres Herzens - auf deren Einladung! - einen Anstandsbesuch und halten, nachdem sie etliche Beweise der Ernsthaftigkeit ihres Werbens vorgebracht haben, beim Vater um die Hand der Tochter an.

Dieses Regularium wurde nicht zuletzt deshalb so ernst genommen, weil die Suche nach dem passenden Partner, die, so Illouz, "schwerwiegendste ökonomische Operation im Leben vieler Menschen betraf, insbesondere weil das Eigentum einer Frau bei der Hochzeit auf ihren Mann überging". Anders gesagt: Es ging bei der Heirat nicht in erster Linie um die Befriedigung emotionaler Ansprüche, schon gar nicht darum, den perfekten Partner zu finden, sondern um gegenseitige Interessen, die für emotionaler Verbindlichkeit sorgten, vor allem: für das Einhalten von Versprechen - der Mann von Charakter stand zu seinem Wort, die Auflösung einer Verlobung galt als unehrenhaft.

Dieses Verhaltens-Setting änderte sich grundlegend mit der Herausbildung moderner, deregulierter Beziehungsmärkte. Natürlich spielen bei der Auswahl von Heiratspartnern Status und Vermögen noch immer eine herausragende Rolle: Geld will zu Geld oder wenigstens zu Bildung. Doch seit dem Siegeszug der romantischen Liebe begründen nicht in erster Linie Interessen das Liebesglück, sondern frei schwebende, von ihrer sozialen Basis tendenziell emanzipierte Gefühle. "Emotionale Intimität" und "erotische Ausstrahlung" werden nun, wie Illouz zeigt, zu den entscheidenden Kriterien der romantischen Wahl.

Physische Attraktivität und Sex Appeal avancieren zu Leitwährungen des Geschmacks, der seinerseits von den Massenmedien in Regie genommen wird. Vor allem die Konsum- und Beauty-Industrie ist seither mit der Ästhetisierung und Sexualisierung des Körpers beschäftigt – und untergräbt damit die traditionellen Bindungsmuster. So ist die Ehe, die noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Verpflichtung auf Lebenszeit galt, mittlerweile längst nur noch eine Option unter vielen.

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