Buchrezension Liebe im digitalen Zeitalter

Seite 3/4

Knappheit stimuliert die Nachfrage

Dieser Niedergang ehelicher Verbindlichkeit hängt, wie Illouz einräumt, mit der Zunahme individueller Freiheit zusammen. Doch Umfragen belegen, dass es sich bei der viel beklagten Bindungsangst um eine typisch männliche Domäne handelt. Mit dem Zerfall des Patriarchats entziehen sich die Männer zunehmend der vormals selbstverständlichen Pflicht, eine Familie zu gründen.

In einer Gesellschaft, in der vor allem Autonomie und wirtschaftlicher Erfolg zählen, verlegen sie sich auf sporadische, distanzierte Beziehungen oder verweigern sich im Extremfall völlig der Sexualität. Frauen hingegen streben, auch wenn sie zunehmend auf die physische Attraktivität von Männern achten, nach wie vor feste, exklusive Beziehungen an, nicht zuletzt wenn sie sich Kinder wünschen.

Eva Illouz findet für diese auffällige Diskrepanz eine verblüffend einfache Erklärung: Da Frauen bestrebt sind, sich bei der Partnerwahl zu verbessern und deshalb in aller Regel einen Mann mit vergleichbarem oder höherem Bildungsstatus wählen, Männer dagegen auch "nach unten" heiraten und sich für jüngere Frauen interessieren, entsteht für Frauen ein "Engpass" an gebildeten Partnern; für Männer öffnet sich stattdessen ein weites Feld von Möglichkeiten. Dass Großmütter einst ihren Enkeltöchtern den Ratschlag mit auf den Weg gaben "Kind, mach Dich rar", hatte deshalb durchaus seinen guten Sinn.

Knappheit weckt Begehren, auch auf Beziehungsmärkten. Männliche Bindungsscheu, so Illouz, sei eine Folge des Überangebots an potentiellen Partnern, die Bindungsbereitschaft signalisieren. Unter diesen Bedingungen werde es für Männer immer schwieriger, dem Objekt ihrer Begierde einen Wert beizumessen ­- deshalb ihre Distanziertheit: "Die Vermeidungsstrategie all dieser Männer sind kein Zeichen pathologischer Psychen, sondern ein strategischer Versuch, in einem Markt, in dem sie aufgrund einer Überversorgung mit der sexuellen und emotionalen Verfügbarkeit von Frauen (… ) keinen Wert zu weisen können, Knappheit zu erzeugen – und somit Wert." Anders gesagt: Männer können es sich aussuchen – und wissen doch paradoxerweise immer weniger, was sie genau wollen.

Verschärft wird diese Entwicklung paradoxerweise durch das Internet. Indem es das Überangebot an Wahlmöglichkeiten noch einmal erhöht, erschwert es zugleich die Festlegung auf ein Liebesobjekt. Der User wird wählerischer. Weil immer noch etwas Besseres kommen kann, ist er bestrebt, seine Wünsche genauer zu erforschen, seine Vorlieben zu präzisieren, seine Wahlmöglichkeiten zu optimieren. Mit anderen Worten: Die romantische Liebe wird durch die elektronischen Möglichkeiten immer mehr rationalisiert.

Eva Illoux beschreibt diesen Prozess als Teil der Entzauberung durch die wissenschaftliche Moderne: Aus dem Mysterium der Liebe sei unter der Herrschaft von Psychologie und Biologie eine Verhaltenslehre geworden, die darauf abzielt, den Seelenhaushalt des Menschen auszubalancieren im Sinne eines "Maximums an Autonomie". Das Internet verstärkt diesen Trend, indem es die Kriterien für die Partnerwahl verfeinert: Bei der Anbahnung von Liebesabenteuern ebenso wie bei der Suche nach einem Lebenspartner werden soziale, bildungsmäßige, physische und sexuelle Aspekte möglichst genau aufeinander abgestimmt. "Wie bei einem Büffet", sagt Illouz, "lädt das Internet zu einer Form von Wahl ein, die aus der ökonomischen Sphäre abgeleitet ist." Die virtuelle Begegnung lädt zur Nutzenmaximierung ein, um sich für das – vorläufig - "beste Angebot" zu entscheiden.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%