Die Deutsche Telekom nennt ihren neuen Service als einer der ersten großen Anbieter ganz offen beim Namen. Seit Wochen bombardiert der Bonner Konzern das Publikum in Fernsehspots mit dem Begriff, den bisher vor allem Computer-Tekkies im Munde führten: „Cloud“, zu Deutsch: Wolke. Dies sei, so die Botschaft des Magenta-Konzerns, „ein neues Zuhause“ für die privaten Computerdaten jeglicher Art.
Statt mit Fotos, Videos oder Musikstücken den eigenen Rechner zu überladen, könne jedermann seine Schätzchen künftig gern der Telekom überlassen – und sie bei Bedarf einfach via Internet abrufen.
Zwar steht Konzernchef René Obermann damit nicht allein. Apple bietet iPhone- und iPad-Besitzern mit iTunes bereits seit Oktober 2011 die Möglichkeit, Musikstücke auf ein Rechenzentrum des US-Giganten auszulagern und per Internet in der sogenannten iCloud anzuhören. Und auch der US-Softwareriese Microsoft will in die kommenden Versionen seiner Betriebssysteme Cloud-Funktionen einbauen.
Die Telekom kündigt den „Volks-Online-Speicher“ an
Doch so aggressiv wie die Telekom drängt, zumindest in Deutschland, keiner in den Massenmarkt mit dem Endverbraucher. Gemeinsam mit der Online-Ausgabe der „Bild“-Zeitung, kündigte Obermann vorvorige Woche an, werde seine Konzerntochter Strato einen „Volks-Online-Speicher“ auf den Markt bringen – eine Art Superfestplatte und Riesendatenherberge im Internet.
Seit einigen Jahren gilt Cloud Computing als das heißeste Thema der IT-Branche, allerdings nur für Unternehmen. Diese, so die Vorstellung renommierter Anbieter wie Microsoft oder Amazon, sollten Daten und Computerprogramme künftig nicht mehr auf den eigenen Rechnern halten, sondern beides auslagern und nur bei Bedarf per Internet anfordern.
Der Vorteil liege auf der Hand: Der Kunde muss sich nicht mehr um Aktualisierungen kümmern und bezahlt nur noch die Software, die er wirklich auch nutzt. Auf den ganz großen Durchbruch wartet die IT-Branche jedoch bis heute.
Im Grunde ist die Cloud technisch nichts Neues
Umso schneller soll die Cloud nun im Geschäft mit den privaten Nutzern Erfolg haben. Denn mit der weitverbreiteten Verfügbarkeit superschneller Glasfasernetze zu Hause, mit den rasanten Mobilfunkverbindungen und dem Boom internetfähiger Handys und Multimedia-Tablet-Rechnern wird der Zugriff auf attraktive Datenwolken im Web ein Thema für immer mehr Privatanwender.
Die weltgrößte IT-Messe Cebit diese Woche in Hannover steht ganz im Zeichen von Cloud. „Die Anbieter bringen sich jetzt in Stellung, denn in spätestens fünf Jahren wird die Cloud ein Markt sein, um den sich alle prügeln“, sagt Wafa Moussavi-Amin, Zentraleuropa-Chef beim US-Marktforscher IDC in Frankfurt.
Dabei ist Cloud Computing technisch eigentlich nichts Neues: Wer heute via Browser sein E-Mail-Konto bei Google oder Yahoo bedient oder schlicht auf das soziale Netzwerk Facebook zugreift, nutzt ebenfalls einen reinen Internet-Dienst – allerdings ohne dass dies bisher jemand als Cloud bezeichnete. Dass daraus nun ein Milliardengeschäft werden könnte, liegt an den neuen Bedürfnissen der Konsumenten.
Ein paar Euro im Monat statt 100 Euro für die Festplatte
Wer die private Fotosammlung oder Textdokumente online speichert, braucht sich keine Gedanken mehr über die Datensicherung zu machen. Statt die wachsenden Datenmengen mühsam per USB-Stick oder E-Mail von einem Gerät zum anderen zu übertragen, sorgt die Cloud für den ständigen Zugriff auf alles – ob vom PC, Smartphone oder Tablet-Rechner.
Vor allem aber fallen die Installation, der Kauf und die Aktualisierung aufwendiger Software zur Text- oder Tabellenverarbeitung weg. Ein Klick auf den Web-Browser genügt, und alles ist auf dem Schirm. Dafür bezahlen die Konsumenten anstelle des bisherigen Anschaffungspreises von deutlich über 100 Euro künftig nur noch einen geringen monatlichen Betrag.
So verlangt Microsoft etwa für das Cloud-Büroprogramm Office365 etwas mehr als fünf Euro im Monat; Wettbewerber Google bietet sein für Selbstständige und Kleinunternehmer geeignetes Büro-Programmpaket Google Apps für vier Euro im Monat an.
Die Anbieter machen optimistische Prognosen
Entsprechend optimistisch sind die Prognosen für das Geschäft rund um die Cloud. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Experton Group mit Sitz in Ismaning bei München vervierfacht sich der Umsatz mit Privatkunden allein in Deutschland von knapp 1,7 Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf rund 6,4 Milliarden Euro im Jahr 2016.
Jeweils etwas mehr als die Hälfte der prognostizierten Umsätze entfallen dabei auf das Segment Unterhaltung. Dazu zählen beispielsweise Cloud-Dienste wie etwa Spiele, Musik oder Videos.
„Alle Daten und Programme für Privatanwender werden online sein“
Der andere Teil entfällt auf Anwendungen rund um Bürolösungen und Online-Festplatten. „Mittelfristig wird es noch Mischformen zwischen Cloud-Lösungen und Programmen auf dem Rechner geben“, sagt IDC-Analyst Moussavi-Amin. „Aber auf einem Zeithorizont von zehn Jahren verschwindet der klassische PC, und alle Daten und Programme für Privatanwender werden online sein.“
Bis der Durchbruch zum Massenmarkt gelingt, müssen die Cloud-Anbieter jedoch noch einige Hürden bei den Endkunden überwinden. Das zeigt eine repräsentative Umfrage, die das Kölner Marktforschungsinstitut YouGov exklusiv im Auftrag der WirtschaftsWoche bei deutschen Verbrauchern durchführte. Demnach hat zurzeit die große Mehrheit der Deutschen, das sind drei Viertel der über 18-Jährigen, noch nichts mit Cloud Computing zu schaffen.
Nur 26 Prozent bedienen sich der neuen Internet-Dienste, etwa indem sie Fotos extern speichern, Software nutzen oder Musik im Web hören. Selbst die Mehrheit der 18- bis 34-jährigen Befragten verzichtet derzeit noch auf den Einsatz von Cloud-Diensten (siehe Grafik Seite 49). Grund für die Zurückhaltung: Die meisten Deutschen sehen schlicht noch keinen Bedarf, Speicherplatz, Bürosoftware oder Spiele im Internet zu nutzen.´
Jeder Zweite möchte für die Cloud nicht zahlen
Doch selbst wenn das Interesse zunähme, müssten die Anbieter noch erhebliche Überzeugungsarbeit leisten. Denn mehr als 40 Prozent der Befragten verweigern sich dem Cloud Computing aus Sicherheits- und Datenschutzbedenken sowie aus Sorge um die eigene Privatsphäre. Und je skeptischer die Kundschaft, desto geringer ihre Neigung, Geld für den beargwöhnten Service lockerzumachen.
Der Umfrage zufolge lehnt derzeit jeder zweite Verbraucher in Deutschland ab, für Cloud Computing etwas zu bezahlen. Selbst von denjenigen, die sich der Wolke im Web in irgendeiner Form bedienen, würde nur ein Drittel dafür ins eigene Portemonnaie greifen wollen. Immerhin äußerte die Hälfte der aktuellen Nutzer die Bereitschaft, bis zu zehn Euro pro Monat zu bezahlen. „Es zeigt sich, dass die derzeitige Werbung einzelner Anbieter für ihre Cloud-Dienste aktuell noch auf wenig fruchtbaren Boden fällt“, sagt Holger Geißler von YouGov.
Die besten Chancen, die Zurückhaltung der Kunden zu überwinden, dürften bekannte Unternehmen mit vertrauenswürdigen Marken haben. 62 Prozent der Befragten würden einen Anbieter auswählen, der ihnen ein Begriff ist oder von Freunden empfohlen wird. Konzerne wie die Deutsche Telekom, Amazon oder Microsoft scheinen gegenüber kleineren und bereits etablierten Anbietern wie Strato, Dropbox oder Cloudsafe geringfügig im Vorteil.
Der Kampf um die Kunden indes ist in vollem Gange. Insbesondere die Computer- und Softwareanbieter sehen die Wolke als große Chance, ihre Klientel an sich zu fesseln. Am aggressivsten agiert Apple. Jahrelang tat sich das Unternehmen mit seinen Cloud-Angeboten schwer. Der im Juli 2008 gestartete Bezahlservice MobileMe, der Kontakte, Terminkalender und Dokumente mit Computer und Smartphone synchronisierte, litt unter Problemen beim Datenabgleich.
Wutentbrannt feuerte der damalige und inzwischen verstorbene Apple-Chef Steve Jobs die Verantwortlichen. Danach machte er den Dienst zur Chefsache, taufte ihn um in iCloud und machte ihn kostenlos.
Apple könnte den Hype um die Cloud anfeuern
Seitdem ist der Service kein schwieriges Stiefkind mehr, sondern der zentrale Anlaufpunkt für alle Apple-Endgeräte. Die „Seele“ wie ihn Jobs bei seinem letzten Auftritt nannte. Auch Windows-PCs lassen sich einbinden. Im Oktober gestartet, ist iCloud inzwischen das am schnellsten wachsende Angebot von Apple. „Wir haben bereits über 100 Millionen Nutzer gewonnen. Das ist unglaublich“, prahlt Apple-Chef Tim Cook. Das entspräche einer Million Nutzer pro Tag, seit die iCloud im Oktober 2011 an den Start ging.
Geht es nach Cook, ist das erst der Anfang. Im Sommer soll das neue Betriebssystem für den Mac namens Mountain Lion auf den Markt kommen, das laut Apple erstmals rund um iCloud konzipiert wurde. Dadurch würden etwa die Dokumente in der Apple-Bürosoftware iWorks automatisch zur iCloud wandern, wodurch alle anderen Apple-Endgeräte Zugriff auf diese Daten hätten und diese bearbeiten könnten.
Zwar ist die Nutzung von iCloud weiterhin freiwillig. Doch Apple macht Druck. Zum Start von Mountain Lion sollen die Kunden nach ihrem iCloud-Konto gefragt oder gedrängt werden, gleich eines anzulegen.
Das Kalkül ist klar: Je mehr Daten in der iCloud abgelegt werden und je mehr persönliche Geräte angeschlossen sind, umso geringer ist die Gefahr, dass der Kunde zur Konkurrenz wechselt. Mehr noch: Der Dienst ist so angelegt, dass er all seine Vorteile nur dann richtig ausspielt, wenn der Nutzer Apple-Geräte benutzt. Der Kunde ist dann in Apples Ökosystem gefangen.
Die Cloud wie ein lokales Laufwerk anzeigen
Dennoch erwartet IDC-Manager Moussavi-Amin vom Apple-Vorstoß einen neuerlichen Boom: „Die gewohnt einfache Nutzung bei Apple dürfte dazu beitragen, dass beim Endnutzer ein wahrer Hype um die Cloud ausgelöst wird.“
Erzrivale Microsoft, der in den vergangenen Jahren vor allem bei Smartphones und Tablets weit hinter Apple zurückgefallen ist, bläst zur Aufholjagd. Dabei soll Windows 8 helfen, die nächste Version des Betriebssystem-Klassikers, die im Laufe des Jahres auf den Markt kommt. Zentraler Bestandteil von Windows 8 soll der hauseigene Cloud-Speicherdienst Skydrive werden: Microsoft will Skydrive demnach ähnlich wie eine lokales Laufwerk auf dem Rechner direkt in Windows 8 integrieren und im Datei-Explorer anzeigen.
Microsoft baut ein neues Rechenzentrum in Dublin
PC-Nutzer können dadurch künftig per Mausklick entscheiden, ob sie Daten auf der lokalen Festplatte oder in der Cloud speichern. Die Synchronisation der Cloud-Dateien zwischen PC, Smartphone oder Tablet soll nach ähnlichem Muster funktionieren wie bei Apple.
Wie wichtig das Geschäft mit der Internet-Wolke für den weltgrößten Softwarekonzern inzwischen ist, zeigt sich auch auf anderen Feldern. Erst Ende Februar hat Microsoft angekündigt, sein Rechenzentrum in Dublin auszubauen und die bisherigen Investitionen von 500 Millionen Dollar um weitere 130 Millionen Dollar aufzustocken. Hauptgrund laut Microsoft: eine erhöhte Nachfrage nach cloudbasierten Softwarelösungen. „Die Investitionen verdeutlichen, wie wir uns in Zukunft aufstellen und ausrichten“, sagt Microsoft-Deutschland-Chef Ralph Haupter.
Bildergalerie: Die wichtigsten Cloud-Computing-Anbieter
Stramm in Richtung Cloud marschiert ebenfalls die Deutsche Telekom. Seit Monaten erhalten Telekom-Kunden mit ihren DSL- oder Handyrechnungen Flyer, in denen der Magenta-Riese seinen Web-Dienst namens Mediencenter bewirbt. „Das Mediencenter ist Ihr sicherer Speicher in der Telekom-Cloud“, heißt es da. Dabei wollen die Bonner mehr bieten als nur eine Internet-Festplatte, die immerhin auch bereits 25 Gigabyte kostenlosen Speicher umfasst.
So lassen sich via Mediencenter unter anderem auch Kontakte, Kalendereinträge und E-Mails synchronisieren. Experten bewerten die Strategie positiv: „Weil sich das Angebot an Bestandskunden richtet, kann die Telekom Nutzer ansprechen, die sich bisher noch nicht mit dem Thema Cloud befassen“, sagt Steve Janata, Analyst bei der Experton Group.
Die Vorteile der unabhängigen Dienstleister
Während Microsoft und Apple ihre Cloud-Dienste in das Betriebssystem integrieren, versuchen unabhängige Dienstleister, die Giganten durch selbstständige Angebote auszustechen. Vor allem die US-Startups Box, SugarSync und Dropbox liefern sich einen erbitterten Wettstreit rund um kostenlosen Speicherplatz. Sie haben den Vorteil, dass sie mit fast allen Endgeräten – egal, von welchem Hersteller – funktionieren. Wie groß die Hoffnungen der Newcomer sind, zeigen die Summen, die ihnen Kapitalgeber zur Verfügung stellten: Box hat insgesamt 159 Millionen Dollar eingesammelt, Dropbox gar 257 Millionen.
Das Kalkül der Investoren ist klar: Sie wetten darauf, dass die großen Hard- und Softwareanbieter diese Unternehmen aufkaufen müssen, um selber das Geschäft zu machen. „Je mehr Nutzer sich an einen Cloud-Dienstleister gewöhnen, umso unabhängiger werden sie vom Anbieter des Endgeräts und dessen Betriebssystem“, sagt Bill Gurley vom Wagnisfinanzierer Benchmark Capital, der in Dropbox investiert hat. Das sieht Michael Gartenberg vom Beratungsunternehmen Gartner ganz ähnlich: „Die persönliche Wolke wird wichtiger als der persönliche Computer.“