Computerspiele Wie Facebook-Spiele die Branche verändern

Menschen die sich nie für Computerspiele interessierten, zocken plötzlich auf Facebook FarmVille oder Mafia Wars. Die entstehende virtuelle Ökonomie revolutioniert die Spielewelt und schreckt die etablierten Hersteller auf.

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Erfolgsspiel FarmVille: Rund 83 Millionen Nutzer weltweit

Sie stehen morgens eine halbe Stunde früher auf, um ihr virtuelles Feld abzuernten, Freunden Tomaten vom computergenerierten Strauch zu stehlen oder per Mausklick einen Gangster aus einer verfeindeten Mafiafamilie umzulegen. Sie pflanzen Bäume, züchten Kühe, schütten Inseln auf: Hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt beginnen gerade, in sozialen Netzwerken wie Facebook mit Freunden Spiele zu spielen – sogenannte Social Games.

Viele von ihnen konnten Computerspielen bislang wenig abgewinnen. Doch auf einmal sind sie begeisterte Fans von FarmVille, Island Paradise oder Restaurant City. Spiele, in denen Menschen via Internet gegeneinander antreten können. Social Games sind zudem meist kostenlos, einfach zu bedienen und grafisch von solch bemerkenswerter Schlichtheit, dass man denken könnte, sie seien vor 20 Jahren für den Commodore C 64 entwickelt worden. Ebenso schlicht ist oft ihre Handlung: Ackerbau, ein Restaurant aufbauen, Verbrecher jagen – Dinge, die Menschen rund um den Globus verstehen.

Das bekannteste Spiel der neuen Gattung ist FarmVille von dem US-Startup Zynga. Ziel des Spiels ist, einen erfolgreichen Bauernhof aufzubauen. Das versuchen weltweit mehr als 83 Millionen Menschen, 31 Millionen sogar täglich. Dabei gibt es die Bauernhofsimulation erst seit Juni 2009. Das Spiel Café World wiederum, in dem die Spieler einen virtuellen Coffee Shop betreiben, hat 30 Millionen Nutzer.

Social Games sind in der Regel typische Managementspiele

Und das Potenzial für weitere Spieler ist riesig: Wachsen die sozialen Netzwerke im Internet in der Geschwindigkeit weiter, werden sie bald mehr als eine Milliarde Mitglieder haben – ein Siebtel der Weltbevölkerung. Allein Facebook hat rund 500 Millionen Nutzer. Viele von ihnen, das zeigt die Erfahrung, versuchen sich in Social Games. Das wird die Unterhaltungsbranche für immer verändern. Noch ist die Social-Gaming-Industrie mit einem jährlichen Umsatz von rund einer Milliarde Dollar klein. Die klassische Videospieleindustrie dagegen, die grafisch aufwendige Action-Spektakel wie Grand Theft Auto entwickelt, bringt es auf 50 Milliarden Dollar Umsatz. Trotzdem verdirbt der Social-Gaming-Boom den Machern klassischer Computerspiele die Laune. Denn ihnen machen heftige Umsatzeinbrüche zu schaffen.

Viele ahnen, dass sich ihr Geschäftsmodell ändern muss. Denn anders als traditionelle Spiele sind Social Games für jeden im Netz kostenlos erreichbar. Die Anbieter verdienen ihr Geld nicht mit dem Verkauf der Software, sondern mit virtuellen Gütern wie Pflanzendünger oder Diesel für Traktoren, mit denen sich Spieler einen Vorteil erkaufen können: Eine Pflanze im Ackerbau-Spiel Island Paradise zu düngen kostet 20 Meteor Credits. Für 500 Meteor Credits verlangt der Anbieter Meteor Games 4,99 Dollar. Je mehr die Spieler düngen, desto schneller erreichen sie das nächste Level.

„Die Social Games sind in der Regel typische Managementspiele“, sagt die Düsseldorfer Spieldesign-Professorin Linda Breitlauch. Es gehe für den Spieler darum, mehr Geld zu verdienen, damit er seine Insel vergrößern, seinen Hof besser ausstatten oder sein Café hübscher einrichten kann. Damit könne er dann seine Freunde im sozialen Netzwerk ausstechen – ganz wie im echten Wirtschaftsleben. Denn jede noch so kleine Erfolgsmeldung in den Spielen wird sofort allen Facebook-Kontakten mitgeteilt.

Kein Unternehmen ist in dem neuen Geschäft so erfolgreich wie das Startup Zynga. Von dem Spieleentwickler aus San Francisco stammt nicht nur FarmVille. Auch andere erfolgreiche Social Games wie Texas HoldEm Poker mit 28 Millionen Spielern und Mafia Wars mit 25 Millionen Mitgliedern kommen aus der Game-Schmiede, die bald 1000 Mitarbeiter beschäftigt. Insgesamt hat Zynga laut Branchendienst AppData 240 Millionen Kunden – fast vier Prozent aller Menschen. Einige schätzen den Wert des drei Jahre -alten Unternehmens auf drei Milliarden Dollar.

Zwischen drei und fünf Prozent der Spieler kaufen laut Zynga-Entwicklern virtuelle Güter oder nehmen Werbeangebote von Drittunternehmen an, die Zynga Geld bringen. Letzteres hat dem Unternehmen im vergangenen Jahr heftige Kritik und eine Sammelklage eingebracht, weil oft Abo-Fallen dahinter steckten. Das Unternehmen stellte die Praxis nach eigenen Angaben inzwischen ein.

Grafik: Spieler sozialer Spiele

Die Geschäfte jedoch laufen dennoch gut: Zynga veröffentlicht zwar keine Geschäftszahlen, hat aber laut Schätzungen 2009 zwischen 100 und 250 Millionen Dollar umgesetzt. Dabei interessierte sich Zynga-Chef Mark Pincus eigentlich gar nicht für Computerspiele. Vor einigen Jahren fiel ihm allerdings auf, dass „etwas im Internet seltsam schiefläuft“, wie er sagt. „Nach meiner Meinung hätten Spiele die zweit- oder drittwichtigste Sache im Netz sein müssen.“ Waren sie aber nicht. Das wollte er ändern.

Wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ist Pincus Absolvent der US-Eliteuniversität Harvard. Nach einem Konzern-Job gründete er Freeloader, einen Dienst, der das Netz automatisch nach Daten durchsucht und sie speichert, verkaufte ihn aber schnell. Anschließend brachte er den Supportsoftware-Anbieter SupportSoft und das soziale Netzwerk Tribe auf den Weg, die er ebenfalls versilberte. 2007 schuf er Zynga.

Mittlerweile gehört sein Unternehmen zu den wichtigsten Partnern des weltgrößten Online-Netzwerks Facebook. Denn die meisten Spiele funktionieren nur innerhalb des sozialen Netzwerks. Facebook wiederum erwirtschaftet nach Branchenschätzungen 10 bis 20 Prozent seines Umsatzes mit Werbung von Zynga. Zwischen beiden entsteht ein immer enger verflochtenes Ökosystem. Keiner kann mehr ohne den anderen: Inzwischen treten manche Menschen nur deshalb Facebook bei, um gegen Freunde in Zynga-Spielen antreten zu können. Und die Zahl der neuen Spiele wird in den nächsten Monaten noch deutlich steigen. Brian Reynolds, Spieledesigner von Zynga, verriet kürzlich: Die Entwicklung neuer Social-Games koste sein Unternehmen zwischen 100 000 und 300 000 Dollar, weit weniger, als die Entwicklung traditioneller Spiele. Einer der Gründe: Die grafische Oberfläche basiert grundsätzlich auf Adobes universalem Multimediastandard Flash.

Facebook-Versionen von klassischen Spielen

Der Aufstieg von Zynga dürfte auch die Wagniskapitalfirmen Kleiner Perkins und Foundry Group beeindrucken. Beide investierten millionenschwere Summen in das Unternehmen. Im Dezember erhielt Zynga zudem eine 180-Millionen-Dollar-Geldspritze von der russischen Investmentfirma Digital Sky Technologies – nachdem die für 200 Millionen Dollar auch bei Facebook eingestiegen war.

Der US-Spieleriese Electronic Arts (EA) hatte sich einen Monat zuvor für 300 Millionen Dollar den britischen Zynga-Konkurrenten Playfish gekauft. Der hat soziale Spiele wie die Haustier-Simulation Pet Society und die Gaststätten-Simulation Restaurant City im Programm. EA besitzt zwar selbst viele talentierte Spieledesigner. Doch die zu fragen, ein Social Game zu entwickeln, sei laut EA so, als würde man einen professionellen Baseballspieler dazu auffordern, Golfer zu werden. Tatsächlich gibt es Unterschiede: Werden klassische Spiele alle zwei bis drei Jahre überarbeitet, bekommen Social Games fast im Wochentakt neue Funktionen, Herausforderungen und Figuren.

Nun versucht EA, Facebook-Versionen von Bestsellern wie Die Sims oder Need For Speed herauszubringen. Playfish-Gründer Sebastien de Halleux prophezeit, „dass in den nächsten 24 bis 36 Monaten große Spielemarken bei Facebook auftauchen und frühe Marken an Boden verlieren werden“. Als Beispiel für den Trend nennt er das iPhone. 2008 war das bestverkaufte Spiel der Aquariumsimulator Koi Pond, der von einem unbekannten Entwickler kam. 2009 war es schon die mobile Version des EA-Hits Die Sims. Heute stammen nach eigenen Angaben sieben von zehn Top-iPhone-Spielen von EA.

Das Unternehmen hofft nun, dass das Investment in Playfish die Rettung ist. Denn der Konzern steckt in der Krise: Der Umsatz brach im letzten Quartal 2009 um schmerzhafte 25 Prozent auf 1,2 Milliarden Dollar ein, bei einem operativen Verlust von 100 Millionen Dollar. Das Management zögert zwar, einen Zusammenhang zwischen dem Boom der Social Games und der Flaute bei normalen Spielen herzustellen. Doch wer mit Freunden online spielt, hat keine Zeit mehr für klassische Videospiele wie etwa das Kriegsspiel Battlefield.

Und so werden Branchenbeobachtern zufolge klassische Spiele in den nächsten Jahren immer mehr zu Social Games mutieren. Microsoft etwa experimentiert mit einer Anbindung der Videospielkonsole Xbox 360 an die sozialen Netzwerke Twitter und Facebook. Spieler, die ihre Konsolen über den Microsoft-Dienst Xbox Live vernetzen, können via Facebook und Twitter kommunizieren. Für diesen Zusatzdienst berechnet Microsoft seinen Kunden monatlich fünf Euro.

Zugleich dürften die Spiele zunehmend zu einem Zeitvertreib für unterwegs werden: Zwar unterstützen derzeit weder Apples iPhone noch die meisten anderen Handys Flash-Software. Doch Zynga hat inzwischen eine erste iPhone-Version von Mafia Wars herausgebracht, die nicht auf Flash basiert. Playfish-Gründer de Halleux ist überzeugt, dass es für Anbieter künftig überlebenswichtig sein wird, dass Nutzer die Spiele auf allen Geräten erreichen können: auf Fernsehern, Handys, Tablet-Rechnern, Konsolen und PCs.

Zynga-Spiel Café World: Social Games sind „typische Managementspiele“

Heimlicher Gewinner des Spielebooms ist das Online-Versandhaus Amazon. Von der Masse der Online-Nutzer unbemerkt, hat Amazon ein neues Geschäft etabliert, die Vermietung von Serverkapazitäten. Spieleanbieter können dort flexibel Speicherplatz und Rechenleistung buchen und abgeben – binnen Minuten. Dieses sogenannte Cloud Computing sowie immer schnellere Internet-Leitungen haben den Aufstieg von Facebook, Zynga und Playfish überhaupt erst möglich gemacht.

Keines der Startups hätte so schnell eigene Serverparks aufbauen können, um die explosionsartig steigenden Spielerzahlen zu bewältigen. „Wir besitzen keinen einzigen Server, nur Laptops, Internet-Anschlüsse und Büroräume in London, San Francisco und Peking“, sagt Playfish-Chef de Halleux. Vergangenes Jahr ist Playfish nach eigenen Angaben von 22 auf 55 Millionen Nutzer gewachsen, ohne Cloud-Dienste, wie Amazon sie bietet, wäre das unmöglich gewesen. Ebenso geht es Zynga. Mietet ein Spielehersteller einen Amazon-Server, kostet das zwar doppelt so viel wie ein eigener Großrechner. Doch in schwachen Zeiten steht der nicht ungenutzt herum. Durch diese Flexibilität sparen Unternehmen die Mehrkosten wieder ein, sagt der Gründer und Chef des deutschen Spieleanbieters GameDuell, Kai Bolik.

Damit die virtuelle Ökonomie in den Social Games aber wirklich gedeihen kann, brauchen sie ein reibungslos funktionierendes Zahlungssystem. Bislang müssen die Spieler externe Bezahldienste wie Social Gold nutzen. Ein integrierter Bezahldienst in den Plattformen wie Facebook würde es den Spielern noch leichter machen, Geld auszugeben, heißt es bei den Spieleanbietern. Das will Facebook möglich machen – gegen 30 Prozent Umsatzprovision. Eine Vorversion des Zahlsystems namens Facebook Credits testet das soziale Netzwerk seit vergangenem Sommer. Nutzer können dort ihr Geld gegen die virtuelle Währung Facebook Credits tauschen, mit der sie dann problemlos virtuell Getreidedünger, Waffen und zusätzliche PS anschaffen können.

Auch hierzulande kommt Spiele-Szene in Gang

Um das Projekt nun endlich offiziell starten zu können, sucht Facebook per Stellenanzeige nach Experten: In einer Ausschreibung etwa fahndet das Unternehmen nach Zahlungs- und Risiko-Spezialisten, die neue Zahlungssysteme testen und in Europa einführen können. Gerüchten zufolge will Facebook alle Anbieter von Facebook-Anwendungen künftig zwingen, Nutzern die Zahlung per Facebook Credits anzubieten. Einige Branchenbeobachter spekulieren nun schon, dass das soziale Netzwerk seine neue Währung auch außerhalb des Netzwerkes anbieten könnte. Von manchen sozialen Spielen werden Facebook Credits schon akzeptiert, darunter FarmVille, Island Paradise und Happy Aquarium.

Und obwohl die meisten großen Social-Games-Hersteller aus dem angloamerikanischen Raum stammen, kommt die Szene nun auch hierzulande in Gang: Der Hamburger Online-Spielehersteller Bigpoint, der weltweit größte seiner Art, testete im Dezember mit dem Straßenlebensimulator Trash Heroes sein erstes Facebook-Spiel. Und beim Berliner Online-Spieleportal -GameDuell arbeitet derzeit ein Drittel der Entwickler an sozialen Spielen, sagt dessen Chef Bolik. „Wir wollen auf den amerikanischen Markt, dort kommt man an Facebook überhaupt nicht mehr vorbei.“ Kinder, Eltern, Großeltern – alle seien sie in dem Netzwerk unterwegs.

In Großbritannien und Australien sei es ähnlich, und auch in Frankreich und Spanien gebe es eine riesige Facebook-Mitgliederschar. Deutschland sei zwar nicht annähernd auf dem Niveau. Doch Bolik ist überzeugt, dass sich die Entwicklung hier nur zwei Jahre verzögert vollziehen wird. Game-Duell hat neben seinem unternehmenseigenen Spieleportal zwei soziale Facebook-Spiele im Programm – das Sortierspiel Jungle Juwels und das Klickspiel Bubble Pop. Auch hier zahlen Nutzer für virtuelle Güter, etwa einmal 50 Cent für die Funktion, die es erlaubt, eine Pause beim Spielen einzulegen, ohne abzubrechen. Weil das 200-Mitarbeiter-Unternehmen seit Jahren Browserspiele entwickelt, ist der Aufwand gering. Technisch unterscheiden sich Browserspiele und Social Games nur dadurch, dass sie nicht auf der firmeneigenen Plattform laufen, sondern bei Facebook. Die Entwicklung eines Spiels koste GameDuell daher nur 10 000 Euro, sagt Firmenchef Bolik.

Als Problem betrachten die Deutschen allerdings die Abhängigkeit von Facebook als Plattform. Der GameDuell-Gründer beklagt, dass die Kalifornier ständig Änderungen vornehmen, etwa bei Privatsphäre-Einstellungen. „Im schlimmsten Fall funktioniert das eigene Produkt von heute auf morgen nicht mehr “, sagt er. Sende man Anfragen, bekomme man nur manchmal eine Antwort. Playfish-Chef de Halleux wiederum verteidigt Facebook: Die Plattform sei erst vier Jahre alt, müsse sich entwickeln. Doch wird es für Neulinge schwieriger, sich gegen Zynga und Playfish durchzusetzen. Die bewerben in ihren Spielen andere eigene Spiele. Hat der Nutzer eines satt, steigt er auf eines dieser um. Zudem wird das Angebot im Netzwerk unübersichtlich, gibt es doch schon über 500 000 Anwendungen.

Eine weitere Spezies sozialer Spiele hat ihren Durchbruch bei Facebook noch vor sich: die ortsbasierten Spiele, die den Aufenthaltsort des Nutzers hinzuziehen. Für das iPhone gibt es erste Versuche. Mit Gowalla etwa kann der Nutzer an öffentlichen Orten wie Flughäfen oder Cafés virtuelle Geschenke sammeln, die andere Mitspieler dort abgelegt haben. In den USA ist zudem MyTown sehr erfolgreich, eine Art Monopoly für die wirkliche Welt. Inzwischen arbeitet Facebook an einer Einbindung von Ortungsdiensten in die Plattform. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis Spielehersteller solche Ideen massenhaft umsetzen. Und das dürfte die nächste Welle auslösen.

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