Digitale Welt "Der Chef ist selten der beste Experte im Team"

Wie verändern sich Konzerne unter dem Einfluss des Internets und der sozialen Netzwerke? Ein Gespräch mit drei Vorständen über Erfolgsstrategien deutscher Unternehmen für das digitale Zeitalter.

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Digitale Zeitreisende

Von Franz Rother, Jürgen Berke und Thomas Kuhn

Vernetzte Mobilität, neue Arbeitswelten – und eine nie da gewesene Macht der Kunden: Das Internet revolutioniert nahezu alle Branchen. Neue Beziehungssysteme und Datenströme verändern die Strukturen und Prozesse innerhalb des Wirtschaftslebens – schon wird der Ruf nach neuen Managementmodellen im digitalen Zeitalter laut. Auf diese Umwälzungen müssen sich Unternehmen einstellen. Wie dieser Prozess aussehen kann und welche Chancen digitale Technologien bieten, beschreiben prominente Wissenschaftler und Konzernlenker in einem neuen Buch ("Erfolg im digitalen Zeitalter, Strategien von 17 Spitzenmanagern"). Zu den Mitautoren gehören TUI-Chef Michael Frenzel, Audi-Lenker Rupert Stadler und Adidas-Boss Herbert Hainer. Kurz vor Beginn des deutschen IT-Gipfels, den Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag dieser Woche eröffnet, hat die WirtschaftsWoche mit den drei Konzernchefs in die Zukunft geblickt.

WirtschaftsWoche: Herr Frenzel, Herr Hainer, Herr Stadler, Sie haben ein Buch über Erfolg im digitalen Zeitalter geschrieben. Darin geht es auch um die Macht sozialer Netzwerke. Bei Facebook sind Sie aber nicht präsent. Bleibt der digitale Wandel für Sie Theorie?

Frenzel: Ich war mal bei Facebook – und bekam sehr schnell sehr viele Freunde, mit denen ich eigentlich nicht befreundet sein wollte. Es war nicht einfach, sich da wieder auszuklinken. Raus kam ich nicht mehr, aber ich habe mich stillgelegt.

Stadler: Als ich mich bei Facebook anmelden wollte, haben meine Kinder gesagt: Bloß nicht. Sonst erfährst du ja alles über uns. Da habe ich es dann gelassen.

Und was hinderte Sie, Herr Hainer?

Hainer (lacht): Meine Tochter ist dabei. Einer aus der Familie muss reichen.

Grundregeln zum sicheren Einkauf im Internet

Wie erfahren Sie dann, wie soziale Netzwerke Ihr Unternehmen beurteilen?

Hainer: Wir haben viele Mitarbeiter, die sich um das Thema kümmern. Die sind viel internetaffiner als ich und sprechen die Sprache dieser Welt. Mal im Ernst, es hängt doch nicht am Facebook-Profil, ob man den dramatischen Wandel mitbekommt, zu dem die Digitalisierung die Wirtschaft treibt.

Zu was werden Sie denn getrieben?

Frenzel: Nehmen wir TUI als Beispiel. Da ist es ganz dramatisch, denn wir verlieren durch die sozialen Netzwerke unser Informationsmonopol. Wir hielten früher als Reiseveranstalter alle Fäden in der Hand. Wir kannten die Hotels, die Flugverbindungen. Heute haben wir absolute Transparenz. Die Kunden tauschen Informationen und Erfahrungen aus, sie wissen so manchmal mehr als wir. Dadurch kriegen wir ein völlig anderes Geschäftsmodell.

Stadler: Die Stimme des Kunden erhält durch das Internet ein ganz anderes Gewicht. Einmal über die Geschwindigkeit, mit der Informationen ausgetauscht werden. Zum anderen besitzen wir längst kein Informationsmonopol mehr – der Kunde tauscht sich heute über unsere Autos in Echtzeit aus. Er kann ein Modell so positiv, aber auch negativ bewerten und seine Meinung offen und grenzenlos artikulieren.

Wer begeistern will, muss überraschen

Herbert Hainer Quelle: dpa

So mächtig, dass Audi auch die Produktion umstellt, wenn der Schwarm im Netz statt eines Sportwagens von Ihnen lieber einen Pick-up hätte?

Stadler: Die Entscheidung für ein neues Auto basiert auf vielen Einflussfaktoren. Und: Wer seine Kunden begeistern will, muss sie überraschen. Wir glauben auch, dass der Kunde bei millionenfacher Wahlfreiheit in der Produktkonfiguration schon die Möglichkeit hat, sein neues Auto selbst zu designen.

Beziehen Sie auch Wissen von außen ein, um Ihre Unternehmen zu entwickeln?

Frenzel: Meine Tochter schreibt gerade eine wissenschaftliche Arbeit über Open Innovation am Beispiel VW. Der Konzern, das weiß ich aus meiner Tätigkeit als Aufsichtsrat, geht mit anderen Unternehmen Entwicklungspartnerschaften ein. Das passiert in der Autoindustrie schon länger, aber auch in unserer Branche. Wir kooperieren in einzelnen Feldern mit anderen Unternehmen und tauschen uns da aus.

Die wichtigsten IT-Trends

Das sind bekannte Partner. Das Internet bietet aber auch die Möglichkeit, die Intelligenz der Masse anzuzapfen.

Frenzel: Free lunch gibt es nicht. Natürlich gibt es viele Ideen, aber meist auch eine Rechnung dazu. Ja, wir sehen uns Ideen an, die an uns herangetragen werden. Wenn sie gut sind, überlegen wir, wie wir sie in unser Innovationsmanagement integrieren können. Bestimmte neue Hotelkonzepte sind auf diese Art entstanden: Dort war der Kunde der Innovator.

Immerhin sehen Sie sich die Ideen an. Apple lehnt das ab – aus Sorge, in Urheberstreitigkeiten verwickelt zu werden.

Hainer: Zuhören sollte man schon, denn über das Netz kommen manchmal wirklich sehr gute Anregungen: Unser nächster WM-Ball, der 2014 in Brasilien eingesetzt wird, heißt Brazuca.

Das klingt gefährlich – wie Bazooka.

Hainer: Unsere Konsumenten in Brasilien haben den Namen ausgewählt. Wir haben die über das Fernsehen gebeten, sich einen Namen einfallen zu lassen und uns Vorschläge zu schicken. So kann man die Konsumenten einbinden. Aber in erster Linie müssen die Innovationen natürlich aus dem Unternehmen kommen. Denn in der Regel weiß der Kunde heute noch nicht, was ihm morgen gefällt.

Stadler: Ideen hat der Kunde permanent, und die stellt er dann auch online. Die sieht man sich an und hört als Hersteller aufmerksam zu.

Um Ideen für neue Produkte zu kriegen?

Hainer: Nach meiner Überzeugung ist das Produkt nur ein Nebenaspekt. Viel wichtiger ist die Marke. Adidas hat mittlerweile 32 Millionen Fans auf Facebook. Die diskutieren beispielsweise darüber, wie der Messi Fußball spielt, aber nicht, ob er schlecht spielt, weil ihn vielleicht unser Schuh drückt. Insofern wird das Image einer Marke durch die Netzwerke stärker geprägt als das Produktportfolio.

Frenzel: Das ist bei uns natürlich anders. Am Anfang hat uns interessiert zu erfahren, was der Kunde kauft und wie er kauft. Inzwischen verändert die Digitalisierung das Reiseverhalten an sich.

Das Reiseverhalten wird sich ändern

Rupert Stadler Quelle: dpa

Erholen wir uns künftig rein virtuell?

Frenzel: Auch in Zukunft werden die Kunden ihren Urlaub ganz real verbringen wollen und nicht im Holodeck. Aber sie wollen sich nicht mehr in Programme einbinden lassen, sondern flexibel bleiben. Die Kunden sind 24 Stunden online und agieren spontaner als früher. Das bedeutet, das Reise- und das Buchungsverhalten ändert sich gerade komplett.

Wird auch der Autokauf spontaner?

Stadler: Vor zehn Jahren haben sich unsere Kunden im Autohaus zunächst einen Katalog besorgt. Heute kommen sie ins Autohaus und sind bereits bestens informiert. Auch die Konfiguration eines neuen Automobils rein virtuell im Internet ist für die junge Generation eine Selbstverständlichkeit. Im Audi City-Showroom in London zeigen wir, wie man daraus ein innovatives Präsentationstool mit Gestensteuerung entwickelt. In Zukunft wird man vielleicht sogar zu Hause das Produkt virtuell dreidimensional in Originalgröße erleben können und im Gespräch mit seinem persönlichen Avatar auch bestellen. Da ergeben sich riesige Chancen, und es wird sich in Zukunft einiges drehen und wenden.

Und das Auto wird – wie Reisen oder die Sportausrüstung – im Internet geordert?

Stadler: Das reale Erlebnis zum Schluss will man schon haben. Eine Probefahrt gibt’s nicht übers Internet – und das echte Markenerlebnis auch nicht.

Hainer: Online-Shopping gibt es doch heute schon. Flüge bucht man übers Internet, auch Hotels und Schuhe. Adidas-Artikel kriegen Sie auch auf der Web-Site von Sport Scheck und bei Zalando. Warum auch nicht? Für uns ist der Online-Vertrieb eine gute Ergänzung.

Frenzel: Es wird immer schwieriger, Absatzwege zu kanalisieren. Die Digitalisierung sorgt für totale Transparenz über das Produkt, auch über Preise. Der Kunde informiert sich direkt und unmittelbar.

Das Reisebüro wird dabei überflüssig?

Frenzel: Multichannel ist der Trend. In Deutschland hat das Reisebüro immer noch einen großen Stellenwert, in Skandinavien aber werden fast 70 Prozent der Reisen online gebucht, in England kommen etwa 40 Prozent der Buchungen übers Internet, in Deutschland sind es knapp 20 Prozent. Da bewegt sich was.

Der Verkäufer wird zum persönlichen Avatar

Michael Frenzel Quelle: dpa

Könnte Audi auf Autohändler verzichten?

Stadler: Im Neuwagengeschäft eines Premiumanbieters ist er unverzichtbar. Der Händler wird im Gegenteil sogar wichtiger, weil er vielfältigere Aufgaben bekommt. Eine Beziehung zum Autokäufer pflegen – das geht nicht nur über das Internet. Die Schnittstelle Handel wird im Zeitalter der Digitalisierung eine andere Wertigkeit und Form bekommen – der Verkäufer wird zu einer Art persönlichem Avatar, der immer da sein muss und die vielfältigsten Kundenwünsche löst. Denn der Kunde der Zukunft will alles haben, nur keinen Stress.

Ist die Industrie für die direkte Kommunikation mit dem Kunden schon gerüstet? Zum Teil werden E-Mail-Anfragen immer noch erst nach Wochen beantwortet.

Stadler: Wir sind auf einer Reise in ein neues Zeitalter und müssen uns auf die Bedingungen, die uns dort erwarten, noch einstellen. Es ist gar nicht so einfach, die vielen neuen Kontakte, die wir heute über das Internet knüpfen – per E-Mail, Twitter, Facebook, YouTube oder Google+ – sauber zu kanalisieren. Anfragen dürfen natürlich nicht im Nirvana landen. Aber eine fundierte Antwort kann man nicht eben mal aus dem Ärmel schütteln.

Trotzdem: Hat die Wirtschaft wirklich verstanden, was da auf sie zukommt?

Frenzel: Die große Aufgabe wird es sein, die Transformation zu managen. Wir haben heute eine stationäre Vertriebslandschaft mit Tausenden Reisebüros, die in Deutschland noch 60 bis 70 Prozent unseres Umsatzes ausmachen. Die können und wollen wir nicht einfach abknipsen und auf Online umschalten. Das muss man managen. Auch in Zukunft wird es noch einen bedeutenden stationären Vertrieb geben.

Hainer: Es ist ein hochkomplexes Thema. Aber ich behaupte für unser Unternehmen, dass wir von der Entwicklung nicht überrascht werden. Unsere Kernzielgruppe sind Menschen im Alter von 14 bis 19 Jahren. Das Durchschnittsalter in unserer Zentrale liegt bei 31 Jahren. Die Beschäftigten kommen aus 50 Nationalitäten und beschäftigen sich intensiv mit der Zielgruppe. Ich behaupte nicht, dass wir schlauer sind als andere. Aber wir zählen sicher zu den Unternehmen, die sich frühzeitig mit den Auswirkungen der Digitalisierung beschäftigt haben. Die Ausbreitung sozialer Netzwerke kam für uns nicht überraschend.

Warum sitzen Ihre Unternehmen dann nicht mit am Tisch, wenn die Kanzlerin diese Woche diskutiert, wie Deutschland den Rückstand in der IT gegenüber anderen Ländern verkürzen kann?

Stadler: Weil wir schon weiter sind – unsere Unternehmen sind global aufgestellt. Audi ist seit einiger Zeit auf der Consumer Electronic Show in Las Vegas präsent: einerseits, weil wir dort unsere Modelle als rollende Mobile Devices vorführen. Andererseits, weil wir uns informieren wollen, was in der schnelllebigen Welt der Consumer Elektronic passiert. Dort haben wir sehr früh realisiert, dass 3-D-Grafiken Standard werden, nicht nur für PCs, sondern auch bei der Navigation im Auto. Und dort lernten wir, wie wichtig es ist, unsere eigenen Produktzyklen mit denen der IT-Branche zu koordinieren. Deshalb haben wir einen Modularen Infotainment Baukasten entwickelt, der unsere Techniker in die Lage versetzt, in Modellen wie dem A3 überholte Grafikhardware gegen die neueste Generation auszutauschen. Oder bald schon ohne Werkstattbesuch die Software im Auto zu aktualisieren. Also: Wir sind deutsche Unternehmen, aber trotzdem in der ganzen Welt zu Hause.

Informationsketten werden beschleunigt

WirtschaftsWoche-Redakteure und Vorstandschefs bei der Diskussion

Stehen ähnliche technische Umbrüche auch der Reisebranche bevor?

Frenzel: Wir hatten früher ein lineares Geschäftsmodell: Wer einen Urlaub buchen wollte, ging ins Reisebüro, das Verbindung zu einem Veranstalter aufnahm und Ihnen dann bestimmte Leistungen verkaufte. Sie sind dann in ein Flugzeug gestiegen, am Flughafen des Zielorts abgeholt und zu einem Hotel gebracht worden. Direkten Kontakt zum Kunden hatten wir nur durch unsere Reiseleiter. Heute haben wir entlang dieser ganzen Erlebniskette immer wieder digitale Anknüpfungspunkte, auch nach dem Urlaub noch. Sie haben also einen permanenten Informationsstrom und auch permanent die Möglichkeit, Leistungen zu verkaufen. Auf unserer Web-Site Trek America für US-Reisen treffen sich die jungen Urlauber bereits Wochen vor dem Abflug im virtuellen Raum und tauschen sich aus. Solche Plattformen wird es in Zukunft in noch größerer Zahl geben, die zentral gesteuert werden für Kunden in aller Welt.

Hainer: Durch die Digitalisierung beschleunigen sich Informationsketten und Geschäftsprozesse ungeheuer. Und zum anderen kriegt ein Unternehmen einen direkteren Kontakt zum Kunden: In unserem Nürnberger Laden "Neo" gibt es beispielsweise einen Social Mirror.

Was ist das denn?

Hainer: Das ist ein Spiegel, der mit dem Internet verbunden ist. Du probierst dort ein T-Shirt an, machst ein Foto und postest das Bild über Facebook an Freunde. Die sagen dir dann, ob ihnen das Outfit gefällt.

Stadler: Es geht ja nicht nur um die Digitalisierung und die Technologie dahinter. Es geht um eine andere Generation von Menschen, die heranwächst und ein anderes Bewusstsein hat. Wenn man sieht, wie groß heute schon der Druck ist, die Arbeitszeiten zu flexibilisieren, dann muss man feststellen, dass Arbeitgeber vielfach noch zu starr agieren. Wir werden schneller, dynamischer sein müssen: Die Generation Y beeinflusst Unternehmenskulturen.

Das heißt, das digitale Zeitalter zwingt Unternehmen auch neue Managementformen auf?

Hainer: Natürlich. Im Unternehmen selbst wird durch die Digitalisierung mittel- bis langfristig ein neues Führungsmodell gebraucht, weil Hierarchien sich wahrscheinlich weitgehend auflösen. Die junge Generation will direkt mit ihrem Chef ganz oben kommunizieren und will teilhaben am Entscheidungsprozess. Sie ist im Gegenzug sehr leistungsfähig und leistungsbereit.

Stadler: Einige kennen den Spruch "Wenn das Unternehmen wüsste, was das Unternehmen weiß". Wenn man sich da mal hineindenkt und für die Mitarbeiter eine Art "Facebook der Erfinder und Ideen" im Intranet aufsetzt...

Internet hat Wissen demokratisiert

Die besten Apps für Manager
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Screenshots von ABBYY Business Card Reader Quelle: iTunes
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...dann fielen auf einen Schlag fast alle Hierarchien weg. Wer würde das wagen?

Stadler: Wir sind dabei, solch ein "InnoBook" einzurichten. Wenn wir so zu bestimmten Problemstellungen die richtigen Experten zusammenbringen, entsteht ein ganz anderer Leistungshub als konventionell über herkömmliche Arbeitskreise.

Frenzel: Wir haben beispielsweise hotelbeds.com gestartet. Die Seite stammt aus einer Idee in einem internen Innovationskreis für das Geschäft mit Unternehmenskunden. Hier vermitteln wir Hotelbetten als Großhändler für Dritte. Wir nutzen dafür unsere Informationstechnologie, um Bettenkapazität in aller Welt einzukaufen und dann über das Netz an kleine Reisebüros zu vermarkten. Das funktioniert wie eine Börse.

Wie verändert eine solche Wikisierung des Wissens ein Unternehmen?

Stadler: Früher hieß es "Wissen ist Macht". Das Internet hat Wissen demokratisiert. So gesehen ist die Macht heute sehr weit verbreitet. Auch Führungsaufgaben werden anspruchsvoller, wenn Wissen nicht mehr hierarchisch verbreitet, sondern frei zugänglich ist. Der Chef ist da immer seltener der beste Experte im Team. Er schafft den Rahmen zum Arbeiten, fördert Kreativität, moderiert Teamprozesse und trifft mit seinem Team eine Entscheidung.

Frenzel: Wir werden eine stärker projektbezogene Organisation kriegen, in der alte Hierarchieformen stören. Teams aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen und Nationen werden sich zeitweise zusammentun, um Projekte zu stemmen – und anschließend wieder auflösen.

Stadler: Die Mitarbeiter wollen dann auch andere Freiheitsgrade haben als heute. Drei Monate lang werden die richtig Dampf im Kessel machen, um ein Projekt zu stemmen – und anschließend drei oder vier Wochen Sabbatical einfordern.

Hainer: Wir haben ja fast keine Produktionsbetriebe und keine Arbeiter mehr. In unserer Zentrale arbeiten Finanzexperten, Marketingleute, Designer und Produktentwickler. Feste Arbeitszeiten gibt es deshalb bei uns schon lange nicht mehr. Unsere Leute können heute mit ihren mobilen Geräten und dank des Internets von jedem Fleck der Welt aus arbeiten.

Die Führung einer Organisation wird dadurch aber auch nicht einfacher?

Hainer: Sicher nicht, aber die Hierarchien lösen sich ja auf. Früher hat man viel stärker über die Macht der Position regiert. Da wurde etwas vom Vorstandschef beschlossen, und das musste so gemacht werden, auch wenn es vielleicht Käse war. Heute geht das nicht mehr so einfach. Wenn man heute nicht überzeugt, hört die Mannschaft nicht auf nachzufragen.

Unternehmen müssen starre Kulturen aufbrechen

Michael Frenzel, TUI, und Rupert Stadler

Braucht es da überhaupt noch Vorstände?

Stadler: Einer muss verantwortlich sein. Aber: Wenn man die Mannschaft mitdenken lässt und stärker in die Verantwortung nimmt, wird ihr Produktivitätspotenzial größer. Wenn wir es nicht schaffen, unsere Organisationsformen weiterzuentwickeln und erstarrte Kulturen aufzubrechen, verlieren wir als Arbeitgeber an Attraktivität.

Und Ihre Führungskräfte machen da mit?

Frenzel: Natürlich gibt keiner gerne ab. Dennoch muss sich das Denken auf allen Ebenen eines Unternehmens ändern und auch in den Anforderungsprofilen für neue Mitarbeiter Niederschlag finden.

Stadler: Wir haben bei uns seit Jahren ein Stimmungsbarometer, das online die Zufriedenheit der Mitarbeiter misst und im Unternehmen transparent macht: Wie ist die Zufriedenheit mit Ihrem Vorgesetzten, fragen wir dort, fühlen Sie sich bei Audi gut aufgehoben? Wenn der neue Geist nicht überall Einzug hält, entlädt sich der Druck in solchen Befragungen und zeigt, wo es hakt. Deshalb müssen wir permanent daran arbeiten, dass Arbeit und Engagement Spaß machen.

Hainer: Schon in der Vergangenheit hat es Versuche gegeben, Mitarbeiter einzubinden – über das Vorschlagswesen oder andere Instrumente. Das geschah aber sehr formalistisch. Heute sehen wir das sportlicher: Da kriege ich eine E-Mail von einem Azubi, der von mir Erklärungen fordert. Früher hätte er Wochen auf einen Termin beim Vorstand warten müssen, wenn er ihn überhaupt bekommen hätte. Heute kriegt er eine Antwort spätestens nach einem Tag.

Von Ihnen persönlich?

Hainer: Bei der Vielzahl von Anfragen heute ist das nicht immer möglich. Aber eine individuelle Antwort gibt es auf jeden Fall.

Die Digitalisierung beschleunigt Prozesse, sorgt für Transparenz und intensiviert die Kundenbeziehungen. Wie verändert das konkret das Geschäftsmodell der TUI?

Frenzel: Wir werden uns stärker als heute auf die Inhalte konzentrieren. Wir verkaufen Träume, Erlebnisse. Die Vertriebsformen werden sich weiter massiv verändern, der direkte Dialog mit dem Kunden wird über künstliche Intelligenz noch intensiver. Unsere Angebote werden darüber immer individueller werden – pauschale Lösungen ziehen in Zukunft nicht mehr.

Schuhe werden intelligent sein

Schuhe brauchen die Menschen immer.

Hainer: Die werden wir ihnen auch liefern. Aber sie werden mehr können als nur den Fuß zu schützen. Sie werden intelligent sein, Chips besitzen und dem Träger, aber auch anderen, eine Vielzahl von Informationen liefern. Wir können unseren Kunden schon heute ein individuelles Trainingsprogramm aufs Smartphone spielen, das auf den Messwerten aus unseren Laufschuhen basiert. Und Fußballschuhe senden schon Daten darüber, wie schnell der Spieler ist und wie weit er läuft und wie viel Energie er dabei verbraucht. Der Trainer am Spielfeldrand kann dann anhand der Daten entscheiden, wann er einen Spieler auswechselt. Wir werden sicher auch über die Schuhe hinaus Dienste anbieten: Mit den vielen Daten kann man ja noch anderes machen, die haben ja einen Wert.

Vermutlich auch für Audi. Wo entwickelt sich der digitalisierte Autohersteller hin?

Stadler: Zu noch mehr Virtual Reality in der Entwicklung, in der Produktionsplanung und für den Kunden. Dann zu einer neuen Form des Beziehungsmanagements mit den Kunden – nicht aus Datenbanken heraus in steinzeitlicher Weise, sondern aktiv zwischen Hersteller und Käufer. In den großen Metropolen werden gleichzeitig neue Mobilitätsformen entstehen. Ich weiß nicht, ob Carsharing für jeden die optimale Lösung ist, aber wir werden premiumgerechte Angebote schnüren. Zudem wird die Elektrifizierung zunehmen; in dem Maße, wie die Speicherkapazität der Batterien steigt und deren Preise sinken.

Und wie verändert sich das Auto?

Stadler: Autos werden ihre Farbe auf Knopfdruck wechseln, weil im Lack Nanotechnik steckt. Wir arbeiten darauf hin, dass ein Wagen künftig genau weiß, wann die nächste Ampel auf Rot schaltet und wo Gefahren lauern. Und es wird sicher auch einmal Realität, dass ein Auto allein zum Waschen und Nachladen fahren kann oder den Fahrer auf Wunsch chauffiert. Technisch gesehen sind wir vom pilotierten Fahren gar nicht mehr weit weg. Dann könnte der Reisende das Morgenmagazin ansehen oder seine Mails bearbeiten.

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