Digitalisierung Spanische Lektionen für Deutschland

Digitale Verwaltung in Spanien Quelle: imago images

Spanien erkannte 2011 schnell seine Schwächen und handelte. Das Land ist inzwischen in einigen Bereichen der Digitalisierung europäischer Spitzenreiter.

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Rosa Sanchez ist Buchhalterin. Sie hat die enorme Wandlung der e-Verwaltung hautnah miterlebt. Die digitale Unterschrift ist für spanische Firmen inzwischen Pflicht und auch die elektronische Steuererklärung: „Das hat meine Arbeit enorm erleichtert, ich kann mehr Kunden annehmen und setze mehr um“, bringt die 40-jährige Madrilenin die wirtschaftlichen Vorteile der Digitalisierung ihrer Arbeit auf den Punkt. Für ihre Kunden gibt es keine Alternative: „Sie müssen sich an die Gegebenheiten anpassen“.

Die deutsche Wirtschaft schreit derzeit nach dem Digitalminister, aber Spanien zeigt, dass das nicht der einzige Weg zum Erfolg ist. Der Aufbau eines „e-Lebens“ braucht eine andere Lebens- und Konsumkultur, nicht bloß eine bessere politische Koordination. Die digitale Agenda wird in Spanien wie in Deutschland vom Wirtschaftsministerium koordiniert, die Infrastruktur vom Verkehrsministerium. Der Unterschied zu Deutschland: Wenn in Spanien neue Technologien wie der E-Personalausweis oder die elektronische Unterschrift eingeführt werden, dann wird die Nutzung schnell zur Pflicht gemacht. Der Bürger bekommt ein paar Monate Gewöhnungszeit und muss sich dann zwangsweise an die neuen Standards anpassen.

In Deutschland, wo es liberaler zugeht, erledigte dagegen nur jeder Zehnte laut einer aktuellen Ipsos-Studie in den vergangenen zwölf Monaten Behördengänge über das Internet. Jeder Zweite löste Verwaltungsanliegen immer noch am liebsten persönlich. Im Kontrast dazu ist in Spanien auch schon die digitale zentralisierte Patientenakte in fast allen der 17 autonomen Regionen Realität, was bei der Diagnose und Vorsorge von Krankheiten enorm hilft und im Gesundheitswesen Kosten spart. Der Patient erkennt schnell den eigenen Nutzen und zieht mit. Beim öffentlichen Verkehr in Madrid wurde auf diese Weise zum Beispiel in einem halben Jahr das Papier-Ticket bei Bahn, Bus und Metro komplett abgeschafft, alles läuft nur noch über eine Plastikkarte mir Speicherchip. Nach anfänglichem Motzen sahen die Bürger schnell ein, dass der neue Weg der bessere ist.

Aber Spanien hat auch bessere Infrastrukturen für eine schnelle Digitalisierung der Gesellschaft. Die verschiedenen Regierungen, das weltweit führende Unternehmen Telefónica sowie die Banken BBVA und Santander haben die Krisenjahre genutzt, um in Spanien durch milliardenschwere Investitionen in Netze und Marketing ein technologiefreundliches Umfeld zu schaffen. Zwar steht Deutschland bei internationalen Rankings zur Digitalisierung der Wirtschaft weit vor Spanien, aber bezüglich der Vernetzung von Verwaltung und Gesellschaft sowie bei Fintechs liegen die Südeuropäer vorne.

Das Land verfügt zudem über das europaweit dichteste Breitbandfasernetz. Schnell zu surfen ist zudem im europäischen Vergleich günstig. 18 Millionen Haushalte surfen in Spanien bereits mit Höchstgeschwindigkeit, das sind 63 Prozent der Bevölkerung. Deutschland dagegen liegt in diesem Beriech weit zurück. „Die spanische Regulierungsbehörde und das Wirtschaftsministerium haben ab 2011 mit weniger Regulierungen als beim Kupfernetz dazu beigetragen, dass die Investitionen in das Glasfasernetz attraktiver werden“, sagt Enrique Medina, CPO von Telefónica. Diese besonders techfreundliche Kultur erklärt auch, warum Plattformen und Apps der „sharing economy“ wie Cabify oder ecooltra in Spanien entstanden sind und hier in Städten wie Madrid, Barcelona, Valencia und Sevilla enormen Erfolg haben.

Die Banken führen bei Fintech

Durch die schnellen Datennetze wurde die schon seit jeher hohe Nutzung von Internet und Handys in Spanien weiter beschleunigt. Bankgeschäfte werden immer mehr über Tablet oder Smartphone abgewickelt. Auch virtuelle Währungen wie Bitcoin sind in Spanien schon etabliert, wo es in der EU die meisten Bitcoin-Geldautomaten gibt. Beim mobilen Bezahlen haben die Spanier ebenfalls die Nase vorn. Die auch in Deutschland sehr starke Banco Santander hat einen eigenen Fonds aufgelegt, InnoVentures, der bereits in 20 internationale Start-ups aus diesem Bereich investierte: „Bürger und Unternehmen haben keine Berührungsängste”, sagt Francisco González, Vorstandsvorsitzender der zweitgrößten spanischen Bank BBVA.

Spanien hat zudem noch einen Vorteil gegenüber Deutschland: Es hängt nicht an der industriellen Produktion, ist damit offener für digitale Entwicklungen. Big Data ist eine Jobmaschine, die das Land mit 16 Prozent Arbeitslosigkeit braucht. Das lockert Investitionen. So wurde im vergangenen Herbst auf Privatinitiative „Alastria“ geschaffen, eine weltweit noch einzigartige kontrollierte Blockchain-Infrastruktur, die es spanischen Unternehmen erlaubt, Dienstleistungen effizienter auszutauschen und über diesen alternativen Weg schneller und unkomplizierter zu bezahlen.

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Auch bei der urbanen Vernetzung haben Städte wie Barcelona, Madrid und Santander nach Ansicht von Cisco die Nase vorne. Vor allem die Hafenstadt Santander ist inzwischen weltweit Referenz bei „Internet of Things“- und Blockchain-Konzepten zur Verbesserung des städtischen Lebens. Hier messen Sensoren das Volumen der Mülltonnen, schalten Bewegungsmelder Lichter ein und werden freie Parkplätze über digitale Anzeigetafeln angekündigt. Eine eigene App gibt Bürgern für sie wichtige Informationen über Verkehrsaufkommen, Pünktlichkeit der Busse oder Umweltverschmutzung.

Aber der Digital-Experte Ignacio Sanchéz-Leon warnt auch: „In den spanischen Städten funktioniert das e-Leben fast perfekt, aber auf einem Dorf in Andalusien sieht das noch ganz anders aus“. Für den Spanier hat nicht nur Deutschland, sondern Europa insgesamt die enormen gesellschaftlichen Herausforderungen der Digitalisierung noch nicht erkannt: „Wir denken nicht daran, wie Internet, mobiles Bezahlen und künstliche Intelligenz unsere Gesellschaft verändern. Wir müssen unsere Verfassungen an ein neues Zusammenleben anpassen“. Der Ingenieur und Ökonom fordert in seinen Büchern „Idioma digital” und „Emociones en la inteligencia artificial“, dass ein solches Regelwerk zur Priorität gemacht wird: „Unser Leben findet immer mehr online statt, aber ohne konkrete Regeln. Das ist sehr gefährlich.“

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